Pop

Phil Collins in Wien: Vergnüglicher Flirt mit dem hässlichen Jahrzehnt

Phil Collins
Phil CollinsAPA/HERBERT P. OCZERET
  • Drucken

Phil Collins ordinierte im Wiener Ernst-Happel-Stadion und es tat nicht einmal weh. Die einst grauenhaften Arrangements sind entsorgt. Die bewährten, alten Melodien glänzten in neuem funky Outfit.

Seine üppige Band hatte sich formiert, da schleppte sich Phil Collins auf einen Gehstock gestützt auf die Bühne. Zielstrebig ging er auf einen Bürosessel zu. Ein 68-Jähriger, der schon zum Sitzkonzert verdammt ist? Das war ein wenig beklemmend. Selbst für jene, die nie ausgewiesene Fans von Genesis, Brand X oder Collins´ Soloarbeiten waren. Der Mann war viele Jahre lang ein guter Feind, weil Inbegriff des Uncoolen. Auch ein Verdienst. Die, die in den Siebzigerjahren in der Schule ganz weit vorn waren, die hörten progressiven Canterbury Sound, Free Jazz oder Soul à la Al Green. Genesis, bei denen Collins damals trommelte, galten als halbkluge Streber, die heiße Luft mit kitschigen Keyboardgirlanden behübschten.

Nachdem Collins nach dem Abgang von Peter Gabriel die vakante Sängerstelle übernommen hatte, wurde es für Musikconnaisseure immer schwieriger, diesem unfassbar klebrigen Mainstreamsound auszuweichen. In den Achtzigerjahren schien es, als hätte Collins mit seinen Solosongs, sieben davon erreichten Platz 1 der US-Charts, die Rundfunkstationen gepachtet. 250 Millionen Tonträger soll er verkauft haben. Davon können heutige Bands nur träumen. Als gestern im Wiener Ernst-Happel-Stadion erste, noch hauchzarte Keyboard-Figuren im Oval erzitterten, da flammte das hässliche Jahrzehnt vor dem inneren Auge auf.

Die Band brillierte mit funky Bläsersätzen

Plötzlich war alles wieder da: die neonfarbenen Karottenhosen, Leggings, Overside Blazer, Vokuhila-Frisuren. Auch Collins' Arrangements kamen damals nicht ohne Puffärmel und Schulterpolster aus. Damit hat er aufgeräumt, wie an diesem Abend rasch bemerken konnte. Innovations- oder gar Devianzpotenzial hat niemand ernsthaft erwartet. Befürchtungen, dass der greuliche Achtzigersound wiederaufersteht, waren angebracht, aber letztlich unbegründet. Im Gegenteil. Die vierzehnköpfige Band brillierte mit funky Bläsersätzen, souligem Backgroundgesang und erdigem Getrommel. Bei letzterem machte Collins´18-jähriger Sohn Nicholas glänzende Figur.

Auch die Gitarren hielten sich meist angenehm zurück, einzig die Keyboards uferten zuweilen aus, waren aber im Vergleich zu den Achtzigern dezent. Mit „Another Day In Paradise“ pochte ein erster Hit sachte an die Schläfen. Ein Lied, das auf das nach wie vor aktuelle Problem der Obdachlosigkeit hinwies. Mit dieser schönen Melodie, die kurioserweise im deutschen Sprachraum Max Greger, Howard Carpendale und James Last gecovert haben, wollte Collins 1989 dem Wehklagen auf hohem Niveau Einhalt gebieten. Kein Wohlstandsgesäusel mehr, lautete die Devise. In der aktuellen Lesart warben elegante Flageolettklänge der Gitarre ebenso wie die gospelig intonierenden Backgroundsänger für Empathie.

Auch Collins eigener souliger Gesang, der in der Vergangenheit viel zu häufig in den suppigen Keyboardsounds ertrank, kam an diesem Abend überraschend gut zur Geltung. Dafür brauchte er gar nicht den alten Supremes-Soulklassiker „You Can´t Hurry Love“ bemühen. Was er zu späterer Stunde aber doch tat und damit das Signal zum Engtanz für jene gab, die bei wechselvollen Wetterlagen gerne einen Pullover auf der Schulter platziert haben.

Private Katastrophen

Collins' Soulfulness zeigte sich schon in „Baby, Don´t You Lose My Number“ und „Something Happened On The Way To Heaven”, das mit der wehen Eröffnungszeile „We had a life, we had a love, but you don´t know what you´ve got ´til you lose it” ziemlich sicher auf Erlebtes abzielte. Ähnlich groß wie seine Umsätze waren nämlich auch seine private Katastrophen. Und diese inspirierten ihn zu neuen Hits - ein Teufelskreis! Heute scheint er im Reinen mit sich, wenngleich körperlich etwas angeschlagen. Seinen größten Hit „In The Air Tonight“ trommelt er schon lange nicht mehr selbst. Leicht gebeugt sang er ihn jetzt zum Beat seines Sohnes. Sicher eine bittersüße Erfahrung. Im Finale machte die Melancholie einer Ausgelassenheit Platz, die zuweilen an Earth, Wind & Fire erinnerte und konsequent das Tanzbein lockte. „Sussudio“, „Dance Into The Light“ und vor allem „I Missed Again” waren Highlights einer überraschend intensiven Performance.

Phil Collins war wahrscheinlich noch nie so populär. Einerseits wachsen Jungfans nach, andererseits werden frühere Gegner altersmilde. Nicht zuletzt wegen der Einsicht, dass auch das Hässliche unverbrüchlicher Teil der eigenen Erfahrung ist. Am Ende gab es Standing Ovations. Und das nicht bloß auf den Stehplätzen. 

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.