Im Zweifel für den Kaiserschnitt

Help TV
Help TVORF
  • Drucken

Was macht die Angst vor Fehlern, dramatischen Geburten und rechtlichen Klagen mit Geburtshelfern? Bestenfalls führt sie zu Maßnahmen, die Fehlern vorbeugen, schlimmstenfalls zu übervorsichtigem Handeln.

Nina S. hat gekämpft. Sie wollte ihr zweites Kind auf natürliche Weise gebären, so wie ihr erstes, erzählt die 33-jährige Kärntnerin. Doch das Kind lag verkehrt im Mutterleib – es war eine sogenannte Beckenend- oder Steißlage. Noch vor wenigen Jahrzehnten war das kein Grund für einen Kaiserschnitt, doch die Lage gilt als riskanter, heute wird in über 90 Prozent der Fälle eine Sectio durchgeführt. Auch in Nina S'. nächstgelegenem Spital in Villach, werden solche Kinder nur mehr per Bauchschnitt auf die Welt geholt.

Das wollte Nina S. nicht hinnehmen. Sie spielte sogar mit dem Gedanken, zur Geburt in ein entfernteres Krankenhaus zu gehen, in dem eine natürliche Geburt bei Steißlage möglich ist. Doch das war mit Kleinkind zu Hause nicht umsetzbar. Nach einem Gespräch mit dem Primar der geburtshilflichen Abteilung in Villach gab sie auf. Er habe ihr erzählt, dass er einmal dabei gewesen sei, wie ein Kind bei einer schwierigen vaginalen Geburt aus Beckenendlage gestorben sei. Da habe sie Angst bekommen. Und: Auf dieser Abteilung waren nur wenige Geburtshelfer geübt, ihr Kind zu entbinden. Und die, so der Primar, könnten aus organisatorischen Gründen nicht stets in Rufbereitschaft sein. Widerwillig stimmte sie dem Kaiserschnitt zu.

Hier gehe es nicht anders – das forensische, also rechtliche Risiko sei zu hoch, bestätigt der angesprochene Primar, Jörg Keckstein. Bei geübten Geburtshelfern würden diese Geburten meist gut verlaufen. „Aber heute muss eine Geburt immer gut gehen“, sagt er. In diesem Fall sei also der Kaiserschnitt sicherer.


„Fahrlässige Geburt“. Das führt wieder dazu, dass die Übung der Mediziner und der Hebammen abnimmt. Würde sich ein Geburtshelfer auf eine vaginale Geburt aus Steißlage einlassen, hätte er schlechte Karten, sollte es zu Komplikationen und einem rechtlichen Nachspiel kommen. Dass bei Steißlage nun meist ein Kaiserschnitt gemacht wird, hat also nicht nur mit der medizinischen Streitfrage Sectio oder natürliche Geburt zu tun – sondern auch mit zahlreichen Prozessen und Urteilen. „Wenn Gerichte immer den Kaiserschnitt als bessere Lösung im Vergleich zur ,fahrlässigen‘ vaginalen Geburt hinstellen, prägt sich das ein“, sagt Christoph Brezinka, Innsbrucker Frauenarzt und Experte für Medizinrecht.

Und das nicht nur bei Steißlagen. Kein Wunder, dass bei jeder Debatte um die hohe Sectio-Rate ein Grund für den Anstieg nicht fehlen darf: die Angst des Geburtshelfers vor Klagen, die ihn in manchen Fällen verleiten kann, nicht nur medizinisch richtig zu handeln, sondern auch rechtlich auf Nummer sicher zu gehen. Und das heißt, einen Kaiserschnitt zu machen.

„In der Geburtshilfe droht das größte forensische Risiko überhaupt“, sagt der Wiener Frauenarzt und Autor des Buches „Forensische Geburtshilfe“, Georg Gerstner. „Es geht immer um zwei Menschen.“ Eine Mutter und ihr Baby – da darf verständlicherweise nichts schiefgehen. Dabei sind dramatische Verläufe selten. Von allen medizinischen Schadensmeldungen beträgt der Anteil der Geburtshilfe nur 3,4 Prozent, zeigt eine Statistik des deutschen Versicherungsmaklers Ecclesia Versicherungsdienst von 2009. Die Chirurgie führt diese Liste mit 37,9 Prozent an. Für Österreich ergeben sich auf Basis dieser Aufzeichnung – vorsichtig hochgerechnet – circa 50 geburtshilfliche Fälle pro Jahr, bei denen ein Fehlverhalten von Ärzten oder Hebammen im Raum steht, sagt Wolfgang Kuntzl, Experte für den österreichischen Krankenhausbereich dieses Unternehmens.

Ob tatsächlicher oder behaupteter Fehler – Patienten sind heute mündiger und informierter, Klagen und Beschwerden nehmen zu. Als diese Entwicklung Anfang der 1990er-Jahre einsetzte, habe kaum ein Fachgebiet so viel in Fehlerprävention investiert wie die Geburtshilfe, sagt Peter Gausmann, deutscher Experte für Patientensicherheit und klinisches Risikomanagement. Die Zahl schwerwiegender Schadensfälle sei dadurch gesunken.

Dennoch bleibt ein Restrisiko. Kommt es dann trotz aller Vorsichtsmaßnahmen zu einem unglücklichen Ausgang, werde stets ein Schuldiger gesucht, sagt Barbara Maier, Primaria der Geburtshilflich-Gynäkologischen Abteilung im Wiener Hanusch-Krankenhaus. Zurück blieben dann nicht nur traumatisierte Eltern, sondern auch ein traumatisiertes geburtshilfliches Team. Derart belastete Geburtshelfer hätten eine „schlechtere medizinische Performance oder verlassen den Beruf“. Sie würden sich auch zunehmend defensivmedizinisch orientieren, das heißt, medizinische Handlungen setzen, die vor allem dazu dienen, sich selbst rechtlich abzusichern. Und sie würden ihre eigene Angst auf die Frauen übertragen, umso wichtiger sei eine psychologische Unterstützung auch für medizinisches Personal.


Negative Langzeitfolgen. Defensivmedizin ist laut einer US-Studie in hoch riskanten Fachgebieten wie der Geburtshilfe stark verbreitet – zumindest in den USA: Weitere Untersuchungen und Überweisungen sind demnach gängig, in wenigen Fällen wurde auch ein Kaiserschnitt nur aufgrund rechtlicher Absicherungen gemacht. Dass die Sectio vor Gericht stets als das Optimum angesehen werde, müsse sich ändern, sagt Maier: Negative Langzeitfolgen für Frau und Kind müssten mehr in den Blick genommen werden.

Doch den rechtlichen Druck nur mit Defensivmedizin in Verbindung zu bringen, hält Peter Husslein für falsch. „Der forensische Druck hat die Qualität der Medizin wesentlich verbessert, wir betreiben heute viel sorgsamer Medizin“, sagt der Vorstand der Universitätsfrauenklinik Wien. Ein gutes Beispiel sei die Pränataldiagnostik. Hier kam es zu Urteilen des OGH gegen Ärzte, die bei vorgeburtlichen Untersuchungen eine Behinderung eines Kindes übersehen oder nicht ausreichend aufgeklärt haben. Diese waren sehr umstritten. Aber erst diese Urteile hätten dazu geführt, dass der Einsatz vorgeburtlicher Untersuchungen klar geregelt worden sei, sagt Husslein: „Jeder Mediziner überlegt es sich heute genau, ob er einen Eingriff, den er nicht kann, auch wirklich durchführen soll.“


„Kunst“ geht verloren. Das würde den Kollegen in Villach recht geben, aber auch jenen, die für eine bessere Ausbildung junger Frauenärzte plädieren. Und auch jene hätten recht, die sich noch trauen, Steißlagen natürlich zu entbinden, weil sie es – nach eigenen Angaben – noch gut können. So wie etwa eine Ärztin und zwei Ärzte im St.-Josef-Krankenhaus in Wien. Es gebe eine Gruppe von Frauen, für die eine natürliche Geburt wichtig sei. Zudem sei auch Idealismus dabei, dass diese geburtshilfliche „Kunst“ nicht verloren gehe, sagt Andreas Brandstetter, Leiter der dortigen Geburtshilfe. Aber natürlich sei der forensische Druck stark. „Da hilft kein Lamentieren, wir müssen handeln, es dient der Patientensicherheit“, sagt Brandstetter. Daher werde beim geringsten Problem auch ein Kaiserschnitt durchgeführt. Wesentlich ist freilich die Aufklärung der Frauen. Es gibt einen eigenen Aufklärungsbogen oder Revers, der die wichtigsten möglichen Komplikationen aufzeigt. Aufklärung ist wie auch Dokumentation von erfolgten Maßnahmen essenziell in Hinblick auf eine mögliche rechtliche Auseinandersetzung. Und damit auch eine Gratwanderung zwischen dem Schutz der Frau vor Angstmacherei und dem Schutz des Arztes vor möglichen Klagen. „Man muss hier empathisch vorgehen“, so Brandstetter: „Es geht natürlich nicht, dass man nur die Risikoliste zur Unterschrift vorlegt.“ Oftmals ein schwieriges Unterfangen, wegen Sprachproblemen, Zeitmangel und neuen medizinischen Techniken. Hier werde Ärzten immer mehr abverlangt – ohne entsprechende Abgeltung, kritisiert Husslein.

31 Frauen aus Wien und Umgebung haben 2013 im St- Josef-Krankenhaus ihr Kind aus Steißlage natürlich geboren. 51 haben es versucht, aber es musste doch eine Sectio gemacht werden. Nina S. hatte diese Option in Kärnten nicht. Ihr Kind ist mittlerweile zwei Jahre alt, die damalige OP verlief problemlos. Doch noch heute fühlt sie sich zum Kaiserschnitt gezwungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Geburt
Gesundheit

Ein Totschlagsurteil gegen eine Hebamme

Ein Kind stirbt bei einer Hausgeburt. Das Urteil wegen Totschlags gegen die betreuende Hebamme und Ärztin ist außergewöhnlich hart und schlägt hohe Wellen.
SPITAL, UNIVERSITAETSSPITAL, UNIVERSITAETSSPITAL ZUERICH, ZUERICH, NEONATOLOGIE, FRUEHGEBURT, NEUGEBORENES, BABY, BABYPFLEGE, PFLEGEFACHFRAU, SPITALPERSONAL, FUSS, FUESSCHEN, VERBAND
Gesundheit

Schwer versichert

Viele Hebammen in Deutschland geben wegen zu hoher Haftpflichtversicherungsprämien auf.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.