„Fidelio“ – eine Oper?

(c) Salzburger Festspiele/Nikolaus Similache
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Über Beethovens „Musik mit Handlung“.

Beethoven, der Meister des Wesentlichen! Mit den ersten Akkorden einer „Eroica“, den ersten
Takten einer Fünften oder Sechsten – und die Beispiele für den Beginn eines Stückes von ihm sind in diesem Sinn zahlreich – nimmt er den Zuhörer an der Hand und führt ihn sofort und unmittelbar wie kein anderer an die Essenz eines Werkes heran. Durch insistierende Wiederholungen verdeutlicht und vergrößert er seine Aussage. Genauso verhält es sich mit dem Beginn der Overtüre zu „Fidelio“.

Tonarten in der klassischen Musik sind große emotionale und farbliche Räume. Von der Barockzeit bis zur Spätromantik betrachten wir die Tonart E-Dur als die Liebestonart. In genau dieser stürmt Beethoven los. „Fidelio“ wurde auch oft als das „Hohelied der Gattenliebe“ im Untertitel gegen den Willen Beethovens bezeichnet. Also: eine romantische Oper auf die Liebe?

Für mich ist „Fidelio“ am ehesten als „Musik mit Handlung“ zu bezeichnen. Um noch einmal zum Beginn der Overtüre zurückzukommen: E-Dur, die Liebestonart, die nur noch einmal erscheint, nämlich in der großen Arie der Leonore, in der sie von ihrer Liebe, der Größe ihrer Liebe zu Florestan, singt. Beethoven verwendet im ersten Takt ein Intervall, das auch in der Musikgeschichte für den herabsteigenden Christus verwendet wurde. Und das im punktierten Marschrhythmus, der im Finale der „Oper“ auch als Revolutionssymbol verwendet wird. Außerdem sind die Anfangsnoten der ersten drei Takte die gleichen Intervalle wie im letzten Satz der Fünften, die dort ein französisches Revolutionslied zitiert. Liebe, Christus, Revolution – diese Begriffe zeigt uns Beethoven schon innerhalb der ersten paar Sekunden!

Oper funktioniert meist so, dass eine Handlung in Musik gesetzt wird, die die Handlung beschreibt, musikalisch ausmalt, verdeutlicht, kommentiert etc. Hier ist es die Musik, die, wie in seinen Symphonien und auch in anderen Werken, die politisch-philosophische Botschaft vermittelt und zur Verdeutlichung eine Handlung benützt. Bei Mozart sehen und erfahren wir zum ersten Mal, wie bei der Gräfin im „Figaro“ zum Beispiel, dass uns eine Figur auf der Bühne einen Einblick in ihr Seelenleben gibt. Bei „Fidelio“ müssen alle Figuren in den Dienst der Botschaft Beethovens treten. Es geht nicht um ihre Befindlichkeiten, sondern darum, dass sie Träger einer utopischen Botschaft sind: des Willens zum Guten, wie es große Denker im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts genannt haben, der Freiheit als Ausdruck eines politischen und philosophischen Wollens.

Das erklärt auch die zwei musikalischen „Fenster“ in der Handlung im ersten Akt, das wunderbare Quartett und den Chor der Gefangenen „Oh, welche Lust, in freier Luft den Atem leicht zu heben!“ Der Weg zu dieser Vision der politischen und individuellen Freiheit wird mit der Handlung des „Fidelio“ aufgezeigt, aber wie jede Vision bleibt sie Utopie. Wenn man nach den Sternen greift, geht es nicht darum, diese vom Himmel zu holen, sondern es geht um die Anstrengung, den Akt des Handelns. Das gibt uns auch Hinweise auf den Schluss: Weder der Jubel in der Handlung noch ein konzertanter Schluss wird ihm gerecht. Auch Beethoven bricht hier sehr abrupt ab und setzt nicht wirklich einen Schlusspunkt wie zum Beispiel in der Fünften.

Die Liebe Leonores, das Leiden Florestans, die Hoffnung der Gefangenen, die Hoffnungen Marzellines, die Enttäuschungen, die Rachelust Pizarros werden alle diesem Strom, der auf diese Vision zufließt, unter- und eingeordnet. Natürlich gibt es auch in der Musik situationsbeschreibende Momente wie das Ausheben des Grabes, aber die anderen Elemente, die verdeutlichen, worum es Beethoven geht, sind omnipräsent und erzeugen diesen Strom hin auf ein Ziel: die Befreiungsrhythmen, die Revolutionsrhythmen, die Tonarten der Liebe, die seelischen Vorgänge (Quartett und Duett Leonore/Florestan) des Todes (Pizarro-Arie), der Hoffnung (die Gefangenen am Beginn des ersten Finales, Rocco in seiner Hoffnung auf Geld, Allegro der Arie Florestans), des Poetischen (Ende der Florestan-Arie, Gebet im zweiten Finale), das nachtumgebene Träumen Florestans im Adagio seiner Arie, das schon auf Tristan hinweist, das reinigende Feuer im Herzen (zweiter Teil der Marzelline-Arie, Ende des zweiten Finales).

All diese Dinge sind nicht im realistischen Sinn zu nehmen, sondern wie ausgeführt als Teil einer politischen und philosophischen Vision Beethovens für ihn und die Menschheit.

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