Pop

So klingt Idealismus

Die Französin Zaz ließ das Wetter nicht als Ausrede gelten, nicht zu toben und zu tanzen.
Die Französin Zaz ließ das Wetter nicht als Ausrede gelten, nicht zu toben und zu tanzen.(c) Patrick Münnich | www.patrickmuennich.com
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Zaz verführte im Steinbruch St. Margarethen mit ihrer rauen, elastischen Stimme konservative Menschen zu ausgelassenen Regentänzen.

Das Ungemach kam geräuschlos. Hohe, lila Wolken verstellten den Blick auf die Abendsonne. Rechtzeitig zu Konzertbeginn schütteten sie ihren Inhalt auf 4500 Köpfe, die fast durchwegs plastifiziert waren. Frisuren sollten geschützt werden. Irgendwann rissen sich die Leute dann doch die Kapuzen runter. Die, die da oben stand, ermutigte zu Trotz und Leichtsinn. Isabelle Geffroy, genannt Zaz, entschuldigte sich zunächst für den Regen, ließ ihn aber sogleich nicht als Ausrede gelten, nicht zu toben und zu tanzen. Ein Heulen aus den Keyboards ging dem markanten Groove der Eröffnungsnummer „Si c'était à refaire“ voran. Dann tänzelte die Sängerin im kessen Cocktailkleid an die Bühnenkante – quasi, um solidarisch nass zu werden.

Mit dem Wunder ihrer Stimme, rau und doch elastisch, sang sie ihre erfrischenden Paradoxien. „Je chante, je chute, j'avance“ – „Ich singe, ich falle, ich komme voran.“ Ohne Make-up sei sie gekommen, hieß es im Text. Und: „Pas de leçon à donner, juste mon histoire à raconter.“ Keine Lektionen wolle sie erteilen, bloß ihre Geschichten erzählen. Zu viele von ihnen gehen leider unter, weil Französisch hierzulande ein wenig vernachlässigt wird. Wenige Franzosen erreichen das, was der ehemaligen Straßenmusikerin so sensationell geglückt ist: ein Massenpublikum in Ländern zu erreichen, in denen Französisch tatsächlich eine Fremdsprache ist.

Frühere französische Stars haben sich sprachlich angepasst. Ein Gilbert Becaud, eine Mireille Mathieu, ein Adamo – sie alle sangen auch Deutsch. Zaz ist diesbezüglich unerbittlich. Die hierzulande übliche Lingua franca, Englisch, verweigert sie komplett. Dafür las sie manchmal von großen Zetteln eingedeutschte Ansagen ab. So etwas wie: „Heute Abend möchte ich euch einladen, euch an eure Träume zu erinnern.“ Zaz selbst hegt hochfliegende Träume. Sie ist eine Idealistin, eine, die die „Unordnung des Träumens in die Ordnung des Sehnens“ überführt, wie es einst Schriftsteller Robert Walser so trefflich gefasst hat. Und sie wirkt auch praktisch, indem sie den Profit ihres Merchandise-Verkaufs über ihre Stiftung Zazimut für karitative Zwecke einsetzt.

Ausreden lässt sie keine gelten, schon gar nicht, wenn es um die Liebe geht. „Pour aimer le temps qui passe“, sang sie im Hit „Que vendra“, den sie an diesem Abend in der spanischen Version gab. Die Idee, dass man die Zeit, die vergeht, ehrlich lieben kann, geht wohl nur einer jungen Person so schön über die Lippen. Wenn es an manchen Ecken schon zwickt und zwackt, liegt die Präferenz doch eher in der Sehnsucht nach einer Umkehrung des Zeitenlaufs.

Diese Lieder stellen sich nur naiv

Aber Zaz, die mit ihrer quirligen Bühnenpräsenz in der Lage ist, noch den ärgsten Zwideranten gute Laune einzuimpfen, kann noch mehr. Die Lieder dieser unwiderstehlichen Vagabundin des Seins sind, obwohl sie sich gern naiv stellen, oft politisch. Wenn sie mit ihrem knalligen Hit „Je veux“ geordnete Persönlichkeiten, also Leute, die sich mit den Notwendigkeiten einer kapitalistischen Welt arrangiert haben, dazu verführt, Sätze wie „Ich will Liebe, Freude, gute Laune, euer Geld ist nicht das, was mich glücklich macht“ auf Französisch zu krähen, ist das keineswegs trivial. Selbst eine kurze Rückführung zum eigenen Teenager-Idealismus kann etwas fürs Hier und Heute bewirken.

Der Regen wurde stärker, das Publikum mitgerissen von diesem Strudel an Musik. Calypso und Jazz, Reggae und Rock, die Band beherrschte viele Stile. Selbst antiquierte Gitarrensoli, wie sie nur im französischen Pop überlebt haben, wurden milde akzeptiert. Das patinierte Maurice-Chevalier-Chanson „Paris sera toujours Paris“, das Zaz mit höchster Rasanz darbot, war ein kurzes, hübsches Leo (Wienerisch für einen paradiesischen Ort) für jene, die lieber bewahren als verändern. Die Hits prasselten bald wie die vom Himmel fallenden Schusterbuben: „J'aime, j'aime“, „Je parle“, „Comme ci, comme ça“ und das grandiose, dramatische „Eblouie par la nuit“.

Geblendet durch diese schöne Nacht tanzten die nassen Menschen ausgelassen zur Zugabe „On ira“, die die wichtigste Botschaft von Zaz zusammenfasste: dass die Quintessenz von Glück ist, wenn man sich an den Unterschieden der menschlichen Wesen erfreuen kann. Toleranz wäre dieser Frau zu wenig. Es muss schon Liebe sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2019)

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