"Mädchen hinter Gittern": Händchenhalten wird bestraft

Das burgunderrote Shirt ist ein Zeichen: Brianna hat die Regeln befolgt.
Das burgunderrote Shirt ist ein Zeichen: Brianna hat die Regeln befolgt.(c) Netflix
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Die Doku-Serie "Mädchen hinter Gittern" zeigt den Alltag in einem US-Jugendgefängnis. Das ist auf den ersten Blick bestürzend. Auf den zweiten rührend.

Aufenthaltsräume mit kahlen Wänden und vergitterten Fenstern. Möbel aus Plastik und Metall, alles leicht abwaschbar, das meiste verschraubt. Mauern. Stacheldraht. Die Befehle zum Essenfassen oder zum Antreten erfolgen via Lautsprecher, den Weg in den Garten – immerhin, es gibt einen Garten, mit Schaukeln sogar! – müssen die Mädchen im Gänsemarsch zurücklegen, Hände auf dem Rücken. Wer ausfällig wird, landet in Isolationshaft. „Da drinnen drehst du durch“, sagt eines der Mädchen. Der erste Eindruck jener Anstalt, in der Brianna, Chrissy und Co. – allesamt unter 18 – ihre Strafe abbüßen, ist verstörend. Und die Regeln sind es auch. Berührungen sind verboten, als ein paar Insassinnen bei einer improvisierten Trauerfeier für die verstorbene Lieblingskatze sich an den Händen halten, greift ein Wachdienst ein: Auseinander! Freundschaften, gar Liebesbeziehungen versuche man zu verhindern, sagt der Direktor. Die Teenager sollen sich auf sich selbst konzentrieren. An sich arbeiten. Sich bessern.

Wie viel ist Propaganda?

Die Madison Juvenile Correctional Facility, in der Loud TV drehen durfte, ist in den USA eine Vorzeigeeinrichtung. Von den Entlassenen müssten nur 20 Prozent wieder aufgenommen werden, 80 Prozent sehe man nicht wieder. Wie viele davon freilich mit der Nadel in Arm im Hinterhof aufgefunden werden oder im Erwachsenengefängnis landen, sagt man nicht. Die Mädchen, die gezeigt werden, sind Vorzeigehäftlinge: Wenn wir sie kennen lernen, stehen sie meist knapp vor der Entlassung oder tragen das burgunderfarbene Shirt, Zeichen dafür, dass sie die Regeln befolgen. Gründe genug also, dieser Serie skeptisch gegenüberzustehen: Wie viel ist Propaganda? Was passiert eigentlich, wenn die Anstaltsleitung befiehlt, die Kamera abzudrehen? Oder wenn sie gar nicht erst dabei ist?

Insofern ist besonders interessant, was trotzdem passiert, und es passiert eine ganze Menge, das nicht gesteuert werden kann: Jugendliche hören auf, sich hinter eingelernten Floskeln – „Ich weiß, ich muss an mir arbeiten“ – zu verstecken und erzählen. Das Anstaltspersonal zeigt seine Hilflosigkeit. Und die Regeln werden allzu oft brüchig: Das mit dem Berührungs- und Beziehungsverbot klappt zum Beispiel ganz und gar nicht: Es gibt tote Winkel, und die Kinder kennen sie genau. Dass Armani und Alexis dauernd zusammenstecken, ist den Betreuern und dem Wachpersonal sicher auch aufgefallen. Sie greifen nicht ein: Weil sie wissen, dass Teenager jemanden brauchen, dem sie sich öffnen, und dass das nicht immer der Anstaltspsychologe sein kann.

Oft erzählen kleine Szenen am erschütterndsten von der Not der Mädchen: „Ich hasse es, wenn mich jemand berührt. Weil ich den dann auch berühren will“, sagt Najwa zu ihrer Betreuerin. Sie ist wegen eines kleineren Deliktes in der Anstalt gelandet, eigentlich hat sie ihre Strafe längst abgesessen, doch keiner holt sie ab. Die Mutter ist vermutlich im Drogenrausch verschollen, wo der Vater steckt, weiß keiner, also muss sie sehen, wo sie mit ihrem Wunsch nach ein wenig menschlicher Wärme bleibt, der so groß ist, dass sie nur eines kann: sich dagegen wehren. Eine Serie, nach deren Abschluss man beginnt, die Namen der Protagonistinnen zu googeln. In der Hoffnung: Sie sind auf den Füßen gelandet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2018)

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