Salzburg: Jubel für zwei extreme Stücke

Kirill Petrenko zeigte bei den Festspielen Schönberg und Tschaikowsky als Seelenverwandte.

Was haben Schönbergs Violinkonzert und Tschaikowskys Fünfte miteinander zu schaffen? Schon bei seinem Antrittskonzert als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker ließ Kirill Petrenko Beethovens Neunte und Bergs „Lulu“-Suite aufeinandertreffen, also eine populäre Symphonie des 19. Jahrhunderts mit einem Werk der klassischen, aber von manchen immer noch gefürchteten Moderne. Von einer bloßen Erziehungsmaßnahme des Publikums kann jedoch keine Rede sein, stattdessen vernahm man an diesem zweiten Gastspielabend eine verblüffende Verwandtschaft der beiden Werke.

Die Bemühungen der fulminanten Patricia Kopatchinskaja, der kaleidoskopisch wechselnden, oft grimassierenden Musik in Schönbergs Violinkonzert wo immer möglich aufmüpfige, schalkhafte, urwüchsig musikantische Züge abzugewinnen, waren grandios zu erleben – und zugleich auf grandiose Weise zum Scheitern verurteilt. Diese Klänge sind und bleiben sperrig, ja sogar verbissen. Und genau dieser wilde Trotz macht das Stück aus, auch noch im traumzart hingetupften Pianissimo, auf das sich die Berliner unter Petrenko ebenso famos verstehen wie auf Akkorde, die sie mit gleichsam vorgerecktem Kinn hinknallen. Es schien, als könnte man Schönbergs Emigrationsnöte spüren – und seine grimmige Energie, es allen zu zeigen, zu überleben, weiterzumachen, zu siegen.

Verstörender Geistertanz

So merkwürdig es scheinen mag, aber da war es nicht weit zu Tschaikowskys Fünfter, deren Schlussjubel oft fragwürdig und hohl klingt. Auch bei Petrenko – aber mit Sinn. Er betont die Labilität des Leitmotivs, dieses Marsches, der je nach Beleuchtung zum Tod oder in den Sieg führen kann. So wird das Manisch-Depressive zum roten Faden der Symphonie, deren latente Übersteigerungen schon im Stirnsatz genau dosiert auftreten. Im beseelten langsamen Satz reißen Abgründe auf, der scheinbar leichtfertige Walzer wird zum verstörenden Geistertanz. Und im Finale erstarrt der Bombast auf gruselige Weise zur Maske, hinter der Tschaikowsky sein Gesicht verbirgt. Jubel für zwei extreme Stücke, die wie kompositorische Verzweiflungstaten ihrer Schöpfer erschienen und zugleich von der echten oder vermeintlichen Überwindung dieser Verzweiflung erzählten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2019)

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