»Die Welt des Fußballs ist rückständiger«

Die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling betreut schwule Profifußballer und erklärt Vereinen, was sie gegen Homophobie tun können. Ein Gespräch über Geld, Werte und die Macht des Sports.

Es gibt keine Untersuchung darüber, wie viele schwule Spitzensportler es gibt. Damit lässt sich doch auch nicht abschätzen, wie relevant das Thema überhaupt ist?

Tatjana Eggeling: Ich brauche die Zahl nicht. Schon ein einziger Spieler, der seinen Sport nicht unbeeinträchtigt von Diskriminierung treiben kann, ist einer zu viel. Da geht es auch um ökonomische Nachteile für die Vereine. Sport ist ja heute auch ein Wirtschaftsfaktor. Stellen Sie sich vor, eine Fußballschule bildet vielversprechende junge Talente aus. Und dann stellt einer, wenn er in die Pubertät kommt, fest: Oh, ich steh auf Jungs. Das passt nicht zum Fußball, und ich halte es nicht aus, mich verstecken zu müssen. Dann hört eine junge Karriere auf, bevor sie noch richtig begonnen hat. Bis dahin hat der Verein aber schon hunderttausende Euro in so einen Spieler investiert. Also muss er schon zur ökonomischen Selbsterhaltung etwas gegen Homophobie tun.

Und die gesellschaftliche Dimension?

In unserem Alltagsleben ist Sport allgegenwärtig, bis hin zur Freizeitkleidung. Fußballstars sind ja auch einfach interessanter als Politiker. Wenn sich in der wichtigsten Sportart eines Landes etwas verändert, dann hat das eine große Strahlkraft, weit über den Sport hinaus.

Oft heißt es: Es wäre gar nicht möglich, dass Spitzenfußballer ihre sexuelle Orientierung auf Dauer geheim halten. Das würden doch die Mannschaftskollegen mitkriegen. Also gibt es (fast) keine schwulen Fußballer.

Die können das sehr wohl geheim halten! Das trainieren sie von Anfang an wie das Spiel mit dem Ball. Sie geben den guten Hetero. Zum Beispiel bitten sie eine Bekannte, sie zu Events und Feiern zu begleiten – überall hin, wo Kameras stehen. Das geht bis hin zu Scheinehen. Alles, damit sie von dieser Flanke eine Ruhe haben. Und das funktioniert tatsächlich.

Ist der Fußball wirklich homophober als andere Lebensbereiche?

Ja, die Welt des Fußballs ist da rückständiger. Hier tut man sich besonders schwer, mit dem Thema etwas anzufangen. Und es ist nicht leicht, offene Ohren zu finden, wenn ich sage: Ihr müsst euch um diese Problematik kümmern. Dann höre ich: Wir rühren das Thema lieber nicht an, weil wir gar nicht wissen, wie wir darüber sprechen sollen. Und wir machen nichts, weil wir nicht wissen, was und wie.

Was wäre denn zu tun?

Die Jugendarbeit ist da ein ganz wichtiger Bereich. Da könnten die Vereine ganz niederschwellig anfangen, indem sie sich Beratung holen und zusammen überlegen: Was wollen wir für Standards, wie lösen wir sie ein? Zum Beispiel: Wir wollen keine Sprüche mehr wie „du schwules Weichei“ oder „das war ein schwuler Pass“. Jugendtrainer haben da eine große Verantwortung und auch eine gute Autorität. Sie vermitteln nicht nur den Sport an sich, sondern auch Werte: Kameradschaft, Fairness – oder eben auch Vielfalt. Es ist egal, ob ein Mitkicker neben dir aus der Türkei kommt, eine dunkle Hautfarbe hat oder schwul ist.

Was halten Sie von Geldstrafen oder Stadionverboten für Fans, so wie bei rassistischen Parolen und Attacken? Wäre das hier hilfreich oder kontraproduktiv, weil es die Ressentiments nur noch weiter verfestigt?

Das kann nur eine Maßnahme unter anderen sein. Strafen allein hat wenig Sinn, wenn die Leute nicht kapieren, wieso sie bestraft wurden. Der FC St.Pauli etwa verbittet sich homophobe Äußerungen im Stadion. Die sprechen aber mit ihren Fanorganisationen, warum sie das nicht wollen. Deshalb konnte die Mannschaft im Herbst ein von Spielern und Fans gemaltes Banner ins Stadion tragen, auf dem stand: „Wie kann man nur hassen, dass Menschen sich lieben.“ Wenn man so weit ist, kann man auch Strafen verhängen.

Was ist das besondere Signal am Coming-out Hitzlspergers?

Seine Karriere liegt nicht weit zurück, wir alle können uns noch sehr gut an ihn erinnern. Er hat über 50-mal im Nationalteam gespielt. 2007 ist er auch Meister geworden mit dem VfB Stuttgart. Er war also lange in der höchsten Leistungsklasse sehr aktiv. Wenn sich so jemand outet, dann rückt es uns so nahe, dass wir die Augen nicht mehr verschließen können.

Die Forscherin

Tatjana Eggeling
(geb. 1963) ist Historikerin und Ethnologin, als freischaffende Kulturwissenschaftlerin und Beraterin für Homophobie und den Umgang mit Homosexualität im Sport arbeitet die Deutsche mit Fußballspielern zusammen, um ihnen beim Coming-out zu helfen, und berät Vereine, wie sie Homophobie in der Mannschaft und auf den Tribünen bekämpfen können. Privat

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.