Anleitung zur Selbstliebe

Die Liebe zu sich selbst sei erst die Grundlage dafür, andere lieben zu können, sagt der Grazer Psychotherapeut Michael Lehofer.
Die Liebe zu sich selbst sei erst die Grundlage dafür, andere lieben zu können, sagt der Grazer Psychotherapeut Michael Lehofer.(c) J.J. Kucek
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Wer sich selbst nicht mag, scheitert an der Begegnung mit anderen. Psychotherapeut Michael Lehofer hat eine Strategie, wie man sich selbst wertschätzt.

Sich zu verlieben geht in der Regel schnell. Jemanden tatsächlich zu lieben ist dann schon ein längerer Prozess. Und geht es dabei um einen selbst, ist es noch viel komplizierter. Dabei sei gerade die Liebe zu sich selbst die Grundlage dafür, auch andere lieben zu können, meint Michael Lehofer. Der Grazer Psychotherapeut und Psychiater hat dazu nun auch ein Buch geschrieben, in dem er eine Anleitung dazu gibt, wie man sich selbst besser wertschätzen kann. Wobei er auch gleich klarstellt, dass Selbstliebe nichts mit Narzissmus zu tun hat. Dieser sei nämlich, so wie auch der Egoismus, ganz umgekehrt ein Zeichen von mangelnder Zustimmung zu sich selbst. „Die Verherrlichung des eigenen Selbst“, meint er im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“, „soll den Mangel an Selbstliebe kompensieren.“

Also wieder zurück an den Start und hin zu einem bescheideneren Auftreten? Nun, solange die Bescheidenheit nicht nur Koketterie ist, kann das schon einmal eine gute Richtung sein. „Der wirklich bescheidene Mensch weiß, was er wert ist“, sagt Lehofer. „Daher kann er sich die Bescheidenheit leisten, weil er nicht auftrumpfen oder etwas sein muss.“ Aber Bescheidenheit in dem Sinn, dass man seine eigenen positiven Eigenschaften nicht erkennt und nicht offen zu ihnen steht, kann auf dem Weg zur Selbstwertschätzung auch wieder zum Problem werden. Genau dazu werde man aber in der Erziehung vom frühkindlichen Egoisten zum sozial kompatiblen Mitmenschen getrieben. Im Sinne davon, dass es eben unfein ist, sich selbst zu loben – und damit auch, sich selbst wertschätzen zu können.

Liebe ist kein Gefühl

Es ist also gar nicht so einfach, sich selbst zu lieben. Wobei Lehofer den Begriff Liebe zunächst einmal klar definieren möchte. Sie sei nämlich kein Gefühl, sondern eine totale Verbundenheit. Als Beispiel im Buch nennt er die bedingungslose Liebe zu seinen Töchtern, die auch durch all die negativen Gefühle, die er zweifelsohne schon für sie hatte, nicht beeinträchtigt wurde. Ob Angst, Wut, Verzweiflung, Ärger, Aggression – die tiefe Verbundenheit zu ihnen geht selbst in schlimmen Momenten nicht verloren. „Gefühle müssen sich ständig ändern, sie sind Seismografen“, sagt Lehofer. „Die Liebe ist dagegen die Wirklichkeit der totalen Verbundenheit – sie ist kein Gefühl, sie ist eine Empfindung.“

Eine Empfindung wiederum ist nichts, was man aktiv erzeugen kann. Damit steht man wieder vor dem Dilemma, wie man die Liebe zu sich selbst lernen kann. Das, meint Lehofer, geht über Umwege. „Wenn wir lernen, empfindsamer zu werden, dann werden wir lernen zu lieben. Selbstliebe bedeutet also das Empfinden der totalen Nähe zu sich selbst.“ Allein, genau damit hätten viele Menschen Probleme. Was schon mit der Angst beginnt, allein mit sich selbst zu sein. Weil man dabei sich selbst begegnet. Die Liebe, meint Lehofer, ist ein Anschlag auf unsere Identität, auf das, was wir uns unter uns selbst vorstellen. Sie erfordert das Freilegen des Inneren, das hinter den eigenen Ängsten und Gefühlen verborgen ist.

Das Alleinsein üben

Insofern ermutigt der Autor in seinem Buch dazu, das Alleinsein zu üben. Denn nur dort können wir es vermeiden, uns über andere zu definieren. Und allein gehe es auch nicht darum, unsere Nächsten zu unterwerfen, „um sie sicher zur Verfügung zu haben“ – sei es in Liebesbeziehungen, sei es in den Beziehungen zwischen Eltern und Kind, bei Freundschaften oder im Beruf. Genau dieses Abhängigmachen diene vor allem dazu, unsere eigene Abhängigkeit zu maskieren. Beim Alleinsein gehe es darum, sich mit der Angst vor der Einsamkeit zu konfrontieren. Denn sie sei auch ein Hemmschuh auf dem Weg hin zur Selbstliebe.

Oft wird das Alleinsein, die Angst vor der Einsamkeit dabei, mit Ablenkungen bekämpft. Lehofer bezeichnet derartige Ablenkungen auch als Exits: dass man etwa im Auto das Radio aufdreht, beim Heimkommen am Abend gleich ein Bier aufmacht, etwas zum Naschen holt, den Fernseher aufdreht. Alles Dinge, die einen davon abhalten, sich mit sich selbst zu beschäftigen. „Hören wir mit all dem auf, was uns von uns selbst abhält“, sagt er. Nicht das Bier an sich sei das Problem, nicht das Stück Schokolade oder eine Zigarette. Nur würden all diese Exits eingesetzt, um sich mit Unerfreulichem nicht auseinandersetzen zu müssen. Am Ende beraube man sich damit aber der Lebensfreude. Denn Schokolade schmecke besser, wenn sie nicht in der Emotion der Gier gegessen wird, wenn man mit ihr nicht das bittere Leben versüßen will.

Die Ermutigung zum Verzicht zieht Lehofer auch weiter, wenn es in eine Beziehung geht. „Zur Erhöhung der Intensität brauchen wir den Rahmen des Verzichts“, sagt er. Dass man eben zugunsten des Partners – Stichwort Treue– auf einen Seitensprung verzichtet. „Die Treue zu jemand anderem kostet viel Energie. Außer, die Treue zum anderen ist Ausdruck der Treue zu sich selbst.“ Und das sei wieder einer jener Punkte, warum die Liebe zu anderen ohne Selbstliebe nicht möglich sei. Denn die Treue sei ein Versprechen, das man sich selbst gebe. Natürlich, nur Verzicht, ohne dass man dafür auch etwas bekommt, sei kein erstrebenswerter Zustand. Aber wenn die Leidenschaft füreinander da sei, dann falle der Verzicht auf andere Optionen jedenfalls leicht.

Liebe bedeute, so meint der Psychotherapeut, dass es unfassbar schön sei, mit dem anderen zu sein. Und umgekehrt heiße Selbstliebe, dass es auch unfassbar schön sei zu wissen, dass man sich selbst hat. Ein Ziel, das viel an Beschäftigung mit sich selbst erfordere. Aber auch ein Ziel, nach dem es sich zu streben lohne. Denn Liebe und Leben, so sagt Lehofer, unterscheiden sich am Ende eigentlich nur durch zwei Buchstaben.

Das Buch

„Mit mir sein.
Selbstliebe als Basis für Begegnung und Beziehung.“
Von Michael Lehofer.
Braumüller Verlag, 19 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2017)

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