Musikwirtschaft: "Wir haben eine Lost Generation"

Musikwirtschaft haben eine Lost
Musikwirtschaft haben eine Lost(c) Clemens Fabry
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Was ist eine CD noch wert? Sind illegale Downloads ein Kavaliersdelikt? Wie wird die Musikwirtschaft künftig Geld verdienen? Die "Presse" leitete eine Gesprächsrunde anlässlich der Amadeus Awards.

Kommenden Donnerstag werden wieder die österreichischen Musikpreise, die Amadeus Awards, vergeben. Frau Humpel, Sie haben 2008 einen Amadeus gewonnen und damals im „Presse“-Interview gemeint: „Der Amadeus interessiert abgesehen von den Betroffenen wenige und das zu Recht.“ Im Nachhinein: Hat der Preis etwas gebracht?

Clara Humpel: Für Promotion im Ausland ist er nicht schlecht, weil man Veranstaltern zeigen kann, dass man einen gewissen Stellenwert hat. Das wusste ich aber schon damals. Ich habe allerdings nicht geglaubt, dass meine Gagen steigen würden oder dass ich einen Karrieresprung mache. Und das ist auch nicht passiert.

Hannes Eder: Kein Musikpreis hat die Aufgabe, eine Karriere zu pushen. Er kann aber für eine breitere Aufmerksamkeit im Land sorgen, er hilft im Ausland und er ist natürlich auch eine künstlerische Anerkennung. Immerhin nominiert jetzt eine große Fachjury.

Wenn ich Sie jetzt nicht als Amadeus-Veranstalter und ifpi-Austria-Präsident (ifpi = Verband der Musikwirtschaft Österreich), sondern als Chef von Universal Music Österreich frage, blutet Ihnen dann das Herz, wenn Sie die Nominiertenliste anschauen? Bis auf die Volksmusik sind die meisten Nominierten bei kleinen Labels.

Eder: Nach der Umstellung des Systems beim Amadeus – weg von den reinen Verkaufszahlen hin zur Fachjury – war das klar. Denn das, was in den Charts vorn liegt und das, was an lebendiger Musik in dem Land passiert, klafft weit auseinander. Außerdem haben wir seit 2009 beim Amadeus einen deutlichen Österreich-Fokus. Und die Major Labels produzieren seit vielen Jahren kaum mehr etwas Österreichisches.

Warum?

Eder: Weil ich mir nur eine gewisse Anzahl von Risikogeschäften leisten kann. Ein Major hat einen ganz anderen Kostenaufwand. Es hat viele Mitarbeiter, eine hohe Büromiete usw. Und dann gibt es natürlich Aktionäre, die haben gewisse Erwartungen.

Wie groß ist der Druck der Konzernzentrale?

Eder: Es gibt bei den großen Konzernen zwei Strategien. Die einen machen in kleinen Ländern kein A&R (Artists & Repertoire, kurz: Talententwicklung)mehr. Die anderen, und da gehört Universal dazu, glauben, dass lokales Repertoire überlebenswichtig ist, wobei etablierte lokale Künstler Newcomer quersubventionieren müssen. Ich weiß nicht, wie viele österreichische Produktionen Christina Stürmer mir ermöglicht hat, von denen vorher zu erwarten war, dass das kein Megaseller wird. Leider hat sich der Musikmarkt insgesamt nicht gut entwickelt. Der Konsument ist immer seltener bereit, Geld auszugeben, weil der illegale Mitbewerber Musik im Netz um null Cent anbietet.

Reden wir über Geld. Vor zehn Jahren wurden in Österreich 312,5 Mio. Euro mit dem Verkauf von Musik – CD und digital – verdient. 2009 waren es 182. Herr Quendler, Sie sind hier als Vertreter der kleinen Labels, führen einen Musikvertrieb und einen Musikladen. Kann man Musik heute noch verkaufen?

Harald Quendler: Ein Beispiel: Zu mir in den Laden kommt eine Frau und sagt: „Wie können Sie 18 Euro für eine CD verlangen? Ein Rohling kostet 30 Cent.“ „Na“, sag ich, „dann horchen Sie sich den Rohling an und belästigen mich nicht.“ Das klingt lustig, aber Sie kriegen heute eine Karajan-Doppel-CD im Laden mitunter um 4,5 Euro. Das zahlt man für ein Achtel Wein.

Eder: Aber keine CD von Universal! Aber es stimmt, dass die CD entwertet wurde. Für den Elektrohandel war sie lange Frequenzbringer und hat Kunden angelockt. Jetzt werden die Flächen auf Blu-ray oder Computerspiele umgewidmet. Die CD selbst kostet – ohne Anpassung – immer noch so viel wie bei ihrer Einführung Anfang der 80er, während Konzertkarten rasant teurer geworden sind. Trotzdem ist der unveränderte CD-Preis vielen zu hoch. Und auch das legale Download-Angebot, das ja noch billiger ist, ist ihnen zu teuer.

Humpel: Es ist schade, dass man die Leute dazu erzogen hat, dass alles gratis ist. Der Dame mit den 30 Cent rechne ich gern vor, was ein Tag im Studio so kostet. Aber ich denke, da sind wir zum Teil selber schuld. Begonnen hat es mit Gratis-CDs, die Heften beiliegen. Man gibt den Leuten so das Gefühl: Du brauchst dir das eh nicht mehr kaufen. Ein Symptom dieser Kultur ist auch, dass die Bindung zum Künstler schwindet. Wer wartet heute noch sehnsüchtig auf die nächste Platte der Lieblingsband? Die Leute sind auch überfordert. Jeden Tag kommen 20 neuen Bands raus.

Dafür ist ja der Markt für Musik – auch dank Internet – theoretisch größer geworden.

Eder: Die Nachfrage und der Umsatz von Musik sind so groß wie nie und sie steigen jährlich. Gleichzeitig wird aber aus einem immer kleineren Teil Geld lukriert. Das ist unser Hauptproblem: Ein großer Teil der Bevölkerung will gratis konsumieren und das ohne Unrechtsbewusstsein. Jeder von uns wäre körperlich in der Lage, einer alten Frau auf der Straße das Handtaschl zu stehlen, aber man macht es nicht. Ich will das nicht 1:1 vergleichen, aber offenbar ist Content jedweder Art in Österreich nicht schützenswert. Da braucht man eine politische Grundsatzentscheidung. Die gibt es in unserem Land nicht, in anderen schon. Etwa in Großbritannien, da weiß man, was der Kreativsektor für den Staatshaushalt bedeutet.

Oder auch in Frankreich. Aber tatsächlich helfen die Sanktionen und Drohungen mit Internetsperren nicht. Außerdem ist fraglich, ob Plattenfirmen Bonuspunkte sammeln, wenn sie Musikfans exemplarisch mit absurden Millionenklagen eindecken.

Eder: Geh bitte. Da werden immer die gleichen paar Fälle zitiert. Ich sage ja nicht, dass die jetzigen Modelle der Weisheit letzter Schluss sind, aber es braucht ein Bekenntnis, dass geistiges Eigentum den selben Wert hat wie materielles.

Ich kenne viele Leute, die nicht nur, aber eben auch illegal Musik herunterladen. Darunter Menschen aus der Kreativwirtschaft. Ist man da als Kreativer zwiegespalten: Eigentlich ist man dagegen, privat macht man es trotzdem?

Humpel: Für mich ist das tabu.

Das müssen Sie jetzt sagen.

Humpel: Nein, wirklich, ich finde es Scheiße und respektlos. Ich kaufe bei iTunes oder Vinyl. Ich habe, als mein Album „The Ground Below“ rausgekommen ist, mal ein Posting bekommen: „Liebe Clara, wo kann ich denn das gratis runterladen?“ Da fühl ich mich schon verarscht.

Eder: Sie hätte dir gleich schreiben können: Überweis mir 20 Euro.

Quendler: Genau. Ich glaube allerdings, dass das Problem mit dem illegalen Download nicht alle Labels gleich trifft. Meine Kunden können das gar nicht, die bitten maximal ihren Sohn, ihnen das zu machen. Die haben auch wenig Lust, stundenlang vorm Computer zu hocken.

Eder: Du sprichst jetzt vom illegalen Download, oder?

Quendler: Auch vom legalen.

Eder: Der dauert 20 Sekunden

Quendler: Sehen Sie – ich bin wie meine Kunden. Die altern und sterben mit mir. Andere kleine Labels, jüngere, wie das von der Clara, haben vielleicht durch das Internet neue Verdienstchancen.

Frau Humpel, Sie sind Künstlerin, haben ein Label. Wie verdienen Sie Ihr Geld – außer mit Ihrem Brotjob?

Humpel: Als Label ist es ein Nullsummenspiel. Und als Musikerin ist es so, dass ich trotz allem eine CD machen muss. Denn ohne bekommst du keine Auftritte und kaum Airplay im Radio. Hier wird seltsamerweise in den alten Kategorien gedacht.

Als Promotion-Tool ist die CD also nach wie vor nötig. Sonst ist sie aber tot, oder?

Eder: Über kurz oder lang, ja. Es wird trotzdem immer Leute geben, die physische Tonträger wollen. Ich selber habe einen iPod, aber auf meinem alten Thorens-Plattenspieler Platten aufzulegen macht mehr Spaß. Sicher ist, dass man in Genres, die dem Tonträger noch sehr verhaftet sind, wie Schlager, Klassik, Jazz, Volksmusik noch ein paar Jahre lang mit der CD Geld verdienen wird. Im Popmusik-Massenmarkt wird die CD eventuell in 4, 5 Jahren aber schon völlig irrelevant sein. Und da muss man sich neue Modelle zum Verdienen überlegen.

Glauben Sie wirklich, dass die Entwicklung, Musik als Gratisgut zu betrachten, umkehrbar ist?

Eder: Wir haben sicher eine Lost Generation. Die sind jetzt so sozialisiert, für eine Dekade – vielleicht für länger. Das sind die Zwölf- bis 20-Jährigen. Damit die nächste Generation im Kopf einen anderen Zugang hat, bedarf es einer Bewusstseinsänderung und die wird man politisch steuern müssen. So oder so wird es immer mehr Menschen geben, die Musik nicht besitzen, sondern nur nutzen wollen, sie wie aus einer Bibliothek ausborgen. Das muss man akzeptieren und Erlösquellen abseits vom Verkauf finden. Etwa, indem man statt des Download unbeschränkten Zugang zum bloßen Anhören von Musik bietet, gegen eine Gebühr.

Sie reden von Streaming. Beim Streaming-Dienst Spotify gibt es zwei Modelle: Entweder man zahlt fürs Anhören oder man nutzt den Dienst gratis, muss dazwischen aber Werbung hören. Über 90 Prozent wollen nicht zahlen.

Eder: Na und? Von der Werbung bekommen Label und Künstler auch einen Teil. Wenn die Menschen sich lieber von Werbung für Hirschtalgcreme penetrieren lassen, bevor sie Arcade Fire hören, o. k.. Spotify hat aber noch ein weiteres Angebot: Man kann es auch mobil am Handy haben. Und da zahlen sie eine Zehn-Euro-Flatrate.

Und das ist die Zukunft?

Eder: Für eine gewisse Klientel hundertprozentig. Natürlich gibt es weiterhin das 360-Grad-Modell mit Konzertbooking, Merchandising etc. Aber das wird schwieriger. Einerseits, weil die großen Künstler selbst mitmischen, andererseits, weil sich große Konzertveranstalter wie Labels gerieren und den Künstlern Packages bieten: Welttournee plus Albumveröffentlichung plus Werbeverträge.

Das Geschäft mit Synchronisationsrechten, also die Verwertung von Musik für Film und Werbung, wird immer wichtiger.

Eder: Ja, aber Werber umgehen gern das Label, gehen direkt zum Künstler und sagen: Komm, mach uns das für lau, dafür blenden wir unten beim Spot deinen Namen ein – und dann hat man schon gut verhandelt! Neben den Syncrights gibt es aber noch das Cloud-Computing (Anm: Daten, hier Musik, werden nicht im Endgerät, sondern auf externen Servern gespeichert, auf die der Kunde Zugriff hat). Die Entwicklung, dass man von kleinen praktischen Geräten mobil Zugriff auf große Datenmengen hat, ist deutlich, nur weiß man noch nicht, wie man das so herunterbricht, dass der Urheber von Content auch etwas verdient.


Sind das interessante Verdienstmöglichkeiten für Künstler? Werbung etwa?

Humpel: Früher habe ich mich immer verweigert, weil ich das moralisch verwerflich finde, aber inzwischen kann ich mir diese Moral nimmer leisten. Es wird darauf ankommen, wie die Werbung konkret aussieht, um welches Produkt es sich handelt.

Quendler: Ich habe Zweifel, ob die Sync- rights jungen Künstlern viel bringen. Die Leute greifen zu dem, was sie kennen. Andererseits wird unsere Musik oft bei DVDs einfach verwendet. Ohne zu fragen. Aber was soll ich tun? Klagen? Das bringt nichts.

Derzeit wird an einem Musikfördergesetz gebastelt, das sich am Filmfördergesetz orientiert. Kann Musik ohne Förderungen nicht existieren – auch Major Labels nicht?

Eder: Sogar hervorragend. Indem wir nur Lady Gaga und Rammstein verkaufen. Die Frage ist nur: Was hat Österreich, seine kulturelle Identität und was haben die Künstler in dem Land davon? Also muss man dafür sorgen, dass es für junge Musikschaffende eine Überlebenschance gibt. Die Rahmenbedingungen dafür fehlen noch.

Im Gesetz soll der Musikfonds eine größere Rolle spielen. Jetzt fördert er vor allem Produktion.

Eder: Da geht es um Marketing, Export, Toursupport. Es macht keinen Sinn, etwas zu produzieren, das den Weg zum Kunden nicht findet. Von einem Gesetz sind wir aber noch weit weg, zunächst geht es um die rasche Verdoppelung des Budgets des Musikfonds.

Quendler: Es gibt auch den Aspekt, dass Musik sich nicht rechnen muss. Wenn Sie in andere Kulturbereiche schauen: Theater, Festivals, da ist Fördergeld da.

Apropos Festival: Heuer im Wiener Wahljahr wurde, recht spontan, die alte Idee vom Popfest realisiert. Könnte man das zu einer Präsentationsfläche für österreichische Musik ausbauen, im Hinblick auf Export? Vergleichbar mit dem dänischen „Spot“-Festival?

Eder: Mein Vorbild wäre die Fête de la Musique in Frankreich – eine Art Donauinselfest, das gleichzeitig in ganz Österreich stattfindet, wo vom Präsidenten bis zum Bürgermeister alle da sind.

Frau Humpel, würde Ihnen das als Künstlerin etwas bringen?

Humpel: Solche Ideen gibt es schon lange und es wäre tatsächlich ein guter Zeitpunkt, weil in den letzten paar Jahren in der Musikszene viel passiert ist.

Trotzdem braucht österreichische Musik sanften Zwang. Laut Vereinbarung muss bis 2011 der Anteil in ORF-Radios auf 30 Prozent gesteigert werden. Was bringt das?

Humpel: Die Quote hilft, eine faire Ebene herzustellen. Der ORF hat einen Kulturauftrag, er ist verpflichtet, österreichische Musik zu spielen. Für mich ist das auch finanziell relevant.

Eder: Es ist ein Grundstein für Strukturverbesserungen. Die Privaten machen nichts, was der ORF nicht auch macht. Alarmierend waren die Zahlen: Radio Wien hatte weniger als fünf Prozent Österreich-Anteil. Radio Wien. Inzwischen haben sie sich deutlich gesteigert.
Quendler: Die Quote meint in erster Linie Ö3. Der für uns wichtige Sender ist Ö1 und da kann ich nicht klagen. Überdies meint Quote die Einschalt- und nicht die „Zuhörquote“ – die wird nicht erfasst, wäre aber für uns die wichtigere.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2010)

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