Gartenkralle

Regenduft im Mai

Der Duft des Regens ist keine Einbildung. Zwei australische Forscher haben ihn identifiziert.
Der Duft des Regens ist keine Einbildung. Zwei australische Forscher haben ihn identifiziert.(c) Ute Woltron
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Jeder Gärtner weiß: Kein Schlauch, keine Bewässerungsanlage, kein menschliches Bemühen kann einen ordentlichen Regenguss auch nur annähernd ersetzen.

Irgendwann, meistens gegen Mitte Mai, kommt nach den gärtnerischen Anstrengungen des Frühlings der Moment der Belohnung. Wochenlang hat man Unkraut gezupft, Beete bestellt, Obstbäume geschnitten, in der Erde gebuddelt, umgetopft und neue Rabatten angelegt. Man hat die Hütte entrümpelt, aufregende neue Gemüsesorten ausgesät, die Komposthaufen gewendet und neu gefüllt.

Der erste Durchgang ist geschafft, der Garten breitet sich nun ordentlich bestellt wie eine Miniaturlandkarte mit all seinen unterschiedlichen Zonen vor dem gefälligen Auge des Betrachters aus. Dann kommt besagter herrlicher Moment: Es beginnt zu regnen. Bestenfalls handelt es sich um einen milden Mai-Guss, doch auch kleinere Gewitter sind willkommen. Denn jeder Gärtner weiß: Kein Schlauch, keine Sprinkleranlage kann einen ordentlichen Regenguss auch nur annähernd ersetzen.

Anderen mag die Nässe unangenehm sein, doch der Gartenmensch zieht sich bei den ersten kräftigeren Tropfen beglückt auf einen geschützten Beobachtungsposten zurück und blickt erwartungsvoll hinauf zu den Wolken. „Bleibt da“, wünscht er inständig, „zieht nicht weiter! Erleichtert euch bitte genau hier, über diesem Grundstück. Gießet und tränket meine Kreaturen, wascht sie rein von Pollen und Staub, bringt die im Gemüsebeet vergrabenen Samen zum Quellen und Treiben und die Erde zum Duften.“


Was riecht hier? Es riecht nach Regen, pflegen die Leute mit unterschiedlichen Gefühlslagen zu sagen, doch was riecht hier eigentlich? Das Wasser kann es wohl kaum sein. Des Rätsels Lösung offenbarten die beiden australischen Forscher Bear und Thomas im Jahr 1964. Sie fanden heraus, dass bestimmte Pflanzen in Zeiten der Trockenheit und Wärme bestimmte Öle absondern. Diese werden von Gestein, insbesondere von Tonböden absorbiert.

Fällt nun der segensreiche Regen, verbinden sich diese Öle mit einem bestimmten, von Bodenbakterien produzierten Alkohol mit Namen Geosmin und steigen in die Lüfte. Diesen Geruch regenfeuchter Erde, der dadurch verstärkt wahrgenommen werden kann, nannten die beiden Petrichor, nach Petros, dem Stein, und Ichor, der Flüssigkeit, die laut griechischer Mythologie in den Adern der Götter floss.

Diese scheinbar nebensächlichen Vorgänge sind tatsächlich hochwirksame biochemische Prozesse, die noch gründlicher Erforschung harren. Auf australischem Boden wiesen die Forscher nach, dass das von den Pflanzen ausgestoßene, noch nicht benetzte Öl in Trockenphasen die Keimung von Samen und das frühe Pflanzenwachstum verzögert. Das hat Sinn, denn wozu in der Hitze Kraft verschwenden und austreiben, um dann etwa zu verdorren?

Wahrscheinlich gilt Ähnliches auch für unsere Breiten, wenn auch die himmlischen Wasserspenden hierzulande großzügiger als in der australischen Wüstenlandschaft sind. Dort richten sich jedoch selbst die Kängurus nach dem Duft des Petrichor. Sobald es regnet, behauptet eine mehrfach wissenschaftlich unterstützte These, dringt der Geruch durch die Nüstern der Weibchen in Richtung Hypophyse vor, und diese gibt den Startschuss für die Ovarialfollikel. Sie beginnen zu reifen, und zehn Tage später, wenn das Gras zu wachsen begonnen hat und frische Blätter sprießen, befinden sich die Damen in bester Brunftlaune.

Der Regen wurde, wenig verwunderlich, in den meisten Kulturen als Spender der Fruchtbarkeit verehrt. Die Sumerer etwa glaubten, er sei der Samen des Himmelsgottes An, den er herabfallen lasse, um seine irdische Gefährtin, die Erdgottheit Ki, zu befruchten, auf dass sie die Pflanzen gebäre. Die indigenen Stämme Nordamerikas, etwa das Pueblo-Volk der Zuni, schmückten sich für Regentänze mit Federn und Türkisen, wobei Erstere den Wind, Zweitere das Wasser symbolisierten. Ähnliche Rituale gab es in Afrika.


Tanzen bis zum Regen. Die Wu-Priester der chinesischen Shang-Zeit im zweiten Jahrtausend vor Christus galten als Medien, die zwischen den Kräften der Natur und der Menschheit vermittelten. Ihre Regentänze führten sie in einem Ring aus Feuer auf, wo sie furios und ekstatisch tanzten und sangen, bis ihr Schweiß in Tropfen auf die durstige Erde fiel. Der Überlieferung nach mussten sie nicht selten so lang tanzen, bis tatsächlich der ersehnte Regen fiel.

Ähnlich erging es Honi, dem Kreiszieher, im ersten vorchristlichen Jahrhundert in Judäa. Eine große Dürre hatte sich über das Land gebreitet. Der Weise wurde um Regen gebeten. Er begab sich in die Wüste, zog mit einem Stab einen Kreis um sich und sandte ein Gebet zu Gott: So lang würde er hier verweilen, bis er Regen herabzusenden gewillt sei. Und siehe da, irgendwann begann es tatsächlich zu nieseln, zu tröpfeln, und der Duft regennasser Erde breitete sich aus.

Lexikon

Petrichor. So heißt der Geruch, der nach trockenen Phasen in der Luft liegt, wenn der Regen den Boden benetzt. Er entsteht laut australischen Forschern durch von Pflanzen abgesonderte Öle und von Bakterien produzierten Alkohol.

Regentänze. Bis ins 20.Jahrhundert gab es selbst in Europa noch Regentänze, wie es sie in so gut wie allen Kulturen einmal gegeben hat und bei manchen nordamerikanischen Stämmen auch heute noch gibt.

Regenmacher. Gibt es einige: Das ist zum einen ein Film mit Burt Lancaster und Katherine Hepburn, zum anderen ein Roman von John Grisham und schließlich auch ein chilenisches Musikinstrument, gemacht aus verholzten Kaktustrieben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2018)

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