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Porgy & Bess: Mönchsmusik aus der Fülle des Moments

Pianist Tord Gustavsen.
Pianist Tord Gustavsen.(c) imago/ZUMA Press (
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Tord Gustavsen und sein Trio bezirzten im Porgy & Bess mit Bach, Leonard Cohen und Eigenem.

„No light entertainment tonight!“, warnte der 48-jährige norwegische Pianist Tord Gustavsen gleich vorweg – und begann entsprechend: Zu zartesten elektronischen Hintergrundsounds versenkte er sich am Fazioli-Flügel in ein „Mantra dieses buddhistischen Mönchs aus Leipzig“, wie er Johann Sebastian Bach scherzhaft bezeichnete. Das Fragment, in das sich Gustavsen versenkte, hieß „O Traurigkeit, o Herzeleid“. Liebevoll krabbelten seine Finger über die Tasten, zelebrierten mehr das Verklingen als die eigentliche Struktur der Melodie.

Mit „The Tunnel“ lockte das in büßerisches Grau gekleidete Trio zum Repertoire des aktuellen Albums, „The Other Side“, das religiöse Stücke, alte norwegische Hymnen und Balladen fokussiert. Man hätte meinen können, dass solch stille Verheißungen an einem kalten Sonntagabend nur wenige Menschen locken würden. Das Gegenteil war der Fall: Hochkonzentriert lauschte das Publikum Gustavsens musikalischen Innigkeiten, auch seinen kleinen Geschichten über entlegene Orte in Nordnorwegen, wo es mehr Wölfe als Menschen gibt.

„Komm, o Tod, du Schlafes Bruder“

Einen willkommenen Rückgriff machte er mit dem elegischen „Graceful Touch“, das er 2006 mit dem hiesigen Ulrich Drechsler Quartet im Studio aufgenommen hat. Klug wechselten die meditativen Passagen mit Momenten mehr in die Eingeweide fahrender Klangaufwallungen. Allein, das Wilde ist nicht immer das Kühnere! Viel spannender waren an diesem Abend die leisen Stellen. Insbesondere das fast 22-minütige Medley aus Leonard Cohens „Came So Far for Beauty“ und Bach'schen Motiven wie „Komm, o Tod, du Schlafes Bruder“, das in kollektive Kontemplation lockte. „I practiced all my sainthood, I gave to one and all, but the rumors of my virtue, they moved her not at all“, lautet eine Zeile von Cohens Song, der Eitelkeit und Gefallsucht als verbreitetes Laster von Künstlern geißelt. Wegen des Texts hat Gustavsen das Lied wohl nicht gewählt: Derlei narzisstische Regungen sind unter skandinavischen Musikern ziemlich tabu, zumal unter jenen, die für das Label ECM aufnehmen.

Trotz seiner wohl deshalb unvermeidlichen Aura der Askese hütet Gustavsen einen alten Schatz in sich: eine rare Verspieltheit, die das Kindlich-Naive genauso streift wie eine Weisheit, die man sich in einem einzigen Leben nicht aneignen kann. Die alte Theorie, dass Musiker Gefäße sind, aus denen unerklärliche Mächte sprechen, hat etwas für sich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2019)

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