Ode an eine Landschaft

Im Schatten der Pyrenäen findet sich noch ursprüngliche Natur.
Im Schatten der Pyrenäen findet sich noch ursprüngliche Natur.(c) Ute Woltron
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Hierzulande sind die Bauerngärtchen fast verschwunden, doch man darf Gegenden bereisen, in denen sie noch blühen und gedeihen und von der Bedächtigkeit jener zehren, die sie pflegen.

Im Abendschatten der Pyrenäen liegt eine Landschaft weit ab von Lärm und Geschwindigkeit der großen Städte. In den Dörfern schmiegen sich zierliche Steinhäuser Mauer an Mauer aneinander, als ob sie sich gegenseitig vor den demnächst zu erwartenden Herbststürmen stützen und winters wärmen wollten wie Liebende am Lagerfeuer.

In den kleinen Ortschaften wohnen oft nur ein paar Handvoll Leute, doch jede von ihnen ist reich mit Rosen, Geranien, Spinnenblumen, Gaura, und was sich sonst noch an Zierlichem in Blumentöpfe stecken lässt, geschmückt. Über die steinernen Geländer alter Brücken hängen Elfenspiegel, Petunien und Blaue Mauritius. Auf den Fensterbrettern stehen alte Stein-, Emaille- und Porzellangefäße, darin Zwergrosen, Vanilleblumen und Gänseblümchen, stets liebevoll arrangiert.

Wir befinden uns in einer sehr alten Gegend – in einer gottgeküssten Landschaft, in der vor 36.000 Jahren die ältesten bekannten Höhlenmalereien der Welt entstanden, und in der über Jahrhunderte die besten Hühner- und Rinderrassen gezüchtet, die feinsten Spirituosen destilliert und berühmte stinkende Käse entwickelt wurden.

Die jüngere Vergangenheit hat die Gegend noch kaum überschrieben. Oft kein Telefonnetz auf der Landstraße. Die elektrischen Drähte rund um die Kuhweiden halten die weißen Isolatoren aus Porzellan, die man zuletzt in den 1970er-Jahren bei uns gesehen hat. Die Strommasten sind aus Holz, die Leitungen nicht gestrafft, sondern eine Abfolge flachbäuchiger Parabeln entlang holpriger Straßen.

Erinnerungen

Kaum neue Gebäude, und wenn doch, so stehen sie außerhalb der gewachsenen Dorfstrukturen allein auf ihren Grundstücken, wirken ein bisschen wie Außenseiter, wie solche, die sich vom Dorf entfremdet, die Gemeinschaft verlassen haben. Die Gärten rund um diese Häuser sind zwar meist recht gepflegt, doch im Vergleich mit den kleineren Blumen-, Wein- und Gemüseoasen der Dorfgärtchen und Höfe, mit denen fast jedes der alten Stein- und Fachwerkhäuser gesegnet ist, wirken sie wie mit Pfauenfedern geschmückte, ein wenig verlorene Hühner, die vorgeben wollen, etwas Besseres zu sein als sie tatsächlich sind.

Die anderen Küchen- und Vorgärtchen sind meist mit der generationenalten Erfahrung von Menschen bepflanzt, die nicht nur möglichst viel Gemüse und Kräuter auf kleinstem Raum ernten, sondern auch möglichst viele Blumen blühen sehen wollen. Jeder Winkel ist ausgenutzt, sowohl in der Horizontalen als auch in der Vertikalen. Der Wein wächst hinauf und der Sonne entgegen, am Zaun blüht Topinambur, in Töpfen sprießen Kräuter. Solche Gärten gab es früher bei uns allerorts, doch sie sind rar geworden.

Zu wenig Zeit? Zu wenig Liebe? Zu wenig Hingabe an das Hier und Jetzt? Und wenn ja, wo ist das alles hinverschwunden? Und um welchen Preis? Die Gegend hier ist weder arm noch reich. Zwischen Feldern, Weiden, Dörfern viel Naturbelassenes, Wildes. Viel Wald, viel Fluss, die entsprechend vielfältige Tierwelt. Wer nächtens die Fenster öffnet, kriegt Besuch von Fledermäusen und Nachtfaltern, hört den Uhu rufen und untertags gibt es kaum einen Moment, in dem nicht zumindest ein Schmetterling in unmittelbarer Nähe durch die Luft schaukelt.

Wer mit dem Flugzeug Europa überquert und des Menschen Werk da unten aus der Höhe betrachtet, die zerfressene Landschaft, die zersiedelte, abgeholzte, geknechtete Welt, dem kann schwer ums Herz werden. Nur noch gelegentlich findet man ein solch altes Land, das noch nicht vergewaltigt und den Kommerzstürmen einer neuen Zeit preisgegeben wurde, das deine Seele so berührt, wie vielleicht ein, zwei gesegnete Male im Leben ein anderer Mensch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2017)

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