Pop

Mit Pomp und Banjo zur Ekstase

Die Stimme Marcus Mumfords bekommt erst durch intensiven Einsatz ihr Working-Class-Charisma.
Die Stimme Marcus Mumfords bekommt erst durch intensiven Einsatz ihr Working-Class-Charisma.(c) imago images / Stefan M Prager
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Mumford & Sons, die barocke britische Folk-Rock-Kombo, testete in Wien das Euphoriepotenzial ihrer 14.500 Fans aus. Da wurde an nichts gespart.

Mark E. Smith, dem im Vorjahr verstorbenen Sänger von The Fall, kam die Galle hoch, wenn er Mumford & Sons hörte. Einmal warf er ihnen bei einem Festival sogar eine Flasche auf die Bühne, weil die verwinkelten Harmonien und der hochgeschraubte Harmoniegesang seinen Schädel beinah zum Platzen brachten. Aber vielleicht ist deren Sänger, Marcus Mumford, doch eine Spur subversiver, als es sich der verehrte Post-Punk-Wüstling vorstellen konnte. Immerhin gähnte Mumford als Gast der Hochzeit von Prince Harry und Meghan Markle recht ungeniert in die Kameras. Das löste eine kleine Empörungswelle unter Monarchisten aus.

Die Band Mumford & Sons hält es ihrerseits mit dem Prinzip der Egalität. Die vier Bandmitglieder, die einander 2007 gefunden haben, hat auch der Erfolg nicht auseinanderdividieren können. Sie komponieren immer noch gemeinsam, und sie teilen sich die Rechte an den Songs brüderlich. Mumford & Sons waren von Anbeginn das europäische Gegenstück zu Arcade Fire, jener kanadischen Indie-Pop-Band, die als erste Folk mit barocker Instrumentierung verbunden hat. Nicht zufällig haben sich die Briten mit Markus Dravs den Produzenten von Arcade Fire für ihr Debütalbum geangelt.

Neun zusätzliche Musiker

Mittlerweile haben sie einiges vom Pomp der frühen Jahre fallen lassen, aber auch in Wien umgab sich das Quartett bei manchen Songs mit neun weiteren Musikern. Für ihre aktuelle Tour verfielen sie auf die Idee, inmitten ihrer Fans Musik machen zu wollen. Die Bühne stand also in der Wiener Stadthalle zentral im Auditorium. Den Liederreigen startete die Band mit „Guiding Light“, einem souligen Song, der das langsame Erwachen einer Zuneigung zelebrierte. „I guess I'm all you have and I swear you'll see the dawn again“, hieß es da. Das könnte auch die Beziehung zwischen Band und Publikum beschreiben. Die Fans von Mumford & Sons ersehnen sich eine Art Erhebung in einen anderen Bewusstseinszustand. Dafür spiegelten sich die Parteien ineinander. Die vom Publikumszuspruch geadelte Band wollte ihrerseits die Fans zum Lichtereignis machen. Ein Vexierspiel aus Glamour und beleuchteter Glanzlosigkeit war die Folge.

Mumford & Sons geht es nicht bloß um Oberflächenphänomene. Man will auch am Spirituellen kratzen. Zunächst galt es, das Euphoriepotenzial der Gemeinde abzutesten. „Little Lion Man“, die Debütsingle von 2009, sorgte für Jubeltumulte. So geht ausrasten: stampfen, das Becken rotieren lassen und mit den Händen nach unsichtbaren Wesen schnappen. Jetzt kam das Banjo in Händen des charismatischen Winston Marshall auf Betriebstemperatur. An nichts sparte man. Orgel, Bläsersektion, Ziehharmonika, Resonatorgitarre – jeder Sound bekam seinen Galaauftritt.

Die Stimme von Marcus Mumford ist ein ganz eigenes Phänomen. Vom Klang her ist sie nichts Besonderes. Erst durch ihren intensiven Einsatz gewinnt sie ihr raues Working-Class-Charisma. Besonders flamboyant erklang sie in „Beloved“ und in der souligen Ballade „Lover of the Night“, die Mumford schlagzeugspielend sang. Beim lodernden „Ditmas“ wanderte er singend durch die überraschten Fanscharen. So schnell konnte kein Handy gezückt werden, als dass er nicht schon wieder vorüber war. Die Performance, die auch mit intensiven Viergesangsmomenten aufwartete, peitschte kurz vor Ende mit „Blood“ nochmals wild hoch, ehe sie ins elegische „Delta“ mündete. Ursuppengefühl!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2019)

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