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Warum Billie Eilish zu Recht ein Weltstar ist

Sie blickt hinter Selbstverständlichkeiten: Billie Eilish beim Frequency-Festival in St. Pölten.
Sie blickt hinter Selbstverständlichkeiten: Billie Eilish beim Frequency-Festival in St. Pölten.(c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET)
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Sie kam mit grünem Haar und düsteren, aber irgendwie doch lichten Botschaften: Billie Eilish brachte die Originalität, die bei diesem Festival rar ist.

Ein Hubschrauber zog Kreise über dem Meer aus Menschen, noch weiter oben zogen dunkle Wolken auf. Am bedrohlichsten aber war das Gedränge vor dem tristen Veranstaltungszentrum (VAZ) im Industrieviertel St. Pöltens. Die mittlerweile 18-jährige Billie Eilish war angekündigt, die größte Sternengeburt im Pop seit Michael Jackson. Ihre Lieder haben mehr als zwei Milliarden Zugriffe bei den gängigen Streaming-Plattformen, allein auf Instagram hat sie 34,8 Millionen Follower.

Sie war die eigentliche Headlinerin des heurigen Frequency. Das hat nur die Veranstalter überrascht. Wie sonst wäre zu erklären, dass die Festivalplakate die infantilen Twenty-One Pilots und die öde Swedish House Mafia als Top-Acts priesen und der Name Eilish viel weiter unten platziert war? Dabei ist sie weit mehr als ein neues Teenageridol. Ihre hybriden Lieder gefallen auch Erwachsenen. Selten begleiteten Eltern ihre Kids so gern auf ein Festival wie an diesem Abend.

Spinnentiere auf den Bildschirmen

Um die Spannung vor Konzertbeginn zu erhöhen, krabbelten Spinnentierchen über die LED-Bildschirme. Dabei ist Arachnophobie noch die harmloseste der von Eilish kommunizierten Ängste. In ihren Songs geht es weniger um „Teenage Angst“ als um Endzeitgefühle und generationsübergreifende Zweifel. Neugierig blickt sie in ihren Liedern hinter Selbstverständlichkeiten. Schon der Titel ihres Debütalbums war eine Frage von philosophischer Tiefe: „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ Flattert unser Bewusstsein nachts in ein Paralleluniversum? Wie kann man überhaupt wach in den Schlaf fallen? Solche Fragen treiben sie um.

Zurück nach St. Pölten. Die Spinnenbeine auf den Bildschirmen bewegten sich rascher, und plötzlich war sie da: die 1,61 Meter kleine Billie Eilish mit ihren überlebensgroßen Gefühlen und Grübeleien. Angetan mit Spielhoserl und Shirt des Modelabels Billionaire Boys Club, das Superstar Pharrell Williams 2003 gegründet hat. Sozialbaumode fürs Luxussegment. Die Hip-Hop-Kultur hat bei Eilishs musikalischer Sozialisation eine große Rolle gespielt. Sie war Mitglied in einer ambitiösen Hip-Hop-Tanzgruppe, ehe es einen Schnalzer in ihrer Hüfte machte. Ihm verdanken wir, dass sie sich auf ihre seltsamen Lieder zu konzentrieren begann, die sie mit ihrem um vier Jahre älteren Bruder Finneas O'Connell komponiert.

Cool und verletzlich zugleich

Genau dieser spielte jetzt, weiß gekleidet, den knackigen Bass hinter der kleinen Schwester. „Bad Guy“ eröffnete die Performance. Elegant zwischen dumpf und hell, leise und laut irrlichternd. Dazu praktizierte Eilish jene ungestümen Tomboy-Bewegungen wie schon im Video von „Bad Guy“. Die Menge war rasch auf Betriebstemperatur. Die kollektiven Tänze platzierten einen Staubfilter vor die Bühne. Der das Charisma Eilishs nicht verhüllen konnte: Coolness und Verletzlichkeit zugleich.

In ihrer Musik finden Partikel aus Emo, Jazz, Folk, Pop, Elektronik und Hip-Hop auf bislang ungehörte Art zueinander. Vor allem aber es ist der Gesang, der süchtig macht. Bald flüsterte und fiepste sie, bald brummelte und knurrte sie. Bald gab sie sich trotzig, bald entbarg sie die Romantikerin in ihr. Schon als dritten Song sang sie mit „Idontwannabeyouanymore“ eine ihrer sehnsuchtsvollen Balladen. Dieser Dialog mit dem Spiegelbild gehört zum Wahrhaftigsten, das Eilish bislang gelungen ist. Zeilen wie „If teardrops could be bottled, there'd be swimming pools filled by models“ sind meilenweit von den gestanzt wirkenden Lyrics aktueller R&B-Songs entfernt.

Nicht nur um Mädchen, die am industriellen Schönheitsideal vorbeischrammen, kümmerte sich Eilish, sondern auch um die schlimmen. Beim groovigen „All The Good Girls Go To Hell“ leckten gefährliche Flammen über die Bildschirme, beim versonnenen „When The Party Is Over“ floß dunkle Flüssigkeit aus ihren Augen. Mit Vibrato sang Eilish die butterweiche Ballade „Wish You Were Gay“, in der es darum ging, Zurückweisung zu ertragen. Es hätte ewig so weitergehen können. Aber die Spielzeit war mit einer Stunde gering bemessen. Zum Ausklang gab es das von einem fröhlich hüpfenden Bass angetriebene „Bury A Friend“ , das mit dem Quiqui kokettierte. „I wanna end me“, sang Eilish da. Aufgewühlt und doch irgendwie unschuldig. Die jungen Leute im Auditorium wackelten dazu wie verwirrte Ameisen.

Der Unterschied zu Greta Thunberg

Die Faszination, die Eilish auf die Massen ausübt, wurde schon mit der von Greta Thunberg verglichen. Doch während die junge Umweltaktivistin in ihrem ostentativen Gutmenschentum zuweilen finster wirkt, ist es bei der Sängerin umgekehrt. Sie wickelt sich zwar großteils in düstere Klänge, aber in ihren Texten ist viel Licht zu entdecken.

Nach ihrem Abgang in St. Pölten dämmerte es. Die Britin Anne-Marie hatte es sehr schwer. Selbst an sich charmante Hits wie „Rockabye“ und „Friends“ hörten sich nach Eilishs Auftritt schal an. Ein Lichtblick schon am frühen Nachmittag war die amerikanisch-marokkanische Sängerin Dounia, die mit Songs wie „How I See It“ ein Versprechen für die Zukunft abgab. Auch sie bewegt sich an den Rändern des R&B, dort, wo noch Platz für Originalität ist. An der es dem Frequency-Festival seit Jahren mangelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2019)

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