Cher: Nonna Mia

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Cher singt zehn Abba-Songs, ohne sie zu interpretieren.

Benny Anderson, einer der beiden Männer – und Komponisten – von Abba, habe die beiden Frauen – und Sängerinnen – des Quartetts „wie Instrumente verwendet", erklärte Cher der „New York Times", und er habe ihnen keinen Raum gegeben, um sich zu entfalten. Sie, Cher, sei „freier" an die Abba-Songs herangegangen, die sie als „silly and crazy" bezeichnet, und sie habe sich die traurigsten und die spaßigsten davon ausgesucht. Nichts könnte dieses Album schlechter beschreiben als diese Aussage seiner Interpretin. Wahr ist das Gegenteil. Cher hat – abgesehen vielleicht von der Ballade „Chiquitita" – die naheliegendsten Hits gewählt (was ja okay ist), und sie interpretiert sie fast völlig originalgetreu. Was auch okay ist. Und konsequent. Denn wahrscheinlich kann man Abba-Songs nicht originell interpretieren, ohne sie zu zerstören. Deren Mischung aus Naivität und Schlauheit, aus Trivialität (nicht Banalität!) und Eleganz ist nämlich nicht nur genial, sondern auch sehr subtil. Die Wehmut von „SOS" etwa lebt davon, dass sie nur angedeutet, nicht ausgekostet wird. Oder „Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)": Wer diesen Song zu kokett oder aber zu gefühlsbetont interpretiert (und das geschieht gewiss in mancher der zahllosen mittelstädtischen Mehrzweckhallen, in denen Abba-Musicals und -Shows laufen), nimmt ihm den Reiz. Das wusste Madonna sehr gut, die 2005 ein Sample der Keyboardmelodie des Songs ihrem „Hung Up" unterlegte, der das ist, was der zugehörige Albumtitel – „Confessions on a Dance Floor" – versprach: eine Beschwörung der Seele von Disco. Auch Cher hat wohlweislich nichts an diesem Thema verändert.

„Dancing Queen“ versammelt zehn Songs von Abba.
„Dancing Queen“ versammelt zehn Songs von Abba.(c) Beigestellt

Autotune! Was Produzent Mark Taylor den Abba-Songs vorsichtig hinzufügt, ist zweierlei. Erstens spielt Taylor, der ja schon 1998 in „Believe" die Stimme Chers heftig mit dem (damals noch neuen) Autotune bearbeitet hat, stellenweise mit diesem heute im Pop allgegenwärtigen Effekt. Zweitens tut er das, was jeder berechnende DJ in der Hitze der Nacht gern tut (und auch Madonna in „Hung Up" exzessiv tat): am Equalizer werken, die Höhen und Bässe leiser und lauter drehen. Doch auch das tut er erstaunlich behutsam. Und nicht sehr effektiv. Chers „Waterloo" etwa verliert nur kurz und fast unmerklich an klanglicher Brillanz. Schlimmer ist, dass er den atemlosen Rhythmus des Originals durch einen schwerfüßigen Glitter-Rock-Beat ersetzt hat, der schon 1974 altmodisch gewirkt hätte. Motto: In die Vorvergangenheit! So muss das wohl sein in diesen retro­seligen Popzeiten. (Warner)

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