Song Contest-Inszenierung: Jeder Blick wird geprobt

Marvin Dietmann ist Choreograph und als Stage Director für die optische Inszenierung der einzelnen Beiträge verantwortlich.
Marvin Dietmann ist Choreograph und als Stage Director für die optische Inszenierung der einzelnen Beiträge verantwortlich.APA/GEORG HOCHMUTH
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Stage Director Marvin Dietmann erzählt der "Presse", worauf es beim Song-Contest-Auftritt ankommt, und wie auch ohne die Stars jede Bewegung einstudiert wird.

"Ich glaube, niemand versteht den Song Contest, diesen Wettbewerb an sich", sagt Marvin Dietmann. "Was du machen kannst, ist ein schönes Konzept, eine schöne Show auf die Beine stellen. Der Rest ist reine Willkür." Dass 40 Delegationen dieses Ziel erreichen, dafür ist er verantwortlich. Dietmann ist Stage Director des Song Contests in der Wiener Stadthalle, er kennt alle Bühnenkonzepte, hat sie auf die Bühne gestellt und berät die Choreographen der Delegationen.

"Alle Teilnehmer versuchen, professionelle Konzepte zu schreiben", weiß Dietmann und sieht eine Verbesserung zu den Krisenjahren des Song Contest in den Anfängen der 2000-er Jahre: "Da fährt nicht plötzlich ein Zwerg mit einer Zwei-Meter-Mütze, der auf einem Einrad jongliert, über die Bühne. Wir stellen keine Kirche mehr auf die Bühne, kein Riesenrad. Das Höchste der Gefühle sind ein paar Koffer bei Rumänien - minimal, und unterstützt trotzdem die Aussage des Songs." Den Wow-Effekt übernimmt in den letzten Jahren auch immer mehr die LED-Wand.

Stand-in-Casting ins Blaue

Seit November 2014 ist Dietmann mit der Vorbereitung des Song Contests 2015 beschäftigt. Die sogenannten Stand-ins mussten gecastet werden. Diese Doubles müssen bei den Proben in der Stadthalle die Positionen der Sänger und Tänzer einnehmen, die Choreographien einstudieren und auch die Songs live singen. Kein Job für Statisten, sondern für ausgebildete Sänger und Tänzer. 600 Menschen hätten sich beworben, erzählt Dietmann. Ein Casting ins Blaue, denn im November des Vorjahres wusste noch niemand, wer überhaupt für welches Land antreten wird. Wie viele Tänzer man braucht, welche Statur und Stimme die Teilnehmer haben? Alles unklar. "Es hat größtenteils gepasst, ein paar Adaptionen waren nötig."

Und dann trudeln auf Dietmanns Schreibtisch nach und nach Konzepte, sogenannte Storyboards ein - visuell unterstützt von im Idealfall mehreren Videos. Gemeinsam mit den Stand-ins, Licht-, Ton-, LED-, Bildtechnik stellt er die einzelnen Acts dann für die Bühne in der Stadthalle zusammen - mit den Stand-ins. Die Sänger und Tänzer üben genau die Kamerapositionen, Choreographien und Blicke ein, die dann auch bei der Show funktionieren sollen. Die Bühnendoubles geben Feedback, welche Bewegung sich gut und richtig anfühlt.

Die tatsächlichen Delegationen reisen erst eine Woche vor dem ersten Halbfinale an. Ein Video der Stand-in-Proben bekommen die Delegationen natürlich zu sehen. Es gibt Adaptionen. Doch im Großen und Ganzen ist die Arbeit von Dietmann bereits getan, wenn die Delegationen anreisen.

Technik stark verbessert

Die technischen Hilfsmittel hätten sich in den letzten Jahren enorm verbessert. Man schneidet nicht mehr gänzlich live, sondern programmiert vor, damit die Bildschnitte exakt mit dem richtigen Moment im Song übereinstimmen. Pyroeffekte werden auf die Sekunde genau gezündet. "Das ist großartig, weil du Qualität für ein Projekt, das über Wochen und Monate geht, sukzessive steigern kannst." Dennoch: Fällt eines der Systeme aus, müssen die Handgriffe auch so sitzen.

In der Song Contest-Woche steht Dietmann den Gruppen beratend zur Seite. Es gehe nicht darum, seine eigenen Vorstellungen umzusetzen. Seine Rolle sei die eines Dienstleisters. "Ich kann vorschlagen, dass man kameratechnisch gewisse Dinge besser lösen könnte, aber die Entscheidung liegt dann in den Händen der Delegationen". Man vertraue aber auf seinen Rat. "Ich weiß schon, wie die Bühne reagiert, wie die Kameras reagieren. Ich habe mehrere Wochen auf der Bühne gearbeitet, weiß wo ihre Schwächen und Stärken liegen."

Conchita-Staging: "Mutige Kameraschnitte"

Der ESC ist Teil des Lebens von Marvin Dietmann geworden. Im Jahr 2011 erstellte er erstmals ein Konzept für einen Song Contest-Beitrag - in Bulgarien. In jenem Jahr ging Österreich nach längerer Pause erstmals wieder in Düsseldorf an den Start. Seit 2012 betreut Dietmann die österreichischen Beiträge. Auch für das Staging von  Conchita Wurst zeichnete er verantwortlich. Die Idee war, nicht mit Effekten wie Bodennebel, LED und Wind zu sparen und doch reduziert zu agieren. "Wir waren mutig bei den Kameraschnitten. Über 35 Sekunden eine Kameraeinstellung mit Gegenlicht. Man hat Conchita nur in Konturen gesehen." Das Konzept ging auf.

Wer den Song Contest nicht ernst nehme, übersehe die Nachhaltigkeit des Bewerbs. Viele Künstler hätten die Plattform für Karrieren genutzt - nicht nur Udo Jürgens und Abba. Für österreichische Gruppen sei der ESC immer wieder eine wichtige Plattform, wo man sich präsentieren kann. "Es ist einer der größten Events, die wir haben. Ich bin froh ihn einmal selbst produziert zu haben. Da kann man nur dankbar sein."

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