Wie man Mehlwürmer in der Küche züchtet

Die Presse
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Zwei junge Industriedesignerinnen haben den Aufruf der UNO, mehr Insekten zu essen, ernst genommen und ein Gerät entwickelt, mit dem man Mehlwürmer züchten kann.

Es mag gewöhnungsbedürftig sein. Denn bei Mehlwürmern ging es bis jetzt in erster Linie darum, wie man sie aus der Küche vertreibt und was man tun muss, damit die lästigen Schädlinge ja nicht wiederkommen. Zwei junge Industriedesignerinnen haben den Spieß jetzt umgedreht und jahrelang recherchiert, wie man Mehlwürmer dazu bringt, dass sie sich in den eigenen vier Wänden kontrolliert vermehren, um sie anschließend zu essen. Immerhin weist die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, seit Jahren darauf hin, dass auch westliche Gesellschaften Insekten essen sollten, um die Nahrungsengpässe zu umgehen, aber auch um die Umwelt zu schonen. An dem Ziel hält die UNO nach wie vor fest, auch wenn sie 2016 zum Jahr der Hülsenfrüchte ausgerufen haben, die ebenso ein hervorragender Eiweißlieferant und somit Fleischersatz sind.

Schon länger mit Insekten befassen sich Katharina Unger und Julia Kaisinger. Am Donnerstag haben sie den Prototyp ihres Livin Farms Hive, also einer Mehlwurmzuchtstation, in Wien präsentiert.

„Begonnen hat es mit meiner Diplomarbeit an der Angewandten, da habe ich ein Gerät entwickelt, mit dem man die schwarze Soldatenfliege züchten kann“, sagt Unger. Das positive Feedback, das sich daraufhin im Internet eingestellt hat, hat sie überrascht. „Es haben sich sehr viele Menschen gemeldet, die das auch haben wollten. Das hat total eingeschlagen.“ Also hat sie die Idee weiterentwickelt. Ein Jahr lang war Unger – die auf einem burgenländischen Bauernhof aufgewachsen ist – daraufhin in Hongkong, um zu recherchieren. Anfang 2015 gründete sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Julia Kaisinger die Firma Livin Farms.

Statt der Soldatenfliege haben sie sich nun auf den Mehlwurm konzentriert. Die Nachhaltigkeit und der geringe Aufwand, mit dem sich der Proteinlieferant züchten lässt, hat Unger von Anfang an fasziniert. „Natürlich sollen wir mehr Gemüse essen, aber auch dafür braucht man viel Wasser und Boden.“ Insekten hingegen brauchen vergleichsweise wenig Ressourcen. Finanziert wurde das Projekt über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter. Das Finanzierungsziel von 100.000 Dollar wurde bereits überschritten, an die 200 Menschen aus den USA, Kanada, Europa und Asien haben das Gerät bestellt. Zu Beginn der Kampagne war es für 499 Dollar zu haben. Gestern, Samstag, wurde die Kickstarter-Kampagne beendet, danach startet die Produktion der Geräte. Im Herbst werden die ersten Hives ausgeliefert.

Der Lebenszyklus des Mehlwurms. Der Hive sieht aus wie ein weißer Turm mit vielen Schubladen. Platz haben darin alle Lebensstadien des Mehlwurms, das heißt, der Mehlwurmzüchter hat somit den Lebenszyklus von zig kleinen Mehlwürmern auf seinem Küchentisch stehen. „Es ging mir dabei auch darum zu zeigen, dass man Insekten sauber und hygienisch züchten kann.“ Tatsächlich kann man die kleine Farm weder riechen noch gibt es irgendwo die Möglichkeit eines Fluchtversuches.

Das Leben der Mehlwürmer spielt sich von oben nach unten ab. Ganz oben, in der ersten Lade sitzen die Käfer, sozusagen die Eltern der Mehlwürmer, die ja die Larven des Mehlkäfers sind. In dieser „Liebeslade“ leben also die Mehlkäfer und paaren sich. Die Eier fallen dank eines feinen Gitters in den darunter liegenden Behälter und schlüpfen dort zu den Mehlwurmbabys. In den nächsten Laden wachsen sie stufenweise heran. „Je eine Woche ist ein Entwicklungsstadium. In sechs Wochen kann man die Mehlwürmer ernten.“


Abfälle als Blumendünger. In den sechs Laden also, in denen die Würmer wachsen, werden sie gefüttert, indem man die Lade öffnet und altes Brot oder Küchenabfälle hineingibt. Nach einer Woche werden die obersten Mehlwürmer mithilfe eines Hebels in die nächste Lade transportiert. In der untersten Lade liegen also die ältesten Mehlwürmer, die bald geerntet werden können. Mittels eines Siebes werden der Kot der Tiere und feine Staubpartikel herausgefiltert. „Das kann man zum Beispiel zum Düngen der Blumen nehmen“, erklärt Unger. In der untersten Lade, der „Erntelade“, liegen also die fertig ausgewachsenen Mehlwürmer, die dann geerntet werden.

Dazwischen gibt es aber noch ein kleines Auffangbecken für besonders frühreife Mehlwürmer, also jene, die besonders schnell verpuppt sind. Sie fallen ob ihrer Größe nämlich nicht in die Erntelade und werden einfach mittels eines Gitters in die erste Lade gegeben. Dort gibt es eine kleine Erhöhung, zu der die Käfer nicht hingelangen, auf die man die Puppen legt. Schlüpfen sie, krabbeln die kleinen Käfer in die „Liebeslade“ hinunter und können sich dort vermehren. Die Käfer sterben nach ein paar Monaten eines natürlichen Todes und werden entfernt, indem man die Lade herausnimmt, sie kräftig schüttelt – „dann halten sich nämlich die lebendigen Käfer am Gitter fest, und wenn man das dann umdreht, kann man die toten Käfer einfach wegschmeißen.“

In der untersten Lade werden die fertigen Mehlwürmer geerntet, indem man sie in einen Gefrierbeutel gibt und diesen einfriert. So sterben die Tiere eines relativ natürlichen Todes. Nach etwa einer Stunde können die Würmer herausgenommen und verarbeitet werden. Pro Woche ernten Unger und Kaisinger somit an die 200 bis 500 Gramm Mehlwürmer. „Das entspricht vier bis fünf Fleischmahlzeiten“, sagt Unger.

Die Mehlwürmer können entweder in heißem Wasser gekocht werden, geröstet – um sie wie Chips zu essen – beziehungsweise generell wie Fleisch verarbeitet werden. Sie sind relativ geschmacksneutral und haben einen leicht nussigen Geschmack. Zur Präsentation des Prototypen haben die beiden etwa Quinoa-Mehlwurm-Bällchen, Salate mit gerösteten Mehlwürmern oder aber Brownies mit Mehlwürmern zubereitet. Unger gibt zu, dass es anfangs Überwindung braucht, um die Tiere zu essen. „Es war auch für mich ganz komisch.“ Mittlerweile konnte sie aber sogar ihre Familie überzeugen. „Sie war am Anfang total schockiert, aber mittlerweile ist sie begeistert. Meine Mutter kocht viel damit.“

Insekten

Die FAO, Welternährungsorganisation der UNO, rät angesichts der steigenden Weltbevölkerung dazu, dass auch westliche Nationen Insekten essen. Insekten haben einen hohen Protein-, Fett- und Mineralstoffgehalt und können zwei Kilogramm Futter in einen Kilogramm Insektenmasse umwandeln. Rinder benötigen acht Kilogramm Futter, um ein Kilogramm Körpermasse zu produzieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2016)

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