Die Arctic Monkeys haben das Klavier entdeckt

(c) Zackery Michael
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Im neuen, sechsten Album der Arctic Monkeys dominieren mehr oder weniger exotische Tasteninstrumente, das pointierte Gitarrengeschrammel ist verschwunden.

Der Indie-Gitarrenfraktion könnte es bei diesem verspielten Album der Arctic Monkeys die Zornesröte ins Gesicht treiben. Jene aber, die auch Alex Turners zweites Projekt, The Last Shadow Puppets, mit seinen mannigfaltigen Referenzen an Sixties-Soul und französische Filmsoundtracks geliebt haben, werden ihre helle Freude am neuen, sechsten Album haben.

Das pointierte Gitarrengeschrammel ist auf „Tranquility Base Hotel & Casino“ völlig verschwunden. Stattdessen dominieren mehr oder weniger exotische Tasteninstrumente wie die Farfisa-Orgel, das Wurlitzer-Piano und die Dolceola, eine Mischung aus Keyboard und Zither. Es beginnt total versonnen mit den Zeilen: „I just wanted to be one of the Strokes, now look at the mess you made me make.“ Was für eine erstaunliche Zeile für Alex Turner, der längst auf einem Level mit Julian Casablancas, dem Sänger der Strokes, steht.

„Star Treatment“ heißt dieser opulente Opener, der vom Ennui des Rockstars erzählt, zugleich den kreativen Prozess selbst thematisiert. „It was my ,8 ½‘, the Fellini film – where the director character can’t seem to make this movie, however hard he tries“, sagt Turner darüber. Tatsächlich war er einmal mehr in einer schweren Schreibkrise, als das Album entstand: „I have to find ways to trick myself into writing songs. But this time, I’d run out of tricks.“ Ein Blick in einen Abstellraum seines geräumigen Hauses in L. A. veränderte dann alles: Dort stand ein Upright Piano, das ihm sein Manager zum Geburtstag geschenkt hatte. Zum ersten Mal seit seinem achten Lebensjahr befasste sich Turner wieder damit und blühte kreativ auf. Normal komponiert er ja an der Gitarre, mit dem Piano öffneten sich neue Räume.

Versonnen. „Tranquility Base Hotel & Casino“
Versonnen. „Tranquility Base Hotel & Casino“(c) beigestellt

Jesus im Spa. Musikalisch mischte Turner Einflüsse des von ihm heiß verehrten US-Sängers Dion und seines Lieblingsfilmkomponisten François de Roubaix. Bei den Texten inspirierten ihn „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace und Neil Postmans „Wir amüsieren uns zu Tode“. Er gibt den apokalyptischen Loungesänger, der sich in gewählter Sprache über üppige Depressionen, fehlgeleiteten Hedonismus und dysfunktionale Utopien auslässt, dabei aber nie vergisst, den einen oder anderen sardonischen Scherz zu platzieren. Themen und Personal der Lieder sind heterogen. So singt Turner über Jesus, der in einem Day-Spa ein Informationsblatt ausfüllt, wie über religiöse Ikonografie, die wohlige Gänsehaut verursacht. Wirre Texte, melodiensatt und mit überzeugender, weil sehr souliger Stimme dargebracht. Ein Juwel! (Domino)

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