Senioren haben ELGA - aber kaum Zugang

(c) Stanislav Jenis
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Regierung und Seniorenvertreter empfehlen die elektronische Gesundheitsakte. Obwohl die Mehrheit das Internet verweigert - und ELGA so nicht wie vorgesehen nutzen kann.

Wien. Über die Vor- und Nachteile der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) tobt spätestens seit Jahresbeginn ein Glaubenskrieg. Die einen preisen es als (positive) Revolution im Gesundheitswesen, die anderen befürchten den totalen Daten-GAU. Weitere Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen. Ein Blick in die Statistiken zur Nutzung von ELGA-Basistechnologien zeigt: Ausgerechnet jene, die altersbedingt die meisten Daten im ELGA-Verbund lassen, könnten auf der Strecke bleiben. Es geht um die Senioren.

ELGA vernetzt Befunde und Informationen über die verordneten Medikamente miteinander. In Zukunft soll ein Arzt auf Knopfdruck über die Krankengeschichte eines Patienten Bescheid wissen – und darüber, welche Medizin er einnimmt. Informationen, die die Patienten lieber nicht freigeben wollen, könnten diese selbstständig via Internet sperren, heißt es vom Gesundheitsminister abwärts.

Tatsächlich wird mit dem Computerverbund eine virtuelle Zwei-Klassen-Medizin geschaffen. Hier die einen, die Zugang zum Internet haben, Computer regelmäßig verwenden und ELGA sich selbst so organisieren wie ein Telebanking-Konto. Dort die anderen, für die das Internet Fremdland ist, die diese Technologie ablehnen, sie nicht verstehen und in einigen Fällen noch nie verwendet haben.

Theoretisch haben diese Personen die Möglichkeit, ELGA mittels schriftlicher, per Post verschickter Eingaben zu verwalten. Praktisch ist das nicht, weil ELGA für berechtigte Ärzte, Spitäler, Apotheker und andere Gesundheitsdienstleister sozusagen Live-Updates zum Patienten gibt. Muss dieser seine Privatsphäre per Post organisieren, ist er dem System um Tage hinterher.

Gesundheitspolitik, Seniorenvertreter und die ELGA GmbH selbst gehen in ihrer Öffentlichkeitsarbeit und der millionenschweren Werbekampagne von aufgeschlossenen, technikbegeisterten Senioren aus. Die Realität ist eine andere. Dazu gibt es eindeutige Daten der Statistik Austria.

60,8 Prozent der Österreicher über 65 Jahre haben das Internet noch nie in ihrem Leben genutzt. In der Gruppe der 55- bis 64-Jährigen sind es immerhin noch 29,5 Prozent. Das bedeutet: Mehr als eine halbe Millionen Menschen haben nicht einmal die Möglichkeit, ihre ELGA-Einträge selbst und von zu Hause aus zu verwalten.

Hinzu kommt, dass ebenfalls für die eigenverantwortliche Verwaltung nötige E-Government-Lösungen in eben diesen Altersgruppen nur in homöopathischen Dosen verbreitet sind. Nur 23,3 Prozent der 55- bis 64-jährigen schicken – zum Beispiel mit Bürgerkarte oder Handysignatur – ausgefüllte Formulare an Behörden zurück. In der Gruppe der „echten“ Senioren, also jene Personen, die 65 Jahre und älter sind, sind es gerade einmal acht Prozent. Selbstbestimmtes Verwalten von Gesundheitsdaten sieht anders aus.

Ärzte raten zu Austritt

Trotzdem sind es ausgerechnet Seniorenvertreter, die Gesundheitsminister Alois Stöger bei der Umsetzung unterstützen, für ELGA die Werbetrommel rühren und Kritiker kritisieren. ÖVP-Seniorenbund-Obmann Andreas Khol zieh diese in einem „Presse“-Leserbrief der „Angstmache“, Karl Blecha, Präsident des SPÖ-Pensionistenverbandes, sprach bei einer Veranstaltung im Parlament von einer „unverantwortlichen Kampagne“.

Gemeint waren einzelne Ärztevertreter, insbesondere aber der Österreichische Hausärzteverband (ÖHV), der Patienten zu einem Austritt aus ELGA rät. ÖHV-Präsident Christian Euler spricht davon, dass durch das neue System „eine neue Art von Analphabetismus“ geschaffen werde. Er selbst ist Allgemeinmediziner im burgenländischen Rust und behandelt zusätzlich Patienten in einem Seniorenhaus. „Die Senioren, die ich betreue, bitten uns noch zum Telefon zu greifen, weil ihnen manche Anrufe zu schwierig sind. Ich frage mich, welche Art von Senioren die ELGA-Befürworter vor sich haben.“

Neben dem Hausärzteverband zeigt sich etwa auch die Wiener Ärztekammer ELGA-kritisch. Zwar rät diese nicht ausdrücklich zum Austritt, allerdings legte die Kammer in Ordinationen Infoboxen auf, die neben Informationsfoldern auch gleich die nötigen Austrittsformulare enthielten. Bisher haben sich 170.000 Österreicher von ELGA abgemeldet.

AUF EINEN BLICK

Gesundheitsakte. Bei der Verwaltung der elektronischen Gesundheitsakte ELGA bleiben vor allem die Senioren auf der Strecke. Diese sind nämlich nachweislich weit weniger vertraut mit dem Internet, als dies von den ELGA-Befürwortern angenommen wird. ELGA-Anpassungen mit Hilfe der Post sind möglich, aber ihnen fehlt die Aktualität.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2014)

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