Wie man Influenzaviren austricksen will

Influenzaviren austricksen will
Influenzaviren austricksen will(c) Erwin Wodicka
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Mit neuen Ansätzen versucht man, die beweglichen Proteine von Viren zu blockieren. Dann können sie ihre Funktion nicht mehr ausüben und die Krankheitserreger können sich nicht mehr vermehren.

Die nächste Grippewelle kommt bestimmt. In der vergangenen Woche meldete die MA15 in Wien 7100 Neuinfektionen mit Grippe und grippalen Infekten. Das ist noch die normale Ansteckungsrate, die sogenannte „Baseline“, die zwischen 5000 und 8000 Neuinfektionen pro Woche im Raum Wien liegt. Innerhalb der nächsten Wochen wird der Beginn der diesjährigen Grippewelle erwartet, dann kann es zu 14.000 bis 20.000 Neuinfektionen pro Woche kommen (siehe Artikel rechts).

Das berühmteste Medikament gegen das Influenzavirus ist „Tamiflu“, der Wirkstoff heißt Oseltamivir: Dieser hindert die Viren im Körper, sich weiter zu vermehren. Im Fachjargon werden diese und ähnliche Arzneien „Virustatika“ genannt, da die Zahl der Viren im Körper nicht weiter steigen sollte.

„Das Problem mit Tamiflu ist aber, dass Virenstämme dagegen Resistenzen entwickeln“, erklärt Klaus Liedl, Chemiker der Universität Innsbruck. Gemeinsam mit seiner Kollegin Susanne von Grafenstein geht er in einem FWF-Projekt neuen Ansätzen nach, wie man Influenzaviren an ihrer Vermehrung im Körper hindern könnte. „Für Viren ist es typisch, dass sie wegen ihrer hohen Mutationsrate schnell resistent werden“, sagt von Grafenstein. Auch seltenere Viren als das Grippevirus haben sich so schon der Wirkung von Medikamenten entzogen.

Vermehrung. „Jedes Virus braucht zur Vermehrung die Maschinerie des Wirtes: Im ersten Schritt dringt es in die Wirtszelle ein, dort nutzt es die Replikationsmaschinerie (Genom-Vervielfachung, Anm.) der Zelle, und im dritten Schritt muss sich das Virus wieder lösen, um neue Zellen befallen zu können“, erläutert Liedl. An all diesen Punkten können Virustatika ansetzen.

Tamiflu z.B. blockiert den dritten Schritt, indem es das Protein Neuraminidase daran hindert, das Verbindungsstück zwischen Wirtszelle und Virus zu zerschneiden. Der Name „Neuraminidase“ ist Leuten bekannt, die wissen, warum Influenzaviren die Namen H3N2 oder H1N1 tragen: das „N“ steht für Neuraminidase, das „H“ für Hämagglutinin, ebenfalls ein wichtiges Protein der Membran des Virus.

Der Wirkstoff von Tamiflu passt wie ein Schlüssel ins Schloss des Virusproteins Neuraminidase, blockiert also dessen Funktion des Zerschneidens, woraufhin sich das Virus trotz erfolgreichen Einschleusens in die Zelle und Vermehrung in der Zelle nicht lösen kann. „Das Problem an bisherigen Wirkstoffen ist, dass man die Proteine mit Röntgenstrukurbildern analysiert hat“, sagt Liedl. Diese Hightech-Mikroskope schießen zwar Bilder mit einer Auflösung von wenigen Nanometern, doch die Bilder sind starr. „Unsere Spezialität ist die Flexibilität“, sagt Liedl. Mit neuen Methoden werden die Proteine der Viren nämlich so abgebildet, wie sie im echten Leben vorliegen: flexibel. Röntgenstrukturbilder sind quasi Fotos, während die Computersimulationen an der Theoretischen Chemie der Uni Innsbruck 3-D-Videofilme liefern.

Gegen Wirkstoffe wie Tamiflu wehrt sich das Virus durch Mutationen: Es ändert das Schloss, bis der Schlüssel des Wirkstoffes nicht mehr hineinpasst. Das Konsortium der Chemie und Pharmazie der Uni Innsbruck will nun den Zugangsbereich zum Schloss versperren – da helfen dem Virus dann keine Mutationen. „Unsere Wirkstoffe selbst sind nicht flexibel. Wir suchen ein starres Molekül, das die flexiblen Veränderungen des Neuraminidase-Proteins im ,Außenbereich des Schlosses‘ blockiert“, erklärt Liedl.

Auch Proteine, die das Genom des Virus umhüllen, sind Ziel dieser Forschungen. Eben alle Proteine, die sich bei ihrer Arbeit dreidimensional verändern und die man durch einen neuen Stoff blockieren kann – so als ob man ein Stahlrohr zwischen Zahnräder steckt, um eine Maschine zu stoppen.

Die Suche nach möglichen „Stahlrohren“, die Virenproteine stilllegen können, läuft einerseits in Pflanzen: Die Pharmazeutin Judith Rollinger sucht in einem weiteren FWF-Projekt nach Pflanzeninhaltsstoffen, also natürlich vorkommenden Molekülen, die für diese Aufgabe geeignet sind. Andererseits kaufen die Forscher synthetische Substanzen, die die flexible Neuraminidase blockieren könnten. „Und wir lassen bei Bedarf neue Moleküle synthetisieren“, so Liedl.


Leitstrukturen. Die langjährigen Forschungspartner an der Virologie im Uni-Klinikum Jena in Deutschland testen die gefundenen Moleküle dann auf ihre Wirksamkeit gegen das Influenzavirus. „Der Prozess der Wirkstoffsuche ist langwierig und kostenintensiv“, so Liedl. Die Wirkstoffentwicklung bis hin zum Medikament kostet rund eine Milliarde Euro, was jedes Budget von Uni-Instituten weit übersteigen würde. „Doch die Aufgabe der Grundlagenforschung ist, neue Leitstrukturen zu entdecken und damit Ideen zu schaffen, die von anderen weiter gedacht und weiter getestet werden“, ist Liedl überzeugt. Das Risiko, dass neu entdeckte Ansätze doch nicht klappen, weil die Substanz zu toxisch ist oder vom Körper nicht gut aufgenommen wird, ist hoch. Trotzdem motiviert die Forscher, dass sie einen erfolgversprechenden Ansatz verfolgen, wie man den Kampf gegen die regelmäßigen Grippewellen irgendwann gewinnen kann.

Die Grippewelle

Alle Jahre wieder wandert die Welle an Influenza-Infektionen durch die Welt. Der normale Verlauf in Europa geht von Südwesten nach Nordosten (innerhalb von zehn bis zwölf Wochen). Nur die Pandemie des neuen A(H1N1)-Stammes 2009 („Schweinegrippe“) verlief in vier bis fünf Wochen von Nordwesten nach Südosten.

Fünf bis 15 Prozent der Bevölkerung infizieren sich während einer Grippe-Epidemie. In Österreich gehen etwa 1300 Todesfälle pro Jahr auf Influenza-Infektionen zurück. Davon wurde in der Saison 2010/11 nur in 21 Fällen Influenza als direkte Todesursache gemeldet, die meisten Erkrankten sterben an Lungenentzündungen oder Herz-Kreislauf-Versagen.

Das Virus gelangt über Kontakt- oder Tröpfcheninfektion in den Körper, es bleibt bei niedriger Temperatur und Luftfeuchte länger infektiös. Auf glatten Oberflächen ist es bis zu zwei Tage, auf Geldscheinen bis zu 17 Tage aktiv.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2013)

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