„Eine ‚Salome‘ ohne einen Tropfen Blut – das ist großartig!“

(c) Neumayr/ Leo
  • Drucken

Markus Hinterhäuser, Intendant der Salzburger Festspiele, im "Presse"-Interview über Macht ohne System und Kunst als Geografie unserer Existenz.

Das Programm der Festspiele wird von einem thematischen Faden zusammengehalten. Wie findet man diesen?

Die Festspiele haben in Dichte und Heterogenität ihrer Veranstaltungen eine ziemlich einzigartige Dimension, mit verschiedensten Erwartungshaltungen und Bedürfnissen. Man muss dieses riesige System auch kommunikativ bewältigen – da sollte man sich schon sehr präzise Gedanken machen. Was heißt das, wenn wir sechs Opern produzieren, wenn wir 90 Konzerte machen, wenn wir fünf Schauspielpremieren haben, außerdem Zusatzveranstaltungen jeder Art und ein Dutzend Spielstätten? Wie bringt man das alles zusammen? Ich sehe diese Aufgabe auch als eine künstlerische, und Kunst ist für mich ohne Form nicht möglich. Andere können das vielleicht dem Zufall überlassen, ich kann es nicht. Ich muss auch wissen, warum ich etwas tue. Wenn ich das Warum für mich nicht geklärt habe, finde ich auch keine Antwort auf das Wie. Die wesentlichen, dauerhaftesten künstlerischen Äußerungen sind die Geografie unserer Existenz und immer in einem größeren Kontext zu sehen. Nichts entsteht aus dem Nichts.

Strategien der Macht war 2017 das Thema, in dieser Saison sind es Passion, Leidenschaft. Das ist gar nicht so weit entfernt von 2017, wo es, etwa in Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ und Wedekinds „Lulu“ auch viel um Macht in Beziehungen, um den „Geschlechterkampf“ ging . . .

2017 ging es um Strategien der Macht, Mechanismen der Macht, Zumutungen der Macht. Beschäftigt man sich mit diesen Phänomenen, muss man sich auch mit der Systematik der Macht beschäftigen. Es gibt aber auch Formen der Macht, die nicht einem System unterliegen, die sehr viel schwieriger zu bändigen, zu zähmen sind, die mit Emotion, Leidenschaft und Obsession zu tun haben, also mit etwas Unkontrollierbarem. Richard Strauss’ „Salome“ ist die Geschichte einer Obsession, die bis an die Grenzen der Zumutbarkeit geht. Tschaikowskis „Pique Dame“ ist in letzter Konsequenz auch die Geschichte einer zerstörerischen Unterwerfung, und Hans Werner Henzes „The Bassarids“ erzählen von nichts weniger als dem Sieg des Irrationalen über die Ratio, man könnte auch sagen von der vollkommenen Machtergreifung des Hedonismus. Auch Monteverdis „Poppea“ ist, wie schon Harnoncourt gesagt hat, eine zutiefst amoralische Geschichte.

Mozart hat 2017 das helle Gegenstück zu all den Zumutungen der Macht geliefert: „La clemenza di Tito“ feiert das Vergeben. Kann man auch hier eine programmatische Analogie sehen, wenn heuer am Anfang des Sommers die „Zauberflöte“ steht?

Für mich richtet die „Zauberflöte“ ein Mikroskop auf alle Fragen, um die es im Weiteren gehen wird. Das Wunder, das Mozart vollbringt, besteht darin, ein utopisches Gleichgewicht zwischen allen Antagonismen, allen höchstgradigen Spannungen zu schaffen. Dennoch hat Mozarts Utopie rein gar nichts mit Verharmlosung zu tun. Sie hat sehr viel mit dem, was man im Englischen so schön „Age of Enlightenment“ nennt, der Aufklärung zu tun, also mit einer Thematik, mit der sich der Schriftsteller und Historiker Philipp Blom in seiner Eröffnungsrede der diesjährigen Festspiele befassen wird.

Wie viel hat die Wirksamkeit von Kunst für Sie mit direkter Aktualisierung zu tun?

Ich halte nichts von einfältigen Aktualisierungen. Welches Bild findet ein Regisseur für den Moment, in dem in der „Salome“ der Kopf des Jochanaan gebracht wird? Ein bis heute und vielleicht gerade heute vergleichslos schockierender Moment. Wenn jetzt der Regisseur der „Salome“, Romeo Castellucci, sagt: Ich würde gern eine ‚Salome‘ ohne einen Tropfen Blut machen – dann finde ich das absolut großartig, dann meidet er alles Plakative. Die großen Gedanken in der Kunst eignen sich nicht für stupide Gegenwartsbezüge; einer ausschließlich rückwärtsgewandten Reanimierung kann ich allerdings auch nichts abgewinnen. Das wäre mir als Unternehmung dann doch zu bescheiden. Ich glaube fest daran, dass wir große Werke immer wieder neu befragen müssen, sie untersuchen müssen auf das, was für uns heute wesentlich ist. Der Atem und die Vitalität der großen Kunst kommt aus dieser ständig neuen Überprüfung. In letzter Konsequenz geht es wohl auch um etwas, das Flaubert als „Éducation sentimentale“, die Erziehung des Herzens, bezeichnet hat.

Die griechische Tragödie ist im Opern- und im Schauspielprogramm sehr präsent, direkt, etwa mit den „Persern“, und auch durch Künstler wie Kleist oder Henze, die sich von den antiken Dramatikern inspirieren ließen. Kam Ihr Interesse daran auf dem Umweg über die Musik?

Nein, das ist etwas, was mich schon lange beschäftigt. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich immer stärker angezogen werde von der Kunst als Kontinuum. Natürlich gibt es Brüche, Krisen, aber dennoch – man kann Werke von Euripides bis Heiner Müller in eine gedankliche Choreografie bringen.

Die Salzburger Festspiele setzen viele Schwerpunkte für ein jüngeres Publikum, trotzdem ist klar, dass dieses eine Minderheit in Salzburg ist. Beschäftigt Sie diese Frage, die ja auch viel mit der Zukunftsfähigkeit der Festspiele als Institution zu tun hat?

Was wir tun müssen, um Salzburg auch für ein neues Publikum zu
öffnen, das tun wir in Form von intensiven Jugendprojekten. Ich glaube aber, dass keine Institution, auch die Salzburger Festspiele nicht, à la longue im Stande sein wird, gesellschaftliche Mängel und bildungspolitische Konzeptlosigkeiten zu kompensieren. Hier geht es um Fragen der Bildungssysteme, um eine Grundeinstellung zur Kultur, also um zutiefst gesellschaftspolitische
Phänomene. 

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.