Experten uneinig: Macht das Handy krank?

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Häufiges Telefonieren mit dem Handy verdoppelt das Risiko für Hirntumore, warnt eine Gruppe von Fachleuten. Das ist reine Panikmache und durch nichts bewiesen, kontern andere Experten.

Krieg herrscht nicht gerade zwischen den beiden Lagern. Die Fronten sind jedoch klar abgesteckt und die Äußerungen über jeweils Andersdenkende nicht immer charmant. Es geht um das Handy und die Frage, ob davon Gesundheitsgefahren ausgehen oder nicht. Ziemlich sicher, sagen die einen, ziemlich sicher nicht, kontern die anderen.

Sicher ist: Das Handy ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken, es liefert uns auch wertvolle Dienste. „Das bestreite ich ja gar nicht“, meint der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter vom Institut für Umwelthygiene der Medizinischen Universität Wien. Das große Aber: „Häufiges Telefonieren mit dem Handy, also mindestens eine halbe Stunde am Tag und das über zehn Jahre, verdoppelt das Risiko für Hirntumore.“ Das hätte die in 13 Ländern durchgeführte Interphone-Studie sowie die Studie der Hardell-Gruppe aus Schweden ergeben. Und die erst heuer veröffentlichte französische Studie spricht gar von einem dreimal höheren Risiko für Gehirntumore, wenn man mehr als 15 Stunden pro Monat mit dem Handy am Ohr telefoniert.

Keine gesicherten Aussagen

„Das ist Panikmache“, kontert Norbert Vana, Vorsitzender des WBF (Wissenschaftlicher Beirat Funk). Aus derzeitiger Sicht, so Vana, könne noch gar keine gesicherte Aussage zu Mobilfunk im Hinblick auf Risiko oder Nichtrisiko für eine Krebserkrankung getätigt werden. „Die französische Studie ist von zweifelhafter Qualität und in Österreich haben sich die Fälle von Hirntumoren jedenfalls nicht verdoppelt.“ Laut Statistik Austria ist in Österreich die Inzidenz von Kopf- und Hirntumoren seit Beginn des flächendeckenden GSM-Mobilfunks 1995 relativ stabil. Pro Jahr erkranken zwischen fünf und sieben von 100.000 Personen an einem bösartigen Gehirntumor und etwa neun Personen an einem anderen Tumor im Kopf- oder Halsbereich.

Hutter kontert mit Zahlen aus Dänemark: Dort ist die Zahl der Hirntumorfälle gestiegen: von 828 im Jahr 1995 auf 1372 im Jahr 2010. „Diese Zahlen korrelieren mit der wachsenden Zahl an Handybenützern. Man sollte das ernst nehmen und zumindest vorsichtig sein.“

Ist Vorsicht vor allem in öffentlichen Verkehrsmitteln geboten? „In Straßenbahnen, vor allem in U-Bahnen, findet sich die höchste Belastung durch Mobilfunkstrahlung. Sie ist um den Faktor sieben höher als auf der Straße. Hervorgerufen wird diese hohe Belastung durch die zahlreichen Telefonierer in den U-Bahnen. Außerdem ist hier der Empfang schlecht, was zu einer Erhöhung der Strahlenbelastung führt“, weiß Vana. „Von der starken Mikrowellenstrahlung, die Handys beim Gespräch abgeben, ist nicht nur der Nutzer betroffen, sondern auch sein Umfeld“, gibt der Salzburger Umweltmediziner Gerd Oberfeld zu bedenken.
Neue Broschüre. Zum sicheren Umgang mit Handy und Co. hat Oberösterreichs Landesrat Rudi Anschober kürzlich die Broschüre „Mobilfunk Vorsorge“ präsentiert (unter www.anschober.at zum Download), in der unter vielem anderen neun wichtige Tipps für die Vorsorge abgedruckt sind. „Fassen Sie sich kurz“, heißt es da, oder „Telefonieren Sie möglichst wenig im Auto“.

In dieser Broschüre geht es auch um die Wärmewirkung hochfrequenter elektromagnetischer Felder, wie sie das Handy erzeugt. Dass der Mensch durch Grenzwerte vor einer gesundheitsschädlichen Erhöhung der Körpertemperatur durch das Handy weitgehend geschützt ist, ist die eine Sache. „Beobachtet wurden Veränderungen im Gehirn hinsichtlich Gehirnströme, Aktivität und Blutfluss, die nichts mit der Erwärmung zu tun haben. Es gibt also auch noch andere Effekte des Mobiltelefons auf unseren Körper, die viele in Abrede stellen“, warnt Hutter. Ob diese Effekte eine Relevanz für die Gesundheit hätten, sei noch nicht geklärt, „wir müssen aber vorsichtig sein“.

Eher keine Gefahr

„Vorsicht ja, aber man soll bitte die Kirche im Dorf lassen“, sagt Sozialmediziner Gerald Haidinger, ebenfalls Mitglied des WBF. „Wir durchforsten jährlich alle neuen Studien, die zu Mobilfunk und Gesundheit durchgeführt werden. Im letzten Jahr waren es etwa 110 neue publizierte Arbeiten, insgesamt sind es an die 950 Studien, die wir bewertet haben. Nach jetzigem Wissen kann man ruhigen Gewissens sagen, dass eher keine Gefahr vom Handy ausgeht. Auch ein Einfluss auf die Zeugungsfähigkeit ist nicht ersichtlich.“

Allerdings, schränkt Haidinger ein, seien die meisten Studien retrospektiv, die Leute wurden also im Nachhinein über ihre Handynutzung befragt. Und wer erinnert sich schon Monate oder sogar Jahre später, wie viel und wie lange er wann telefoniert hat? Außerdem wurde in einer Vielzahl von Studien nicht beachtet, wie groß die Strahlenexposition wirklich war. Das hängt nämlich nicht nur von der Dauer des Telefonats ab, sondern auch von anderen Faktoren wie Empfangsqualität und Standort.

Die erste prospektive Studie (aktuelle Nutzdaten werden über lange Zeit gesammelt und dann ausgewertet), die sogenannte Cosmos-Studie, will all diese Fehlerquellen meiden und valide Daten liefern. Die bisher weltgrößte Studie mit 290.000 Handynutzern wurde 2010 gestartet und soll 20 bis 30 Jahre laufen. Sie soll unter anderem klären, ob die Nutzung von Mobiltelefonen Krebs auslösen oder zu Kopfschmerzen, Tinnitus, Depression und Schlafstörungen führen kann. „Derzeitige Forschungsergebnisse schließen ein Krebsrisiko zwar aus, wir müssen aber ganz sicher sein“, meint ein Wissenschaftler der Cosmos-Studie. Erste Ergebnisse sollen bereits 2015 vorliegen.

„Wir glauben aber nicht, dass es Überraschungen hinsichtlich großer Gesundheitsgefahren geben wird“, wirft Haidinger ein, „denn bei dieser massiven Exposition, irgendwer telefoniert immer irgendwo, müssten wir das in den Mortalitätszahlen sehen, wir sehen aber nichts.“ Freilich sei noch zu klären, wie mit der höheren Empfindlichkeit von Kindern umzugehen sei. Auch die Frage, was bei exzessivem Telefonieren passiere, sei noch nicht beantwortet.

Kein Grund zur Sorge

Eine Antwort hinsichtlich Ohrgeräusche hat Umweltmediziner Hutter: „Wir haben gemeinsam mit der HNO-Abteilung des AKH dazu die weltweit erste Studie durchgeführt und einen möglichen Zusammenhang zwischen Tinnitus und Mobilfunk gefunden.“ Er könne nicht oft genug betonen, dass ein vorsichtiger Umgang mit dem Mobilfunk wirklich angebracht sei. Dazu raten übrigens auch Vertreter des WBF. „Wenn es auch aufgrund der derzeitigen Studienlage keinen Grund zur Sorge gibt, können Langzeiteffekte des Mobilfunks noch immer nicht ausreichend beurteilt werden.“

Zahlen

127,6Minuten pro Tag verbringt ein Smartphonenutzer einer Befragung in Deutschland zufolge durchschnittlich mit seinem Gerät.

79,3Prozent nutzen ihr Smartphone beim Warten, etwa beim Arzt oder in einer Schlange. Immerhin 29,9 Prozent packen ihr Mobiltelefon auch beim Gang auf die Toilette aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2014)

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