Pascal Dusapin: Gestochen scharf

Pascal Dusapin. Komponist für komplexe Stille und angewandte Neoromantik.
Pascal Dusapin. Komponist für komplexe Stille und angewandte Neoromantik. (c) Salzburger Festspiele/Philippe Gontier
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Wie ein Kalligraph mit Tinte und Lineal schreibt der Franzose Pascal Dusapin Musik, die klingt, als hätte sie sich gerade selbst geboren. In Salzburg führt sie einen zu Nietzsche, Meister Eckhart und in einen wilden, zauberhaften Morgen in New York.

„Vergessen wir das Klavier!“, rief einst der Komponist Edgar Varèse seinen Schülern zu. Pascal Dusapin hat den gebürtigen Franzosen Varèse einmal seinen „musikalischen Großvater“ genannt, doch diesen Rat hat er nicht beherzigt. Vor zehn Jahren ging er im Gegenteil daran, das Klavier als Instrument einer persönlichen Neoromantik zu rehabilitieren. Sein damals entstandener Liederzyklus „O Mensch“ wird als eines von mehreren Werken bei den diesjährigen Salzburger Festspielen zu hören sein.

Sie bescheren dem Publikum heuer als Schwerpunkt „Zeit mit Dusapin“ einen der bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten Frankreichs. Seine Musik pflügt sich in Salzburg tief durch die Zeiten: Da beginnt nicht nur ein Morgen auf Long Island zu klingen, sondern auch der Schmerz Friedrich Nietzsches, die rasende Verzweiflung Medeas oder die stille Mystik des Meister Eckhart.

Stille herstellen. Gestochen scharf setzt der 64-jährige Franzose mit immer noch üppiger Künstlermähne an seinem Schreibtisch die Noten aufs Papier wie ein chinesischer Kalligraph. Ohne Lineal und Tinte arbeitet er nicht, dafür entstehen ganze Werke, ohne dass der Komponist je zu einem Instrument greift. Und ganz gleich, wie komplex diese rhythmisch sind, wie mathematisch durchdacht – stets bleiben sie nah am Gesang.
Wenn Varèse Dusapins „musikalischer Großvater“ war, dann war der Grieche Iannis Xenakis sein „musikalischer Vater“. Bei ihm studierte Dusapin in den Siebzigerjahren in Paris. Noch in den 1980ern komponierte er als leidenschaftlicher „Xenakianer“, am Ende jenes Jahrzehnts entstand seine erste Oper, nach Shakespeares „Romeo und Julia“. Bald darauf nahm sich Dusapin einen Medea-Bühnenmonolog von Heiner Müller vor. „Medeamaterial“ ist das früheste von Dusapins in Salzburg zu hörenden Werken.

»Wer hier nicht lachen kann, soll hier nicht lesen. Denn, lacht er nicht, packt ihn „das böse We-sen“.
(Aus dem Liederzyklus „O Mensch!“.)«



Neben „Medeamaterial“ werden in Salzburg intimere Werke zu hören sein: Dunkle Vertonungen lateinischer Texte des Totenoffiziums, des deutschen Mystikers Meister Eckhart – und Nietzsche. Hier wird der Franzose hemmungslos neoromantisch. Er hat den Zyklus „O Mensch“ seinem künstlerischen Freund, dem Baritonsänger Georg Nigl, auf den Leib geschrieben – und genau den wird man in Salzburg auch hören, gemeinsam mit Pianistin Olga Pashchenko. 2011 hatte Nigl diese Lieder als Erster öffentlich gesungen, aus diesem Jahr stammt auch die Fanta-sie „Morning in Long Island”, die auf einem New-York-Aufenthalt des Komponisten basiert. Das klingt mal bedrohlich, zauberhaft, wild – und einfach mitreißend.

Bildkomponist, schwarzweiß. Eine weitere Leidenschaft Dusapins neben der Musik ist die Fotografie, wie die Leica Galerie Salzburg ab 25. Juli in einer eigenen Dusapin-Ausstellung zeigt. Sein Vater hat Dusapin die Liebe zu dieser Kunstform und die ersten Grundlagen dafür vermittelt. Die Musik, das sei in seiner Studentenzeit wie ein „gnadenloser Kampf“ gewesen, erzählt er, er habe etwas ganz Anderes dazu gebraucht – wie eben die Fotografie.

Dennoch gibt es beträchtliche Gemeinsamkeiten zwischen dem Musik- und dem Bildkomponisten. Beide beschäftigt besonders die Konstruktion, die Architektur, die Form. Offenbar auch deswegen sind seine Bilder nur in Schwarzweiß gehalten. „Ich sehe nichts in Farbe“, sagt er auch. „Ich glaube, dass das Schwarzweiß mir erlaubt, weniger das Reale und mehr die Form zu sehen.“

("Die Presse", Salzburger Festspiele, 01.06.2019)

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