Wiener Eishunger: Eine Stadt und ihr Gefrorenes

Anlaufstelle. Unmissverständliche Botschaft: Eisgeschäft der Familie Molin-Pradel um 1955.
Anlaufstelle. Unmissverständliche Botschaft: Eisgeschäft der Familie Molin-Pradel um 1955. Molin-Pradel
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Biedermeier-Sorten wie Makronen und Rose, Zuckerbäcker-Grant auf italienische Gelatieri und der traditionelle Pelz-Tausch. Eis als Wiener Streitthema.

„Das schrecklich kalte und doch schrecklich verführerische Gefrorene“, so nennt das „Appetit-Lexikon“ von 1894 das Fruchteis, das „in Wien in derselben vorzüglichen Qualität, aber billiger erzeugt oder vielmehr verkauft wird als in Paris und Berlin“. Wien und das Eis – das ist eine eigene Geschichte. Eine Geschichte, die Pelze und Pistazien, Dolomiten und carretti enthält und die ein Kapitel des neuen Buchs „Die Wiener Küche. Kulturgeschichte und Rezepte“ von Ingrid Haslinger bildet.

Wer sich heute beschwert, dass eine Kugel Eis – die freilich aus besten Zutaten bestehen soll – schon einmal zwei Euro kostet, könnte einen Blick zurück werfen. „Eis – oder Gefrorenes, denn Eis bezeichnet lange Zeit nur gefrorenes Wasser – war früher nur etwas für wirklich reiche Leute“, sagt die Historikerin Haslinger. Erstens, weil das Eis zum Kühlen in Blöcken herbeigeschafft werden musste. Weil für den Kühlvorgang viel Salz gebraucht wurde, und weil Zucker extrem teuer war. „Rübenzucker gibt es seit nicht einmal 200 Jahren, und Rohrzucker war für weite Teile der Bevölkerung absolut nicht erschwinglich.“ Im 18. Jahrhundert gab es in Wien Gefrorenes auf den barocken Tafeln des Adels – für dessen Zubereitung brauchte man entsprechend ausgebildete Zuckerbäcker – „plus ein paar italienische Cafetiers wie Ducati oder Taroni, die auch Gefrorenes angeboten haben“.

Kochhistorie. Ingrid Haslinger sammelt Menükarten aus der Kaiserzeit ebenso wie innen vergoldete Eisbecher.
Kochhistorie. Ingrid Haslinger sammelt Menükarten aus der Kaiserzeit ebenso wie innen vergoldete Eisbecher. Die Presse (Carolina Frank)

Im 19. Jahrhundert, erzählt Haslinger, wurde der Zucker billiger. Und zahlreiche Männer aus armen norditalienischen Tälern beschlossen, ihren Handel mit Gefrorenem – begonnen hatten sie mit Kompotten und kandierten Früchten – von Udine und Triest auf Wien auszuweiten. „Um 1850 war der Beginn der Wiener Gelatieri-Tradition.“ Bald waren die carretti, die Wägelchen der Eisverkäufer, im Stadtbild Wiens präsent, von wo sie sich auf kleinere Städte der Habsburgermonarchie verbreiteten. „Nach Ungarn kam das Gefrorene allerdings über einen anderen Weg: über die Türken.“ Die Frauen und Kinder der Wiener Gelatieri blieben während der Saisonmonate in Italien. Im Herbst kehrten die Männer in ihre Heimat zurück und verdingten sich meist in der Holzwirtschaft.

Vielfalt. Gefrorene Früchte, Veilchen-Gefrorenes, Eisbomben: Die Eisvielfalt der Wiener Küche ist groß.
Vielfalt. Gefrorene Früchte, Veilchen-Gefrorenes, Eisbomben: Die Eisvielfalt der Wiener Küche ist groß. (c) die Presse (Carolina Frank)

Eis als Streitthema. Spezielle Eissorten wie Ziegenkäse-Tonkabohne, mit denen sich mancher Salon heute abzusetzen gedenkt, sind in Wien nichts Neues: Schon in der Biedermeierzeit war ein erster Höhepunkt an Sorten erreicht, hat Ingrid Haslinger recherchiert. Kochbuchautorin Anna Dorn etwa führt im Jahr 1827 Rezepte wie Pomeranzeneis, Rosen-, Makronen-, Gebrannte-Mandeln-Eis oder Papina an, „ein Obersgefrorenes mit Zitronenschale, Zimt und ganz wenig Bergamottöl“.

Eis ist nicht nur heute ein Streitthema – „Das beste Haselnusseis gibt’s am Schwedenplatz“, „Nein, Tuchlauben!“ –, sondern war es schon im 19. Jahrhundert: Die Wiener Zuckerbäcker wehrten sich gegen die Konkurrenz und erreichten 1894, dass die Gelatieri einen festen Firmensitz für ihre Konzession brauchten. Diese kleinen Räumlichkeiten prägten fortan das Stadtbild mit. Im Winter, während die Gelatieri in Italien arbeiteten, okkupierten Pelzhändler die Eisgeschäfte in der Stadt. Ein Umstand, der sich vielfach nicht geändert hat – eine ungewöhnliche, aber für die Wiener gewohnte Symbiose. „Die Eissalons sind wirklich ein Wiener Spezifikum“, ist sich Haslinger sicher. Ihre Stanitzel mussten die italienischen Eismacher übrigens selbst herstellen: „Kein Wiener Zuckerbäcker hätte einem Gelatiero Stanitzel geliefert.“

Als die Gelatieri im Ersten Weltkrieg das Land als „feindliche Ausländer“ verlassen mussten, übernahm die Konditorei Aida viele der Lokale, „das ist ein Grund, warum Aida heute so verbreitet ist“. Die Italiener sind wiedergekommen. Um die Geschichte von Wien und seinem Eis bis heute fortzuschreiben.

Buchtipp

Standardwerk. Die Historikerin Ingrid Haslinger hat mit „Die Wiener Küche. Kulturgeschichte und Rezepte“ ein Opus magnum vorgelegt. Sie erzählt, wie die Kriegsküche das Bild der Wiener Küche geprägt hat (Stichwort Einbrenn), was Stelzenfett mit Henkelgläsern zu tun hat, erinnert an Concurrenzgulasch und Pálffy­knödel und führt zahlreiche Rezepte an. Mandelbaum-Verlag, 396 Seiten, 28 Euro.

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