Salzburger Festspiele: Perfekter Bernstein

Conductor Simon Rattle takes part in the opening ceremony of the London 2012 Olympic Games at the Olympic Stadium
Conductor Simon Rattle takes part in the opening ceremony of the London 2012 Olympic Games at the Olympic Stadium(c) REUTERS (KAI PFAFFENBACH)
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Das London Symphony Orchestra unter Simon Rattle eröffnete sein Gastspiel mit Bernsteins zweiter Symphonie.

Im Vorjahr war Sir Simon Rattle noch als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen. Heuer präsentiert er sich hier mit dem ebenso traditionsreichen London Symphony Orchestra, dessen Musikdirektor er seit Herbst 2017 ist. Leonard Bernstein, dessen hundertster Geburtstag am Samstag ist, hat es öfters dirigiert, bei Konzerten wie im Plattenstudio.

So lag ein Geburtstagstribut nahe – und hätte nicht besser ausfallen können als an diesem Abend. Die Londoner brachten Bernsteins zweite Symphonie, „The Age of Anxiety“, inspiriert vom gleichnamigen Gedicht von Wystan Hugh Auden. Sie ist in zwei große, wiederum in jeweils drei Sätze geteilte Abschnitte gegliedert, sie schildert musikalisch, wie vier Personen in einer Bar über existenzielle Fragen diskutieren, sich dabei, animiert durch heftigen Alkoholkonsum, ihre Traumwelten erschaffen. Ein besonders charakteristisches Werk für den stets um den Sinn des Lebens und seine eigene Gläubigkeit tief ringenden Komponisten, der sich darin auch selbst verewigt hat: im Klavierpart, den er bei der Uraufführung 1949 in Boston selbst ausführte und als Ausdruck seiner persönlichen Identifikation mit dem Gedicht bezeichnete. Mit aller nur denkbaren Energie präsentierte das London Symphony Orchestra unter Rattles stets anfeuernder Leitung dieses mit zahlreichen Hinweisen auf die Musik anderer Komponisten sowie mit fesselnden Jazzepisoden gespickte, zwischen Symphonie und Klavierkonzert pendelnde Werk, das es vor wenigen Monaten bereits für Platte eingespielt hat – mit Krystian Zimerman, der diesen anspruchsvollen Part schon unter Bernstein gespielt hat und nun auch im Großen Festspielhaus begeisterte –, mit einer klanglich wie rhythmisch bis ins letzte Detail ausgefeilten Interpretation. Bernstein hätte ihn dafür gleich mehrfach umarmt.

Exzellent auch das Finale, Leoš Janáčeks „Sinfonietta“, das prominenteste symphonische Werk, das jemals von einem Sportverein beauftragt wurde. Es entspricht Rattles auf Präzision, Durchsichtigkeit und stete Hochspannung zielendem Musizierideal mehr als Dvořáks „Slawische Tänze“ Opus 72. Deren Melodienreichtum und musikantischem Charme wäre man mit weniger Strenge und mehr Freiheit für die Musiker gewiss besser gerecht geworden. Mit zackiger Marschmusik, wie sie in Rattles Lesart zuweilen durchschien, haben diese Stücke jedenfalls nichts zu tun.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2018)

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