"Der Dialekt ist meine erste Fremdsprache"

Ernst Molden und Der Nino aus Wien
Ernst Molden und Der Nino aus WienDie Presse
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Auf dem Album "Unser Österreich" interpretieren Ernst Molden und Der Nino aus Wien Austropop-Klassiker. Der "Presse am Sonntag" erklären sie, wieso sie das tun – und was sie an André Heller mögen.

Die Fahne auf dem Cover von „Unser Österreich“ ist extrem zerschlissen. Warum?

Ernst Molden: Die Fahne wurde ausgewählt vom Besitzer des Rutschturms im Prater. Er hängt jedes Jahr eine neue Fahne auf sein Toboggan, und am Ende ist sie zerfleddert, „Österreich“ gerade noch lesbar. Man kann sagen, das war die Intention der Platte.

Welche Strategien haben Sie gewählt, um ja nicht Austropop zu sein?

Nino aus Wien: Wir haben die Lieder bis aufs Skelett reduziert.

Molden: Wir spielten „The Great Austrian Songbook“, als wäre es ein Field-Recording aus der Anthologie von Harry E. Smith. Wir versuchten, die Lieder so zu lesen, als wären sie uralte Folksongs.

„Der ganze Mensch besteht aus Charakterfehlern“, meinte Dolly Buster einmal. Ist das der Grund für die Zeitlosigkeit der Figuren, die uns der nachdenkliche Austropop der Siebzigerjahre vorgeführt hat?

Molden: Viele dieser sozusagen fehlerhaften Charaktere sprechen heute noch sehr luzide zu uns. Ennui, Traurigkeit und Depression haben immer noch Gültigkeit. „Wie wird des weitergehn“ ist das perfekte Lied über Burn-out, 30 Jahre, bevor es den Begriff gab.

Wann ist für Sie das Phänomen Austropop ins Negative gekippt?

Molden: Es gab zwei Zäsuren. Erst New Wave und Falco, da haben die traditionellen Austropopper erstmals alt ausgesehen. Dann Mitte der 1990er, als die Wiener Elektronik aufgekommen ist, da haben sie richtig tot ausgesehen. Überall wehte frischer Wind, sie haben sich eingebunkert und sind untergegangen.

Herr Molden, Sie haben bekannterweise eine Aversion gegen die üppigen Streicher von Christian Kolonovits, über die Wolfgang Ambros einst sagte, sie seien „eine Mischung aus Dramatik und Scheiß-mi-nix“. Warum?

Molden: Man muss sagen, dass Kolonovits und Robert Opratko grundsätzlich großartige Arrangeure sind. „Die dunkelgrauen Lieder“ von Ludwig Hirsch sind etwa eine Opratko-Produktion. Kolonovits ist natürlich auch ein super Keyboarder. Aber irgendwann einmal hat er sich finanziell und künstlerisch unterm in Österreich erreichbaren Plafond eingerichtet und fortan einen Sound kreiert, in dem Streicherorgien und Keyboard-Geschmiere kein einziges Fleckerl freigelassen haben. Dagegen hab ich was.

Auf Ambros' „Hoffnungslos“-Album waren die Arrangements noch sehr schön, oder?

Nino: Da gibt es schon schöne Momente, was die Streicher anlangt, muss ich zugeben. „Hoffnungslos“ ist überhaupt mein Lieblingsalbum von Ambros. Auf der neuen Edition ist auch die Demoversion von „De Höld'n san schon alle tot“ drauf. Nur Ambros und Gitarre. Da bekommt man eine Vorstellung davon, dass das Album auch ohne Streicher genial geworden wäre.

Molden: Mein Favorit ist sein Live-Album von 1979. Da klingt er wie ein Gott. Damals war der Sound seiner Band ganz frisch.

Sehr ungewöhnlich klingen Ihre Falco-Interpretationen...

Nino: Die waren eine Herausforderung. Zunächst konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass das funktioniert mit Falco und mir. Aber ich hab's am Ende geschafft, „Ganz Wien“ zur Country-Ballade umzudeuten.

Was ist am Terminus Austropop falsch?

Molden: Austropop ist ein von der Publizistik kreierter Hilfsbegriff, der sich selbstständig gemacht hat. Zuerst wurde er liebgeschrieben, dann ging er allen auf den Zeiger. Jetzt wird dieser Begriff wieder aus einer publizistischen Sehnsucht heraus belebt. Es gibt zwar einen gewissen österreichischen Liedermachersound von Ende der Siebziger bis Mitte der Achtziger, der mit einigen Produzenten, die jeder kennt, verbunden ist. Aber prinzipiell war die Szene von den späten Sechzigern heraus zu heterogen, als dass man sie unter einem Begriff hätte fassen können.

Wie haben Sie die Songs ausgewählt?

Molden: Wir haben zunächst analysiert. Man kann den Austropop grob einteilen in die Befindlichkeitssongs und die Themenlieder, die manchmal gefährlich nahe ans Kabarett kommen und kommerziell erfolgreicher waren. Wir haben uns an die Befindlichkeitssongs wie „Espresso“ gehalten.

Ist die in solchen Liedern zelebrierte Depression des Wieners eine Art Begabung, oder bedient sie nur Klischees?

Molden: Melancholie ist schon ein bisserl eine Kunst der Verfeinerung. Sie ist bei uns kein Widerspruch zum Hedonismus. Selbst durch „Bologna“ von Wanda zieht sich eine Faser der Traurigkeit.

Nino: Die Deutschen beneiden uns darum. Die sind derzeit überhaupt ganz narrisch auf alles aus Wien. In Mainz wurde mir erzählt, dass die jungen Burschen sich einen Wiener Akzent zulegen, um besser Mädchen aufreißen zu können.

Ist Wienern die Schönheit, die vom Schmerz ausgehen kann, eher zugänglich als Deutschen?

Molden: Mag sein. Ich glaube, es gibt hierzulande eine Langsamkeit, die uns vor vielem Negativen bewahrt und auch dazu bringt, uns mit Melancholie näher zu befassen.

Außer bei Georg Danzer war das Frivole ein eher rares Sujet im Austropop. Warum?

Molden: In der Ursuppe des Wieners ist das Geile schon auch drin. Schon der Qualtinger hat eine Mutzenbacher-Parodie gelesen. Wer weiß schon, ob nicht die depressiven österreichischen Liedermacher der Siebziger im Espresso gesessen sind und unterm Tisch doch eine Erektion hatten? Das würde ich nicht ausschließen. Obwohl man sich leid tut, ist man nicht impotent.

Wenn man die Songs anderer interpretiert, analysiert man da deren Bauart?

Nino: Man schaut sich schon an, wie der Verlauf der Geschichte ist. Bei dem, was wir ausgesucht haben, geht der Danzer in Rollen rein, der Ambros hingegen erzählt nur aus seinem Inneren. Da ist er am stärksten, wenn er nichts anderes hat als sich selbst.

Welche Bedeutung hat Sigi Maron für die österreichische Szene?

Nino: Er ist von allen der, der am nächsten zur aktuellen Szene ist.

Molden: Wir haben uns „Die Spur von dein nokatan Fuass im Saund“ ausgesucht, vordergründig ein Urlaubslied, in dem aber sehr viel Soziologie und Politik leben. Schade, dass er nicht mehr auftreten kann, jetzt, da er mit seiner jungen Band zusammengewachsen ist und sich eine neue, junge Hörerschaft erobert hat. Maron, wie auch Willi Resetarits, hat es geschafft, die Talfahrt der Dialektmusik nicht mitzumachen.

Warum haben Sie das schon etwas ältere „Im grünen Wald von Mayerling“ als Abschlusslied gewählt?

Molden: Wir beziehen uns natürlich auf die Version von Qualtinger/Heller. Die haben das auch zu Zeiten des Austropop aufgenommen. Im Grunde war es ein früher österreichischer Popsong. Kurz nach dem Doppelselbstmord von Kronprinz Rudolf und Mary Vetsera wurde es bei jedem Heurigen gesungen. Angeblich hat es der legendäre Leibfiaker Bratfisch selbst geschrieben.

Nino: Ich hab den Qualtinger-Part übernommen, damit die ewigen Vergleiche mit dem André Heller erst gar nicht aufkommen...

War Heller für den Austropop wichtig?

Nino: Mit Sicherheit. Ich habe mit etwa zehn Jahren sein Album „Bei lebendigem Leib“ gehört. Es hat mich schwer beeindruckt. Es war meine erste Austropopplatte. Das Chansonartige hat mir sehr gut gefallen. Kolibris in Frackhemden... – seine Bilder waren immer gut.

Molden: An Heller als Musiker hab ich immer die große Geste geschätzt. Dass er nicht Working Class war, fand ich keinen Nachteil. Er hat gezeigt, dass es okay ist, wenn man zur Spitze der Zirkuskuppel hinaufwill.

Ist unter den ausgewählten Liedern eines, das Sie als „guilty pleasure“, als eigentlich eher peinlich, bezeichnen würden?

Molden: Uns schwebt schon ein zweiter Teil von „Unser Österreich“ vor. Da könnten schon ein, zwei Anti-Lieblinge von uns drauf sein.

Nino: Fendrich böte sich da an.

Molden: Oder „Sehnsucht nach Florenz“ von der Steffi Werger. Wenn man das mit Banjo aufnimmt, könnte es fast wie Bruce Springsteen klingen.

Georg Danzer hat in der „Presse“ 2006 gesagt, er würde jungen Leuten nicht zum Dialekt raten. Das wäre nur etwas für Großväter. Wie sehen Sie das, die Sie beide erst spät mit dem Dialekt begonnen haben?

Molden: Mich hat der Willi Resetarits 2007 dazu ermutigt. Vielleicht war meine hochsprachliche Kunstliedphase auch ein Nicht-anstreifen-Wollen an der einstigen Regionalradioszene. Vom wienerischen Hochdeutsch zum Dialekt ist es oft nur ein winziger Schritt.

Nino: Ich bleibe lieber beim Hochdeutsch. Aber ein-, zweimal im Jahr habe ich Lust, ein Dialektlied zu schreiben. Der Dialekt ist meine erste Fremdsprache, noch vor Englisch.

SteckbriefE

Ernst Molden
Geboren 1967 in Wien als Sohn des Verlegers, Journalisten und Widerstandskämpfers Fritz Molden. Schreibt Theaterstücke („Der Basilisk“), Romane („Doktor Paranoiski“), Singspiele („Häuserl am Oasch“) und Kolumnen. Seit Mitte der 90er als Liedermacher aktiv, zuerst auf Hochdeutsch, später im Dialekt. Zahlreiche Alben, zuletzt „Ho rugg“ (mit Willi Resetarits).

Der Nino aus Wien
Geboren 1987 in Wien als Nino Mandl. Musiker, Liedermacher und Literat. 2009 Teilnehmer am Protestsongcontest mit dem „Spinat Song“. Hatte 2010 einen kleinen Hit mit seinem einzigen Dialektlied „Du Oasch“. Etliche Alben bei Problembär Records, zuletzt „Bäume“ und „Träume“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2015)

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