Vitamin D: Ein paar Tropfen Sommer am Tag

Ein bisschen Sonne fördert die Vitamin-DProduktion, zu viel Sonne ohne Sonnenschutz fördert Hautkrebs.
Ein bisschen Sonne fördert die Vitamin-DProduktion, zu viel Sonne ohne Sonnenschutz fördert Hautkrebs.REUTERS
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Nun ist die Sonne auch in Österreich ausreichend stark, damit der Körper genug Sonnenvitamin produzieren kann. Wie viel Sonne dabei guttut und ob es möglich ist, jetzt einen Vitamin-D-Speicher für die lichtarme Jahreszeit aufzubauen.

Erschöpfung, Infektanfälligkeit, Schlafstörungen, Rückenschmerzen – ein Vitamin-D-Mangel äußert sich durch sehr unspezifische Symptome und wird in den meisten Fällen nur durch einen Zufallsbefund festgestellt. Gerade in den Wintermonaten stellt ein leichter Mangel keine Seltenheit dar, da die Sonne in Mitteleuropa zu schwach ist. Denn: Um selbst Vitamin D in der Haut zu bilden, benötigt der Körper regelmäßig Sonneneinstrahlung. Von April bis Oktober funktioniert das in Österreich sehr gut – trotzdem greifen immer mehr Menschen bereits das ganze Jahr auf Nahrungsergänzungsmittel mit Vitamin D zurück. Der Hype um Vitamin D ist groß, so soll das „Wundermittel“ angeblich Krebs und Diabetes vorbeugen oder etwa vor Depressionen schützen.

Was kann Vitamin D wirklich?

Wissenschaftlich gesehen stehen diese Ergebnisse noch auf schwachen Beinen. „In sogenannten Assoziationsstudien wurden unter anderem Zusammenhänge zwischen einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel und diversen Krankheitsbildern wie Bluthochdruck, hohen Blutfettwerten, Herzinfarkten oder Atemwegsinfekten festgestellt. Allerdings sind diese Ergebnisse noch nicht gesichert“, erklärt Anton Luger, Endokrinologe an der Med-Uni Wien. „Was fehlt, sind groß angelegte Studien, in denen Menschen, die Vitamin-D-Präparate einnehmen, und Menschen, die das nicht tun, miteinander verglichen werden – über viele Jahre hinweg.“ Bis dato gibt es nur für einzelne gesundheitsfördernde Wirkungen von Vitamin D aussagekräftige Studien – etwa im Bezug auf Knochenbrüche und Stürze im Alter oder Darmkrebs.

Sonnenhormon. Fakt ist, dass das fettlösliche Vitamin D an einer Vielzahl von Stoffwechselvorgängen im Körper beteiligt ist. Es sorgt etwa dafür, dass im Darm Kalzium und Phosphat aus der Nahrung aufgenommen werden können. Weiters versorgt es die Muskulatur sowie Knochen und Zähne mit Kalzium und ist essenziell für den Knochenauf- und -umbau. Im Gegensatz zu anderen Vitaminen kann es vom Körper selbst gebildet werden und ist daher kein Vitamin im klassischen Sinn, sondern ein Hormon. Für die Bildung muss die Haut lediglich der Sonne ausgesetzt werden: „Mit ausreichend Vitamin D versorgt zu sein war aus evolutionsbiologischer Sicht kein Problem für den Menschen – erst seit wir uns überwiegend in Innenräumen aufhalten und so zu wenig der direkten Sonne ausgesetzt sind“, erklärt Endokrinologin Karin Amrein, die an der Med-Uni Graz und am Hormoninstitut Dobnig tätig ist. „Die Haut braucht für die Bildung UVB-Strahlung, diese ist in unseren Breiten allerdings nur im Sommerhalbjahr stark genug für die Vitamin-D-Synthese.“ Über die Ernährung können nur zehn bis 20 Prozent des täglichen Bedarfs an Vitamin D gedeckt werden. Zu Lebensmitteln, die reich an Vitamin D sind, zählen bei Sonnenlicht gereifte Pilze wie Steinpilze, Hühnereier und allen voran fette Seefische wie Lachs, Makrele oder Kabeljau. „Mit der klassischen österreichischen Küche kann nur ein kleiner Teil des täglichen Bedarfs gedeckt werden. In Kombination mit zu wenig direktem Sonnenlicht kann es dann zu einem Vitamin-D-Mangel kommen“, so Amrein. Faktoren wie Alter, Lebensstil und andere Risikofaktoren begünstigen außerdem einen Vitamin-D-Mangel.

Vitamin D und Fertilität

Vom Baby bis ins hohe Alter. Wie viel Vitamin D braucht der Mensch nun im Lebensverlauf? „Bereits Schwangere sollten auf eine gute Versorgung mit Vitamin D achten, damit das Baby im Mutterleib ausreichend versorgt ist. Untersuchungen haben sogar gezeigt, dass die Fertilität mit dem Vitamin-D-Spiegel in Zusammenhang stehen kann“, so die Endokrinologin. Ab der Geburt wird von Kinderärzten zumindest für das erste Lebensjahr eine tägliche Gabe von Vitamin D empfohlen. Das liegt einerseits daran, dass Säuglinge noch nicht so lang der prallen Sonne ausgesetzt werden sollen, andererseits dienen die Tropfen als Vorbeugung von Rachitis, einer Kinderknochenkrankheit infolge eines schweren Vitamin-D-Mangels.

Der tägliche Bedarf eines Säuglings beträgt 400 I. E. (internationale Einheiten). Ab dem ersten Geburtstag pendelt sich der Bedarf bei 600 I. E. pro Tag für Kinder, Jugendliche und Erwachsene ein und steigert sich erst ab etwa 60 Jahren auf 800 I. E. pro Tag. Zu den Risikogruppen für einen Vitamin-D-Mangel zählen vor allem ältere Menschen, da ihre Haut das Vitamin D nicht mehr so gut herstellen kann, weiters Menschen mit Autoimmunerkrankungen, Nieren- sowie Leberkranke, übergewichtige Menschen, Menschen mit dunkler Hautfarbe sowie Menschen, die ihren Körper verhüllen. Hier kann eine Blutuntersuchung Aufschluss über den aktuellen Vitamin-D-Spiegel geben. Endokrinologin Amrein empfiehlt: „Vor großen medizinischen Ereignissen wie einer Chemotherapie oder einer großen Operation empfehle ich, sowohl den Vitamin-D- als auch den Eisenstatus im Blut anzuschauen und vorab zu optimieren, ebenfalls vor einer geplanten Schwangerschaft oder künstlichen Befruchtung.“ Die Einnahme eines Vitamin-D-Präparats sollte jedenfalls mit dem Hausarzt besprochen werden. Im seltenen Fall kann es auch zu einer Überdosierung durch zu hohe Supplementierung kommen.

Es braucht trotzdem Sonnencreme

Mit Maß und Ziel. Doch nicht nur bei der Einnahme von künstlichen Vitamin-D-Präparaten ist Vorsicht geboten. Dermatologen warnen auch aus anderen Gründen vor zu viel direkter Sonneneinstrahlung: „Die Haut benötigt für die Vitamin-D-Synthese die UVB-Strahlung, diese ist allerdings auch für die Entstehung von weißem Hautkrebs verantwortlich“, erklärt Dermatologe Peter Wolf von der Med-Uni Graz. Für die ausreichende Aufnahme von Vitamin D braucht es laut Wolf jedoch relativ wenig Sonne: Zweimal pro Woche zehn bis 20 Minuten mit unbedecktem Gesicht und unbedeckten Händen und Unterarmen in der Sonne zu sitzen reiche für die Vitamin-D-Synthese aus. „Hält man sich länger in der Sonne auf, so ist das Einschmieren mit einer Sonnencreme jedenfalls unverzichtbar, denn 20 Minuten Sonneneinwirkung können bei sehr sonnenempfindlichen Personen die Eigenschutzmechanismen der Haut in der Mittagszeit schon überfordern.“ Generell plädiere der Dermatologe für einen vernünftigen Umgang mit der Sonne und empfiehlt ein gesundes Mittelmaß an Sonnenexposition sowie Sonnenschutz.

„Sonnenlicht per se hat eine Vielzahl an positiven Einflüssen für den menschlichen Körper“, betont der Innsbrucker Pharmakologe Hartmut Glossmann. „Das Thema Vitamin D ist vielschichtig. Es wird vermutet, dass verbesserte Lebenserwartung oder weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die in großen Langzeitstudien mit dem Vitamin-D-Spiegel korrelieren, in Wirklichkeit auf ausreichenden Fischverzehr, reichlich Bewegung in der Sonne sowie Urlaube im Süden zurückzuführen sind. Ergebnisse aus Studien, die das untersuchen, werden allerdings erst in einigen Jahren vorliegen.“ Ob nun die Sonne oder das Vitamin D oder beide zusammen für die gesundheitsfördernden Effekte verantwortlich sind: In den kommenden Wochen und Monaten kann man die Vitamin-D-Speicher im Körper auf natürliche Weise auffüllen. „Gesunde kommen mit diesem Speicher voraussichtlich auch im Winter in keinen Mangel“, sonst empfiehlt Endokrinologin Amrein: „Vitamin D in der ,Winterreifenzeit‘ zu supplementieren, das schadet auch Gesunden nicht.“

Von Risken und Mängeln

Täglicher Bedarf. Säugling 400 I. E. (internationale Einheiten), Kinder (ab einem Jahr) bis Erwachsene : 600 I. E, Senioren (ab 60): 800 I. E. Vor der Einnahme sollte man einen möglichen Mangel medizinisch abtesten lassen.

Risikofaktoren. Die Vitamin-D-Eigenproduktion sinkt mit zunehmendem Alter. Dunklere Haut benötigt mehr Sonnenlicht für die Vitamin-D-Synthese, hellere Hauttypen riskieren durch zu viel Sonnenschutzmittel oder verhüllte Haut, sich zu wenig der Sonne auszusetzen.

Gesundheit. Durch Nieren- oder Lebererkrankungen, aber auch Magen-Darm-Erkrankungen und Autoimmunerkrankungen kann ein Vitamin-D-Mangel entstehen. In der Schwangerschaft und Stillzeit kommt es durch einen erhöhten Nährstoffbedarf des Babys schnell einmal zu einem Vitamin-D-Mangel bei der Mutter. Quelle: Med-Uni Graz

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2018)

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