Pop

Unterhaltsam im Schlafrock beim Jazzfest Wien

Chilly Gonzales (Archivbild März 2019).
Chilly Gonzales (Archivbild März 2019).(c) www.imago-images.de (Sven-Sebastian Sajak)
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Chilly Gonzales überzeugte in der Oper mit Schmäh, Schlapfen und genreübergreifender Musikalität.

Das Bedeutungsfeld des Wortes Jazzfestival hat sich seit den Siebzigerjahren stark erweitert. Der recht unjazzige Pianist Chilly Gonzales, ein Headliner des heurigen Jazzfest Wien, bot eine Erklärung: „Heute sagt man zu einem Festival mit Qualitätsmusik gern Jazzfestival.“ Eine stilistische Zuordnung seiner Musik ist so und so schwierig. Der Mann kann Popmusik, unvergessen ist sein Album „Soft Power“, eine Mimikry der Ästhetik des Softrock von 1978. Andererseits ist er von romantischer Klaviermusik und vom Rhythmus des Hip-Hop geprägt.

In der Staatsoper zeigte er sich von all seinen Seiten. Erst spielte er Gefühlvolles von seinen drei Solopiano-Alben. Und weil der Abend mit „Pianovision“ übertitelt war, wurden seine auf der Tastatur tändelnden Finger auf Leinwand übertragen, teils mit tropfenden Tränen als Special Effect. Den ersten Dank für den Beifall legte Gonzales in Form eines „Danke“-Zettels auf die Tastatur. Als er endlich zum Mikrofon griff, lobte er die Wiener und ihren Humor: „You are much darker than the people in my adopted home city.“ Der Arme lebt aus Gründen der Liebe derzeit in Köln, wo ihm fad ist.

Lob für deutsche Wörter

Dafür findet er dort viel Zeit fürs Austüfteln neuer Songs und Schmähs. Als Cellistin Stella Lepage die Bühne betrat, lobte Gonzales die expressive Macht ihres Instruments. „So eine Note auf dem Klavier steht einfach da und stirbt. Da fühl ich mich manchmal wie das Gegenteil eines Musikers, wie ein DJ.“ Und schon ging es in das erste Klavier-Cello-Stück, das Gonzales vor acht Jahren komponiert hat. Nur mit dem Titel ist er nicht mehr zufrieden: „Cello Gonzales“. So plump der Name, so mühelos fließend war die Musik.

Mit Schlagzeuger Joe Flory wurde es dann so richtig lebendig. „The Grudge“ brachte zum Wippen; Gonzales, der mittlerweile ganz gut Deutsch spricht, wies auf den Unterschied von „leiwand“ und „Leinwand“ hin, schwärmte von der Ausdruckskraft der Wörter Schmetterling, Wurst und Handschuhe. Aber auch vom Wörtchen sehr, das im Hip-Hop sehr gut zu „yeah“ passe. Es folgten ein liebevoller Exkurs über „Take Five“ sowie den Trugschluss, dass Jazz kompliziert sein müsse, eine Aufdeckung der Kompositionstricks von J. S. Bach sowie ein nicht ganz koscheres Medley aus Nirvana und Britney Spears. „Schlag mir Kinder noch einmal“ sang er statt „Hit Me Baby One More Time“. Spaß und Standing Ovations bis in die obersten Ränge.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2019)

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