Der letzte Fleischhauer Wiens

Der letzte Fleischhauer Wiens
Der letzte Fleischhauer WiensDie Presse (Clemens Fabry)
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Im Großschlachthof trifft man ihn bestimmt nicht. Leopold Hödl ist der letzte Fleischer Wiens, der seine Tiere noch selbst schlachtet.

Es ist Freitag, 1.15 Uhr, als Leopold Hödl in seinen Lkw steigt. „In der Nacht sind die Tiere viel handzahmer, zu Mittag würden sie sich mehr aufregen und mehr leiden“, verteidigt der Fleischhauer die Uhrzeit und startet den Motor. Der leere, weiße Tiertransporter biegt aus dem Liesinger Wirtschaftshof auf die Breitenfurter Straße. Für Hödl beginnt ein ganz normaler Arbeitstag, wenn auch einer, den er – zumindest in Wien – mit keinem Kollegen mehr teilt. Hödl ist nämlich der letzter Fleischer in Wien, der noch selbst schlachtet. Seine einstigen Kollegen haben den schwierigen Job, der auch nicht gerade viel Geld bringt, längst aufgegeben. Hödl bleibt dabei, er ist es so gewohnt – und ihm ist die Qualität seiner Produkte wichtig.

20 Schweine pro Woche

Seine Kundschaft weiß das zu schätzen. „Das sind Leute, die sich auskennen und selbst kochen“, sagt er nicht minder stolz. „Ein richtig gutes Fleisch findest du nicht im Großschlachthof, die Tiere sind im Stress, das schmeckt man.“ Hinzu kommen lange Wege: „Manchmal sieht man die Transportwagen ja auf der Autobahn. Die führen die Viecher quer durch Europa und lassen sie bis zu vier Tage lang stehen. Schweine sind aber sehr empfindlich, sie haben eine höhere Körpertemperatur, um die 39 Grad. Die halten das vom Herz her nicht aus“, sagt er und fährt seinen Lkw Richtung Niederösterreich.

Er selbst arbeitet in wesentlich kleineren Tranchen. Auf rund 20 Schweine und drei Kälber kommt er in einer durchschnittlichen Woche. Die Schweine werden immer samstags abgeholt, sie bleiben einen Tag lang in seinem Stall in Wien, um sich von dem Transport zu erholen.

In dieser Nacht stehen drei Kälber aus der Buckligen Welt auf dem Programm. Seit Jahrzehnten beziehe er die Tiere aus dieser Region von ungefähr 70 Kleinbauern, erzählt Hödl, um dann gleich ein paar Tricks zum Wachbleiben zum Besten zu geben. Von einem befreundeten Fernfahrer hat er folgenden Tipp bekommen: Wenn die Müdigkeit um fünf Uhr früh zu stark wird, streckt er einfach den Kopf aus dem Fenster und schreit. „Aaah! So in etwa“, sagt er und lacht. Er bevorzugt aber eine sanfte Methode: „Ich esse die Fahrt über ganz langsam eine Tafel Schokolade. Da bleibt man auch wach.“ Tagsüber braucht er nichts Süßes. „Ich esse jeden Tag Fleisch“ – nur das selbst produzierte, versteht sich, denn nur da wisse er, was drin ist. An seinen Beinschinken käme sowieso keiner heran, meint er und konzentriert sich wieder auf die Fahrt.

Um drei Uhr kommt der Wagen beim ersten von drei Bauernhöfen an. Leichter Nebel ist aufgezogen, es ist kalt in dieser unbequemen Herbstnacht. Ein Kalb wird aus dem Stall geholt. Das Tier wehrt sich und stemmt die Vorderhufe in die Erde. Hödl gibt mit dem Strick die Richtung vor, der Bauer schiebt hinten an. „Das wird so nichts, lass mich nach hinten“, ordnet der Fleischer einen Positionswechsel an. Mit einem Stoß läuft das Kalb los, die Milchkühe im Stall beginnen zu brüllen. Bei der Rampe angekommen, geht das Tier erneut in den Widerstand. Hödl gewinnt auch diesen Machtkampf, das Kalb stolpert die Ladefläche hinauf. Jetzt wird der Preis verhandelt. Als der Bauer das Maßband anlegt, verzieht er das Gesicht. „Sag du was!“, fordert Hödl den Preis. Der Bauer lässt sich Zeit, schaut konzentriert in die Leere. „Schön ist es nicht, der schmale Hintern“, gibt Hödl zu bedenken. Die Herren einigen sich schließlich. 536 Euro und einen Smalltalk später nimmt der Laster wieder Fahrt auf.

Mit elf Jahren hat Leopold Hödl zum ersten Mal ein Tier abgestochen, ohne bleibenden Eindruck. „Es war ein Spanferkel, an mehr kann ich mich nicht erinnern. Ich war immer schon ein harter Typ. Es war klar, dass ich Fleischhacker werde.“ Heute ist er 57 Jahre alt und hat den Familienbetrieb längst übernommen, der seit 1954 besteht und für seine Blunzen und Wurstspezialitäten bekannt ist. Gattin Anna, sein Sohn Christoph und dessen Freundin Susanne arbeiten heute im Geschäft, mit Lehrling Daniel und anderen Helfern sind sie zu acht.

Kuhfelle im Séparée

Mit Fleischteilen und Innereien ist Hödl von Kind auf vertraut. Sein erstes Geld verdiente er sich als Teenager mit einem Abfallprodukt. „Um 50 Schilling habe ich meinem Vater damals die Kuhfelle abgekauft, 100 Schilling wollte der Gerber, und um 900 Schilling habe ich sie an verschiedene Gürtellokale weiterverkauft. Die wollten die Felle für ihre Séparées haben.“ Bis auf die Knochen, Fett und Gedärme werden bis heute alle Teile der Schlachttiere verwertet. „Es wird alles Mögliche verlangt, manche wollen Stierhoden oder Schweinemägen.“ Sofern es erlaubt ist, erfüllt er seinen Kunden jeden Wunsch.

Die hauseigenen Würste und Leberkäsesorten wurden mittlerweile vielfach ausgezeichnet. Das führt auch immer wieder zu Angeboten von Lebensmittelketten, die er aber noch nie angenommen hat. „Die wollen dann immer mehr und drücken einen, wo es nur geht“, sagt Hödl.

Mittlerweile – es ist 5.30 Uhr – hat Hödl drei Kälber in seinem Transportwagen untergebracht. Zwei Stunden später stehen sie in seinem Betrieb, auf der „Schlachtbrücke“. Um 8 Uhr ist der Amtsarzt da, er muss jede Schlachtung begleiten, das ist EU-Vorschrift. In Gummistiefeln kontrolliert der Tierarzt die Nummern der Kälber. Dann geht alles ganz schnell. "Wer ein Tier richtig töten will, der muss es respektieren" und die Hauptschlagader auf Anhieb treffen, sagt Hödl. Er hält das erste Kalb fest. Lehrling Daniel setzt den Bolzenschussapparat an der Stirn des Tieres an. Mit einem Knall fällt es zu Boden. Hödl greift nach einer Hinterhaxe, schiebt einen Eisenhaken durch und zieht es in die Höhe. Er nimmt ein großes Messer, bückt sich und setzt einen Schnitt. Blut schwappt auf den Fliesenboden. Der Vorgang wiederholt sich noch zweimal. Die Luft schmeckt süßlich. Keine fünf Minuten später ist alles vorbei. Der Tierarzt nimmt noch ein paar Proben, Hödl geht sich waschen, und zwei Wände weiter bilden schon die ersten Kunden eine Schlange vor der Verkaufsvitrine.

Fleischer

Das Gewerbe der Fleischhauer hat in Wien eine lange Tradition. Vor 100Jahren waren über 2000 Fleischer gemeldet, heute gibt es nur noch einen Bruchteil davon, nämlich 134 (Stand: 2012). Rund die Hälfte davon sind Kleinstbetriebe (bis zu neun Mitarbeitern). Das kleine Familienunternehmen von Leopold Hödl in Liesing führt als letzter Wiener Betrieb noch Hausschlachtungen durch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2013)

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