»Sennerinnen auf der Milchpackung«

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Agrarpolitiker Franz Fischler sieht die Verklärung im Katholizismus begründet.

Welche Erklärung haben Sie für die romantisierten Bilder der Landwirtschaft?

Franz Fischler: Ich glaube, dass romantisierende und wirklichkeitsfremde Bilder deshalb so beliebt sind, weil man den Konsumenten unterstellt, dass sie deren Vorstellung von Landwirtschaft und Lebensmitteln reflektieren. Es wird unterstellt, dass die heutige Gesellschaft, wenn es um Lebensmittel geht, die Romantik des 19. Jahrhunderts im Kopf hat. Daher glaubt man, dass man damit höhere Umsätze erreichen kann. Aber es ist ein totaler Widerspruch zur Realität und es hat auch negative Konsequenzen. Wenn ich kein modernes Bild vermittle, steigt auch der Widerstand gegen moderne Stallungen.

Das wird also dem Konsumenten unterstellt?

Ich glaube, der Konsument ist neutral. Man muss ihm das richtig vermitteln und die Wahrheit erzählen. Das Problem ist ja, dass auf jeder zweiten Milchpackung eine jodelnde Sennerin drauf ist. Da wird eine Lüge vermittelt. Es braucht eine umfassende Kommunikationsstrategie. Ich versuche schon seit Jahren den Vertretern der Landwirtschaft zu sagen, dass sie hier die Hauptverantwortung haben. Sie müssten ein realistisches Bild vermitteln.

Sie machen also nicht den Handel dafür verantwortlich?

Nein, es wäre völlig falsch, das auf den Handel abzuschieben. Da sind die Interessenvertretungen und die Einrichtungen gefordert, die ganzen Genossenschaften oder auch das AMA-Gütesiegel – die AMA-Werbung ist ja auch nur Romantik. Das ist eine durchaus wichtige Aufgabe, denn auf Dauer wird sich das nicht halten können. Irgendwann wird der Konsument sagen, ich fühle mich an der Nase herumgeführt.

Seit wann ist dieses Bild so populär?

Das ist eine Gegenreaktion auf die Industrialisierung der Landwirtschaft, die bereits in den 1970er-Jahren stark eingesetzt hat. Dazu kommt, dass der Konsument, wenn es ums Essen und Trinken geht, sehr konservativ denkt und handelt. Daher war es die einfachste Lösung, anstatt die schwierigere Aufgabe zu übernehmen und die Notwendigkeit der Modernisierung zu erklären, alte Klischees zu verkaufen.

Gleichzeitig gibt es neben Klischees auch kleine Produzenten.

Ja, aber da wird auch anders produziert. Da ist es gerechtfertigt, die Natur als Verkaufsargument zu verwenden. Das ist der Unterschied zwischen bio und nicht bio. Für den Bereich von über80 Prozent, wo es nicht um Bioproduktion geht, sehe ich das nicht ein.

Wie sieht das international aus?

Interessant ist folgendes: In den romanischsprachigen Ländern, also Frankreich, Italien, Spanien haben sie dasselbe Problem. Anders ist das in Holland, in Großbritannien, in Skandinavien und in den neuen Mitgliedstaaten.

Warum ist es dort anders?

Das hat ein bisschen mit der alten Unterscheidung zwischen protestantisch und katholisch zu tun. Sie können das auch verfolgen, wenn sie die Unterschiedlichkeit der Küchen oder den Wert des Essens und Trinkens in den persönlichen Prioritäten der Menschen anschauen. Essen und Trinken spielt in den katholischen Ländern eine viel größere Rolle als in den protestantischen und gleichzeitig spielt es in den protestantischen Ländern eine viel größere Rolle, dass man rationaler an die Dinge herangeht und sich nicht so sehr von Stimmungen leiten lässt.

Wie sieht die Zukunft aus? Wohin wird sich die Landwirtschaft entwickeln?

Es geht um einen vernünftigen Mittelweg, das ist aber ein relativ langer Weg. Man kann nicht innerhalb von zwei Jahren eine völlig neue Einstellung zu Lebensmitteln erzeugen. In Europa gibt es auch, im Vergleich mit den USA, eine unterschiedliche Grundauffassung über die Standardsetzung. In Amerika gilt ein Lebensmittel so lange als sicher, solange nicht nachgewiesen ist, dass es schädlich ist. In Europa herrscht das Vorbeugeprinzip: Solange man nicht sicher ist, ist man sehr zurückhaltend dieses Lebensmittel zu kaufen oder auch zuzulassen. Dazu kommt, dass mit den konservativen Bildern ein „Früher war alles besser und sicherer“ verbunden wird. Das ist aber völlig falsch. Ich bringe da gerne das Beispiel, dass Kühe in der Vergangenheit Millionen von Menschen umgebracht haben, weil Kuhmilch im 19. Jahrhundert der Hauptüberträger von TBC war. In Wirklichkeit sind Lebensmittel heute viel sicherer, aber es ist nicht gelungen diesen Fortschritt zu kommunizieren, sondern man glaubt, dass die traditionellen Mittel die sicheren und qualitätvollen sind.

Wie gehen denn die Landwirte damit um?

Die haben ein sehr gespaltenes Verhältnis. Wenn sie damit konfrontiert werden, wenn einer eine Baugenehmigung für den Stall braucht und dann Anrainer, geprägt von romantischen Bildern, dagegen Einspruch erheben, dann schimpft er natürlich und protestiert gegen die Verwendung von solchen Bildern. Auf der anderen Seite: So lange er das Gefühl hat, dass von seinen Produkten mehr verkauft wird oder höhere Preise erzielt werden, sind ihm diese Bilder natürlich recht.

Franz Fischler

1946 in Tirol geboren. 1995 bis 2004 war er EU-Kommissar für Landwirtschaft, Entwicklung des ländlichen Raums und Fischerei. Seit 2012 ist er Präsident des Europäischen Forums Alpbach. Franz Fischler Consult

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2014)

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