Caetano Veloso: Loblied auf die Familie als Festung

Caetano Moreno Zeca Tom Veloso: „Ao Vivo Ofertório“
Caetano Moreno Zeca Tom Veloso: „Ao Vivo Ofertório“(c) Universal
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Caetano Veloso stellt sein erstes mit seinen Söhnen, Moreno, Zeca und Tom, aufgenommenes Album vor.

Auf „Ao Vivo Ofertório“ hört man nur Gitarren und Stimmen: Das 46. Album des großen brasilianischen Liedermachers Caetano Veloso, der sich so oft mit vertrackten Sounds vergnügt hat, ist karg arrangiert. Dennoch betrachtet er es als Höhepunkt seines Schaffens. Warum? Weil er es mit seinen drei Söhnen aufgenommen hat, mit denen er derzeit auch in Europa auf Tournee ist. Veloso feiert die späten Freuden der Fruchtbarkeit. Etwa die charakterlichen Unterschiede seiner längst erwachsenen Kids, von denen Moreno, der eigentlich Teilchenphysiker ist, womöglich das beseelteste ist.

„Forca Estranha“, die nachdenkliche Schlussnummer des Liederzyklus, der sich hauptsächlich um die Familie dreht, beginnt Caetano mit unvergleichlichem Stimmschmelz. Bei der Strophe mit den Mädchen setzt zuerst Moreno ein. Er klingt fast noch weicher als sein Vater. Es folgen Zeca und dann Tom, der Jüngste, der nach Bossa-nova-Pionier Antônio Carlos Jobim (den in Brasilien alle Tom nennen) heißt und nach Urteil seines Vaters das meiste musikalische Talent hat. Die „forca estranha“, von der im Lied die Rede ist, ist jene Lebenskraft, die Nietzsche in „Der Antichrist“ dem religiösen Glauben gegenübergestellt hat. Vitalität und Kunst stehen nach Veloso (und Nietzsche) im Wechselverhältnis. „Life is a friend of art, that's what the sun has taught me“, lautet eine Zeile des Lieds. Geschrieben hat es Caetano Veloso einst für den brasilianischen Popstar Roberto Carlos. Veloso sah in ihm jene Vitalkräfte am Werk, für die schon Nietzsche geschwärmt hatte. So schrieb er ihm dieses subtile Lied, das nicht wirklich zu Carlos' damaligem Repertoire passte.

Wiederbegegnung mit der Religion

Zur Religion hat der römisch-katholisch aufgewachsene Veloso eine schwierige Beziehung. Nach Auszug aus dem bürgerlichen Elternhaus wandte er sich, angespornt durch allerlei häretische Literatur, zunächst strikt davon ab. Erst mit der Lektüre von „Das Heilige und das Profane“ des Religionswissenschaftlers Mircea Eliade fand er auf anderer Ebene zu ihr zurück. Heute sucht er die Spuren des Numinosen eher in der Wirklichkeit. So staunt er über seine Söhne und deren Ausdruckskraft. Die meisten Lieder stammen zwar von Vater Veloso, aber es war genug Platz für kreativen Input der Söhne. Wohliges Bauchgefühl erzeugt etwa Moreno Velosos im Falsett vorgetragenes „Todo Homem“, ein Loblied auf die Mutter, mit eleganter Melodie und leicht entrücktem Text.

Das durch und durch sanfte Album beginnt mit „O Seu Amor“, einer stillen Ode an die Liebe. Geschrieben hat sie 2006 Gilberto Gil, mit dem gemeinsam Caetano Veloso in den späten Sechzigerjahren vor der Militärdiktatur nach Europa geflohen ist. Nach ihrer Rückkehr etablierten sie den Tropicalismo, einen höchst erfolgreichen Mischstil, der Bossa-nova-Rhythmen mit atonalen und anarchischen Pop-Einsprengseln würzte. Von derlei Wildheiten ist auf dem aktuellen Werk nichts zu hören. Heute will Veloso die brasilianischen Musiktraditionen hochhalten, statt sie wie früher lustvoll zu dekonstruieren. „Was uns geleitet hat, war eher das existenzielle Erlebnis als der Wille, ein Produkt zu erstellen“, sagt Caetano Veloso. Exakt das wird in aller Zärtlichkeit spürbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2019)

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