Die miesen Masern: Keine Chance auf Ausrottung

Bis 2015 wollte die WHO ein masernfreies Europa. Daraus wird leider nichts. Die EU exportiert die Krankheit sogar, etwa in die USA.

Ursprünglich hatte man 2010 ins Auge gefasst. Daraus wurde jedoch sehr bald 2015. Und mittlerweile muss sich das offizielle Europa eingestehen, dass es auch bis dahin nicht gelingen wird, die Masern im europäischen Raum auszurotten. „Ich persönlich glaube nicht, dass dieses Vorhaben noch realistisch ist“, sagte Kåre Molbak vom dänischen Serum Institut im Oktober bei einer von der EU-Kommission organisierten Konferenz über die zunehmende Impfmüdigkeit in Luxemburg. „Das ist ein wahres Desaster für die europäische Gesundheitspolitik.“

Gründe für dieses Desaster gibt es genug – im Jahr 2011 allein waren es genau 30.567. So viele Masernneuerkrankungen zählte man in diesem Jahr im europäischen Raum. 86 Prozent dieser Fälle entfielen auf die EU-Mitglieder Frankreich, Italien, Rumänien und Spanien. „Die EU-Staaten verzeichnen die höchste Zahl von Masernfällen in der entwickelten Welt“, erklärte Marc Sprenger, Direktor des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC). Deshalb wurde Europa auch zu einem „Nettoexporteur“ der Masern. Aus den USA gebe es bereits seit Längerem Beschwerden, dass die dort seit 2002 ausgerotteten Masern unter anderem aus Europa wieder eingeschleppt würden. Einziger Trost: Für 2012 zeichnet sich eine Verbesserung der Situation ab.

95Prozent Impfungsrate. Damit die Masern als ausgerottet erklärt werden können, bedarf es laut epidemiologischen Berechnungen einer Durchimpfungsrate der Bevölkerung von 95 Prozent. Nur dann lassen sich große Ausbrüche vermeiden, weil das Virus sehr rasch an seine Grenzen stößt und niemanden mehr findet, den es anstecken kann. Davon ist man in den EU-Staaten allerdings noch sehr weit entfernt. Österreich etwa liegt deutlich unter 90 Prozent.

Die Impfung gegen Masern geriet 1998 in Verruf, als die renommierte medizinische Fachzeitschrift „The Lancet“ eine Untersuchung über einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Impfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) und Autismus veröffentlicht hatte. Dieser Zusammenhang wurde zwar 2004 teilweise und 2010 völlig widerrufen, der schlechte Ruf allerdings blieb haften. Die Verbindung Masern und Autismus zählt bis heute zu den meistgestellten Fragen im Zusammenhang mit Impfungen.

Die Masern gelten überhaupt als schwieriger Impfkandidat. Viele Eltern der derzeitigen Generation haben die Krankheit selbst er- und überlebt und halten sie deswegen für nicht so gefährlich. Andere wollen ihre Kinder mit nur einem Jahr nicht mit einem Lebendstoff impfen lassen. Einige wiederum stehen Impfungen generell kritisch gegenüber. Und ein sehr kleiner Teil ist der Meinung, dass Kinderkrankheiten für die Entwicklung eines Kindes notwendig sind. „Als Resultat sehen wir Maserninfektionen in höheren wirtschaftlichen Gruppen und in städtischen Gegenden“, sagt Robb Butler von der WHO.

Dieser naive Zugang zu Masern könnte sich allerdings als gefährlicher Irrtum herausstellen, meint Marc Sprenger. „Masern sind eine sehr schwere Erkrankung“, sagt er. „25 Prozent der Patienten müssen ins Krankenhaus. Auch in Europa sterben heute noch immer Kinder an den Masern.“

Das Problem der Gesundheitspolitiker ist allerdings eine unheilvolle Allianz: Je skeptischer die Bevölkerung der Impfung gegenübersteht, desto weniger vertraut sie den Ärzten und den Politikern, die die Impfung propagieren. Und die Masern blühen weiter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2012)

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