Frühe Gefahr: Herpes bei Neugeborenen

Die typischen Hautbläschen treten nur bei zwei Dritteln der infizierten Neugeborenen auf.
Die typischen Hautbläschen treten nur bei zwei Dritteln der infizierten Neugeborenen auf.Gemma Ferrando / Westend61 / picturedesk.com
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Es passiert selten, trotzdem berichten Kinderärzte von mehr Neugeborenen, die sich mit Herpesviren infizieren. Bei Erwachsenen lösen die Viren meist nur Fieberbläschen aus, bei Babys kann die Infektion tödlich enden. Ein Problem bei der Diagnose: Nicht immer sind die typischen Bläschen zu sehen.

Es hätte eine ganz normale Geburt sein können. Doch dann lief etwas schief. Der kleinen Maria wurde bei der Geburt in einem kleinen Krankenhaus auf dem Land eine Kopfwunde zugefügt.

Die Wunde sei nur oberflächlich, nicht weiter bedenklich und würde schon bald verheilen, erklärten die Ärzte damals der Mutter. „Meine Tochter wurde nicht gebadet, die Wunde auch nicht gesäubert oder steril behandelt, obwohl ich mehrfach auf die Verletzung hingewiesen habe“, sagt Marias Mutter zur „Presse am Sonntag“. Die Frau will ihren Namen nicht in der Zeitung lesen, da der Fall noch vor Gericht landen könnte.

Mutter und Kind wurden aus dem Krankenhaus entlassen. Der Kopf der Kleinen war schon bald mit eitrigen Pusteln und roten Flecken übersät, die Wunde sah entzündet aus. Anruf im besagten Spital; dort riet man den Eltern, einen Kinderarzt aufzusuchen.

Er verschrieb eine antibiotische Heilsalbe und meinte, wenn keine Besserung einträte, solle man in einer Woche wiederkommen. Die Bläschen und Pusteln wurden bedrohlich größer und immer mehr. „Wir hatten große Angst um unsere Tochter und gingen in ein größeres Spital“, erzählt Marias Mutter der „Presse am Sonntag“. Dort stellte man fest, dass der Säugling mit Herpes-simplex-Viren infiziert war. Eine sofort eingeleitete Therapie – drei Wochen lang täglich drei Infusionen – rettete dem Baby vermutlich das Leben.

Frühzeitiges Erkennen ist wichtig

Eine Herpesinfektion kann für Babys schnell lebensbedrohlich werden, daher sind frühzeitiges Erkennen und eine rechtzeitige Behandlung von entscheidender Bedeutung. An und für sich, meint Gustav Fischmeister, Kinderarzt am St.-Anna-Kinderspital in Wien, komme eine Infektion mit Herpes-simplex-Viren bei Neugeborenen eher selten vor. „In meiner Studienzeit, ich wurde 1986 fertig, wurde eine solche Infektion bei Babys überhaupt nicht beschrieben. Aber in vergangener Zeit tritt sie doch häufiger auf. Wir wissen aber nicht, warum.“

Hingegen werde immer klarer, wie gefährlich eine solche Infektion für die ganz Kleinen werden kann. Das Immunsystem von Babys ist noch so schwach, dass die Viren meist leichtes Spiel haben und sich im ganzen Körper ausbreiten können. Besonders gefährdet sind Babys in den ersten sechs Lebenswochen.

Die Ansteckung mit Herpes Typ 1 (Herpes simplex, Fieberblasen oder Lippenherpes, HSV-1) erfolgt meist über eine Tröpfchen- oder Schmierinfektion: Ein Infizierter hustet oder niest oder kommt dem Baby mit einer Fieberblase zu nahe.

Ist Letzteres pure Verantwortungslosigkeit oder einfach Dummheit? „Nicht unbedingt“, meint der Arzt. Es gibt zum Beispiel auch Fieberblasen in der Nase, die der Betroffene gar nicht merkt oder nicht als solche erkennt. Im britischen Lancaster beispielsweise brachten die liebevollen Küsse einer 35-Jährigen mit dem Virus infizierten Mutter ihrem Baby den Tod.

Kinderwagen mit Tuch

Es kann aber auch sein, dass sich in der Straßenbahn jemand über den Kinderwagen beugt und das Baby anspeichelt. „Wir Kinderärzte empfehlen, über den Kinderwagen immer ein Tuch zu geben und fremde Leute nicht zu nahe an das Kind kommen lassen“, rät Lila Mlczoch von der Kinderarztpraxis Schumanngasse in Wien. Eltern sollten, so lang sie Lippenherpes haben, unbedingt einen Mundschutz tragen und keinesfalls den Schnuller des Babys in den Mund nehmen.

Möglich sei auch, so Fischmeister, eine Ansteckung über den Genitalbereich. Besteht bei der Mutter eine HSV-1-Infektion im Genitalbereich, können die Erreger bei der Geburt direkt auf das Neugeborene übergehen. Ist ein Herpesausbruch bei der Mutter bekannt, ist ein Kaiserschnitt angebracht. Akuter Genitalherpes kann aber auch von der Mutter auf das Ungeborene übertragen werden und zu Fehlbildungen oder einer Fehlgeburt führen.

Wie schlimm die Krankheit beim Baby verläuft, hängt mit der Verbreitung des Virus im kleinen Köper zusammen. Auch die mildeste Form, bei der nur die Haut betroffen ist, sowie die etwas stärkere Form mit Gesichts- und Augenbeteiligung können mit einer dauerhaften Schädigung der Augen, ja sogar mit Erblindung enden. Gelangt das Virus auch ins Gehirn, sind die Folgen schon viel dramatischer, es kann zu schweren irreparablen Gehirnschäden kommen. Erkennt und behandelt man die Infektion nicht rechtzeitig, kann sich das Virus rasch im ganzen Körper ausbreiten und andere Organe wie Herz, Lunge oder Leber befallen. Ein Multiorganversagen droht, das tödlich enden kann. Sind Hirn und Organe befallen, ist die Sterblichkeit trotz antiviraler Therapie relativ hoch.

Infektion auch ohne Bläschen

Die Inkubationszeit beträgt acht bis 17 Tage. „Wenn das Kind Trinkschwäche aufweist, lethargisch und blass ist, vielleicht auch leicht fiebert und Krampfanfälle hat, sollte man an eine Herpesinfektion denken“, betonen Kinderärzte. Die charakteristischen Herpesbläschen auf der Haut weisen etwa nur zwei Drittel der infizierten Neugeborenen auf. Sind solche vorhanden, sollte man unverzüglich zu einem Arzt gehen.

Auf einen Blick

Herpesinfektionen werden durch Herpes-simplex-Viren Typ 1 und 2 hervorgerufen. Der häufige Lippenherpes wird vorwiegend durch HSV-1 verursacht, HSV-2 manifestiert sich häufiger im Genitalbereich.

Viele sind infiziert. Rund 90 Prozent aller Menschen tragen das Herpes-simplex-Virus, das Lippenbläschen verursacht, in sich. Meist verursacht es keine Symptome, es zieht sich ins Nervensystem zurück und „schläft“. Bei einer vorübergehenden Schwächung jedoch (Stress, Krankheit, übermäßiger Sonnenexposition) kann sich das Virus vermehren und Bläschen bilden. Der Inhalt dieser Herpesbläschen ist hoch infektiös.

Unangenehm für Erwachsene. Für die meisten Erwachsenen ist so eine Infektion unangenehm, weil die Lippen etwa von schmerzhaften Bläschen überzogen sind – in der Regel ist der Ausbruch der Infektion aber harmlos.

Große Gefahr für Babys. Ganz anders kann sich eine Infektion bei Neugeborenen auswirken. Hier reichen die Auswirkungen der Infektion von harmlosen Bläschen bis zum Tod. Daher ist es wichtig, eine mögliche Herpesinfektion rasch zu erkennen. Wenn das Kind wenig trinkt, lethargisch und blass ist, leicht fiebert und Krampfanfälle hat, dann soll man an so eine Infektion denken, raten Kinderärzte. Wobei man sich nicht auf das Auftauchen der charakteristischen Bläschen für die Diagnose verlassen kann, denn nur zwei Drittel der infizierten Neugeborenen haben diese Bläschen auf der Haut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2017)

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