Peter Weibel: Wir sind in eine riesige Datenwolke gehüllt

(c) APA (Roland Schlager)
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Medienkünstler Peter Weibel kommt mit seinem Hotel Morphila Orchester zum Donaufestival. Mit »Der Presse am Sonntag« sprach er über frühe Formen des Digitalen, Partykunst und die Finanzkrise.

Peter Weibel ist nicht nur Künstler, Hochschullehrer, Ausstellungskurator, Medien- und Kunsttheoretiker, er hat mit seinem Hotel Morphila Orchester einen wesentlichen Beitrag zur österreichischen Popmusikszene geleistet. Am 25. April wird er bei der Eröffnung des Donaufestivals in Krems mit einem 3D-Rausch-Konzert vorstellig.

Ihr legendäres Hotel-Morphila-Orchester-Album „Schwarze Energie“ haben Sie 1982 in einer öffentlichen Telefonzelle am Graben vorgestellt. Wie beurteilen Sie Ihre Art der Werbung von damals?

Peter Weibel: Technisch gesehen war das eine Vorwegnahme von Download. Den Song „Sex in der Stadt“ konnte man nämlich eine Woche lang am Telefon hören, ohne auf den Zahlknopf drücken zu müssen.

2011, auf Ihrer bislang letzten musikalischen Veröffentlichung, sangen Sie „Wir sind Daten“. Wann wurde Ihnen klar, dass die flächendeckende Digitalisierung bevorsteht?

Mir war ab 1984 klar, dass in Zukunft Töne und Bilder in digitalem Code hergestellt werden. Damals schrieb ich ein Buch über digitale Ästhetik. Die Entwicklung hat natürlich ihre Zeit gebraucht. 1995 habe ich aber bei der Ars Electronica schon „Welcome to the Wide World“, das erste Symposion weltweit zum Thema Internet, organisiert. 1999 folgte „Net Condition“, die erste große Ausstellung zum Thema. Das derzeit aktuelle Schlagwort ist „Big Data“. Wir sind in eine riesige Datenwolke eingehüllt. Das Lied „Wir sind Daten“ bezieht sich genau darauf.

Welche Maßnahmen haben Sie nach der Einsicht, dass die Zukunft digital sein wird, an der Hochschule gesetzt?

Für meine Studenten wollte ich Computer anschaffen. Das Ministerium hat mir das nicht genehmigt, so gering war die Voraussicht damals. Ich musste mir die Commodore Computer von einer Firma finanzieren lassen.

Sie waren schon längst anerkannter Künstler, als Sie 1978 das Hotel Morphila Orchester gegründet haben. Was war Ihr Motiv?

Damals gab es eine Art Finanzblase. Reiche Leute haben sich auf schlechte Kunst gestürzt. Der Zeitgeist nannte das „Neue Malerei“. Dabei war alles nur Partykunst. Das Feld der Kunst wurde abstoßend für mich. Also war meine Idee, etwas zu machen, was das Kunstwerk verachtet, wie eben unsere Art von Underground-Musik.

Ihre wesentlichen Werke im Rahmen des Popsongs setzten Sie exakt in der Ära zwischen Punk und New Wave. Zufall?

Nein, weil die Revolte damals in die Musik auswanderte. Mir ist ein bisserl das Gesicht eingeschlafen bei jemandem wie dem Kippenberger, der sich in der Unterhose malte und glaubte, das wäre skandalös. Da gab es lange vorher Günter Brus, der in der Uni defäktierte und onanierte. Valie Export und ich haben das Tapp- und Tastkino gemacht. Das waren Schocks! Musikalisch waren wir zunächst Teil der Punkbewegung, später im New Wave zu Hause. Wir waren Pioniere!

Sie sprachen gerne davon, Klinikmusik für alle Arten von Patienten zu machen. Wie meinten Sie das?

Alle Revolten in den Sechzigerjahren hatten mit der Einsicht zu tun, dass wir alle beschädigt sind. Durch den Krieg, durch die Erwachsenen. Wir hatten den Eindruck, dass jeder von uns eigentlich Patient ist. Das wichtige theoretische Werk dazu kam von Adorno. Es war „Minima Moralia – Reflexionen aus dem beschädigten Leben“.

Als langjähriger Praktiker der Devianz sagten Sie kürzlich, dass das System dazugelernt hat und seine Kritiker integriert. Ist die Idee gesellschaftlichen Fortschritts passé?

Das ist der kritische Punkt schlechthin. Das System selbst hat zur Legitimierung das Wort „Systemrelevanz“ erfunden. Während der Finanzkrise kam dieses Vokabel immer wieder vor, wenn es um die Begründung ging, warum die Banken gerettet werden müssen. Erstmals hat das System zugegeben, dass es ein System ist. Uns hat man früher gern gesagt, dass, wer System sagt, unter Paranoia leidet. Damals insistierte das System darauf, dass wir eine „freie Assoziation von freien Individuen“ sind. Heute sieht die Lage freilich anders aus.

Sehen Sie Krisen als systemimmanent an?

Nicht unbedingt. Die letzte Finanzkrise war vor allem eine Kompetenzkrise. Die Akteure haben die falschen Wetten abgeschlossen, die falschen Formeln angewendet. Die wunderbare Hannah Arendt hatte in ihrer Dämonisierung von Eichmann nicht ganz recht. Sie hat übersehen, dass er Teil eines Systems war. Das Böse selbst ist eine systemische Eigenschaft.

Wo manifestiert sich dieses Böse heute?

Etwa im niedrigen Niveau der Unterhaltung. Durch die Nazi-Zeit hat man begriffen, dass Entertainment per se politisch ist: Je schlimmer die Zeiten waren, desto mehr Operettenfilme drehte man. Heute bewegt sich das Fernsehen immer mehr auf ein Unterhaltungsniveau zu, das weit unter jenem der Nazi-Ära ist. Man sieht nur noch Menschen, die sich in diesem Medium entwürdigen lassen.

Früher war Popmusik weitaus subversiver als heute. Warum ist das so?

In der Mode ist es ähnlich wie in der Popmusik. Das wurde früher alles selbst von jungen Leuten für junge Leute gemacht. Heute liefern das, was hip sein soll, nur mehr Konzerne. Im Grunde ist die Popkultur ein Opfer der Marktforschung geworden. Die Industrie erforscht die Geschmacksrichtungen und produziert dann nach diesen.

Auf Ihrem Debütalbum war dieser schöne Song namens „Was ist im Hirn“. Er endet mit der Frage „Wo ist das Leben, das spiegelt mein Selbst?“ Wissen Sie das jetzt?

Ehrlich gesagt: Nein. Ich bin Mitglied in einem Klub namens Optionalismus. Der Name leitet sich von Robert Musils berühmtem Möglichkeitssinn ab. Immer wenn es Optionen gibt, ergreife ich genau die, von der ich später den Eindruck habe, dass es die falsche war. Darum bleibe ich Nomade, immer auf der Suche nach einer Gelegenheit, einmal die richtige Entscheidung für die richtige Möglichkeit zu treffen.

Steckbrief

1944
Peter Weibel wird in Odessa geboren, wächst in Ried im Innkreis auf, 1950–1960 Heimkind in OÖ, 1964 Medizinstudium

1966
Performances mit Valie Export

1968
Teilnahme an der Aktion „Kunst und Revolution“ an der Universität Wien

1978
Gründung der Band Hotel Morphila Orchester (mit Loys Egg), 1982: Album: „Schwarze Energie“

1984
Professur an der Wiener Hochschule für Angewandte Kunst, 1986 Kurator der Ars Electronica

1999
Berufung zum Leiter des ZKM, des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe, Kurator des Österreich-Pavillons bei der Biennale in Venedig

2011
Signature Songs, Neue Galerie Graz: „Moderne: Selbstmord der Kunst?“

2012
Wiederveröffentlichung der Langspielplatte „Schwarze Energie“, Ausstellung „Mobile Poeme“, Tosterglope

Mit Ihrer Idee, aus den Sex-Kontaktanzeigen einen Songtext zu machen, hatten sie jedenfalls 1982 eine goldrichtige Entscheidung getroffen. „Sex in der Stadt" war ein genuiner Hit. Wie entstand er?


Am Anfang war der Ärger über die Heuchelei von Zeitungen wie der Krone, die auf der einen Seite die Werte des Kleinbürgertums propagieren, gleichzeitig aber Geld mit Sexannoncen verdienen. Das gab den Anstoß. „Sex in der Stadt ist das, was keiner hat" singe ich da, weil ich es paradox finde, dass so viele trotz der Möglichkeiten niemanden für ihre Bedürfnisse finden. Für mich war es schön, das Lied öfter mal im Vorbeigehen aus Autoradios zu hören. Dass das dazugehörige Album „Schwarze Energie" letztes Jahr wieder auf Vinyl aufgelegt wurde, hat mich ebenfalls immens gefreut. Nach 30 Jahren! Das ist eine halbe Ewigkeit im Pop. Meine Lieder waren im Grunde kritische Sprachspiele.


Für Ihren Auftritt beim Donau-Festival versprechen Sie ein 3D-Rausch-Konzert. Was dürfen wir erwarten?


Laut Physik stand am Anfang der Big Bang. Das Rauschen kommt aus der Tiefe des Weltraums. Es ist der eigentliche Hammer Gottes. Ich werde mich in Krems auf Variationen davon konzentrieren. Wichtig ist mir auch es zu visualisieren. Die Besucher werden 3D-Brillen bekommen und werden zum ersten Mal Lärm dreidimensional erleben.


Was werden Sie auf der Bühne machen?


Ich werde auf einem I-Phone agieren, für das ich mir ein spezielles Programm schreiben habe lassen. Zunächst schreibe mit der Schreibmaschine einen neuen Schöpfungsmythos über den Ursprung des Kosmos im Lärm. Die Buchstaben werden dann in binäre Codes umgewandelt, die Binärcodes in Musik. Zusätzlich werden die Sounds dann noch visualisiert. Es ist ein Versuch, das gesamte digitale Universum zu zeigen.


Was ist mit den Liedern des Hotel-Morphila-Orchesters?

Statement von Peter Weibel

Das ist ein Problem. Im Grunde brauche ich das Hotel Morphila für das, was ich vorhabe, nicht. Aber die wollen natürlich in entsprechendem Umfang dabei sein. Im Moment ist es noch unklar, wie wir das machen werden. Es ist ein Kampf. Rein künstlerisch stört es mich, wenn man auf die alten Ansätze zurückgeht. Das ist mir eigentlich zu nostalgisch und zu sentimental. Was die Funktion der Lieder des Hotel Morphila Orchesters betrifft, habe ich mich leider falsch ausgedrückt. Ich bitte daher um eine Korrektur. Was ich sagen wollte ist folgendes: Das Konzert besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil ist ein Konzeptalbum live, das dem Thema "Noise" gewidmet ist, wo natürlich der Gitarrensound des Hotel Morphila Orchesters eine geringe Rolle spielt. Nach diesem einstündigen Laptop-Konzert folgt der zweite Teil von ca. 15-20 Minuten, der nur aus Hotel-Morphila-Orchester-Liedern besteht. So werden beide Ansätze künstlerisch verknüpft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2013)

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