Flying Lotus: Mit David Lynch im Bann der Flammen

Flying Lotus: „Flamagra“
Flying Lotus: „Flamagra“(c) Warp/Rough Trade
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Flying Lotus zündelt wieder gewaltig: Auf „Flamagra“ huldigt er einem instrumentalen Maximalismus.

Feuer als lebenszerstörende, aber auch lebensschaffende Kraft wird in vielen Kulturen verehrt. So auch in der Popmusik, von Arthur Browns psychedelischer Rocknummer „Fire“ bis zu Ramsey Lewis' Jazzfunk-Klassiker „Sun Goddess“. Jetzt steht also auch Steven Ellison alias Flying Lotus im Bann der Flammen. „Flamagra“ heißt sein fünftes, nach fünf Jahren Pause veröffentlichtes Album.

Filmregisseur David Lynch ist einer von neun Gastvokalisten. In „Fire Is Coming“ zeichnet er ein Familienidyll, in das jäh der Schrecken eindringt. Die ersten Indizien sind schwarze Schlieren auf den Blumen, die die Mutter gerade gießt. Dann läutet das Telefon. Das Nahen einer Feuersbrunst wird angekündigt. Jetzt setzen ungerade Beats ein, Keyboards beginnen zu fiepen. Man denkt an den Vorspann von Lynchs „Blue Velvet“: Auch dort bewegten sich Blumen träge im Abendwind; durch ein übernormal wirkendes Vorstadtidyll fuhr ein Löschauto. Unsichtbare Bedrohung wurde spürbar, Normalität als Konstrukt entlarvt.

Das passiert auch in den 27 musikalischen Vignetten, die Flying Lotus hier im Cinemascope-Format ausbreitet. Auch wenn manche Stücke nur knapp eineinhalb Minuten dauern, sind die Hörer hart am Rande der Reizüberflutung. In die kollabierenden Soundskizzen wird ein Höchstmaß an Aromen, Effekten und Reizen eingebaut. Stile der Black Music vermischen sich: spaciger Jazzfunk, hektische Trap-Beats und betörende Soulgesänge mitunter in einem einzigen Stück. Zu den gesanglichen Highlights zählen das von Solange intonierte „Land of Honey“ und Anderson Paaks giftig vorgebrachtes „More“. Auch P-Funk-Papst George Clinton wurde eingeladen. Sein zu einem klatschenden Beat entwickelter Funk-Song „Burning Down The House“ erzählt von den Zweifeln eines Brandstifters.

Archaisches und Hochtechnologie

Prägende Musiker sind Bassist Thundercat und Keyboarder Brandon Coleman, der in Stücken wie „Takashi“ daddelige E-Piano-Tonketten spielt wie Herbie Hancock Ende der Siebzigerjahre. Der Spagat zwischen Nostalgischem und Visionärem glückt recht gut. Trotz einiger Ambient-Sequenzen eignen sich diese 107 Minuten Musik nicht zum Nebenbeihören. Flying Lotus, der als Cartoon-Soundtrack-Komponist und Filmregisseur tätig war, lässt seine Musik cineastischen Prinzipien folgen. „Flamagra“ muss in der vorgesehenen Dramaturgie, also im Albumformat, gehört werden. Nicht jeder Track ist eine Offenbarung, aber insgesamt ist dieses Album ein loderndes Manifest für die Möglichkeiten einer Zukunft, die auf heutigen Erfahrungen aufbaut.

So surft Flying Lotus mit neuester Technologie durch versunkene Welten und noch nicht gekommene Zeiten. Erfahrene Hörer werden Bezüge zu Sun Ra, Lonnie Liston Smith entdecken, Jüngere den Einfluss von Breakbeat-Pionieren wie Madlib und J Dilla. Und doch ist kein Vorwissen nötig, um dieses Album zu genießen. So komplex die Stücke sind, so sinnlich sind sie auch. Schön auch, dass bei dieser Art von maximaler Fusion nicht der früher übliche Macho-Gestus mit protzerischen Soli waltet. Diese Musik ist dem Geist eines umfassenden Zusammenspiel verpflichtet. Auch das ist Labsal.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2019)

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