Die große Bühne aus Asphalt

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Beim Radfahren zählen nicht nur gut geölte Ketten. Sondern inzwischen längst, welche Hose oder Tasche man dabei trägt. Die Radkultur defiliert heute über den Ring in Wien.

Mit dem Rad begibt man sich auf die Bühne der Stadt, ist sichtbar und präsent – und man sitzt leicht erhöht. Das bietet nicht mal ein Cabrio“, schwärmt Martin Blum, Fahrradbeauftragter der Stadt Wien. Vor allem diesen Sonntag gibt es zwischen den Häusern der Stadt besonders viel zu sehen. Wenn einige Tausende Radfahrer den Ring zum Rad-Highway machen – bei der Radparade. Letztes Jahr zählte man rund 8000 Besucher, dieses Jahr erwartet man noch mehr. Denn die Radkultur boomt, das zeigt sich nicht nur in Zahlen. Das zeigen die Radfahrer selbst, wenn sie plötzlich schicke Radhosen tragen und die Accessoires plötzlich nicht ausschließlich an Tour de France oder öligen Fahrradkeller erinnern.

Die Gründe, auf das Rad zu steigen, sind weit zahlreicher als jene, die etwas mit Fitness, frischer Luft und weniger Lärm zu tun haben. Rad fahren in der Stadt verbessert die Lebensqualität. Die eigene und die der anderen. Wenn der Fahrtwind um die Nase weht, bewegt man sich mit anderem Bewusstsein durch die Stadt. Es wird auch schnell klar, was nicht funktioniert. Radfahrer erleben ihre Umgebung anders. Verzichtet man also auf das motorisierte Blech als schützende Hülle, begibt man sich in einen unmittelbaren Austausch mit dem Umfeld und nimmt auch Geräusche intensiver wahr. „Als Radfahrer ist man interaktiv mit der Stadt verbunden,” beschreibt Blum die positiven Effekte des Radelns. Und auch die Erdgeschoßzone bekommt das zu spüren. „Diese ist enorm wichtig für die Lebendigkeit einer Stadt. Und Rad fahren belebt sie, weil man so viel schneller stehen bleiben kann, in ein Geschäft gehen oder sich spontan in ein Café setzen.“


Mode-Faktor.
Das Rad ist ein Ausdrucksmittel, das besonders von der Hipsterbewegung angetrieben wird. Neueste Publikationen, wie etwa das Buch „Cycle Style“, widmen sich – ganz im Stil des bekannten Streetstyle-Fotografen „The Satorialist“ – eher der Kleidung, die man auf dem Fahrrad trägt als dem Vehikel selbst. Diesen Trend witterten die Gebrüder Stitch, Experten für maßgeschneiderte Jeans, bereits vor zwei Jahren und entwarfen das Modell „Velojeans“: Features wie Beinbelüftung, ein nahtfreier Schritt oder der magnetische Hosenbeinclip, um die Hosenbeinweite individuell anzupassen, sollen das Beinkleid besonders radkompatibel machen. Große Marken wie etwa Levi's ziehen bereits nach.

Funktionalität und Eleganz sollen sich nicht ausschließen – eine der Herausforderungen für Designer wie etwa jene vom Label „Eva Blut“, das multifunktionale Fahrradtaschen herstellt. Die Designerin Eva Buchleitner will dem urbanen Radfahrer Möglichkeiten bieten, „das Hab und Gut mit dem Rad zu transportieren, ohne gleich eine Tasche am Rücken zu haben“. Natürlich braucht man kein Rad, um die Taschen aus der Kollektion „Velocité“ zu verwenden. Der Stylinganspruch so mancher Hipster ist noch lange kein Grund zur Verzweiflung: das beweist der Wiener Blog „Vienna Cycle Chic“. Paul Rasper dokumentiert die Wiener Radfahrer, ganz gleich ob Arbeiter, Student oder Pensionist – auf seinen Blog kommt, wer lässig wirkt und sich nicht als Radfahr-Missionar inszeniert. „Vienna Cycle Chic“ ist auch Teil eines internationalen Netzwerks von insgesamt 65 Blogs. Einmal pro Jahr trifft sich die Community zu einer Konferenz, um Kontakte zu pflegen und die neuesten Entwicklungen zu diskutieren. Rasper hat die Fahrradkultur für sich und seinen Blog in Kopenhagen entdeckt, „der Fahrradstadt schlechthin. Dort fahren die Leute Rad, so wie sie zur Oper gehen: die Frauen im Abendkleid und mit High-Heels, die Männer im Anzug“.

Werkstatt. Ob One-Speed-Bike oder Klapprad, Waffenrad oder italienisches Rennrad, der Radfahreranteil auf Wiens Straßen soll sich bis zum Jahr 2015 verdoppeln – so das ambitionierte Ziel des Rathauses. Da muss auch die Radinfrastruktur nachziehen. Versorgungslücken mit Reparatur- und sonstigen Serviceleistungen versuchen etwa Willi Kasyk und Martin Kunath mit der soeben eröffneten „Radwerkstatt“ zu schließen. Der Name sagt's: Die Reparatur gebrauchter Räder ist ihre Hauptaufgabe. Innerhalb von drei Tagen soll das spätestens geschehen, so ihr Geschäftsversprechen. „Für Radfahrer, die das Rad täglich benutzen, ist ja die übliche Wartezeit viel zu lang“, weiß Kasyk.

Das Gestaltungskonzept der Radwerkstatt gibt sich reduziert und dient der Sache: Im Annahme-und Verkaufsraum werden die unzähligen Ersatzteile in einem übersichtlichen Schubladensystem gelagert. „In manch anderen Radgeschäften brauchen die Kunden ein GPS, um sich durch die Berge an Rädern und Verkaufsständern hindurchzunavigieren“, erklärt der Architekt Kunath, der selbst die Gestaltung übernommen hat.

Wie vielfältig und kreativ neue Geschäftsmodelle rund um den Radtrend sein können, beweist auch das „Radlager“ in der Westbahnstraße im siebten Bezirk. Hier frequentiert die ansässige Kreativszene das Lokal von Markus Böhm: Im Verkaufsraum warten Stahlräder und Rennradklassiker auf neue Besitzer, nebenan produziert Böhm mit einer italienischen Espressomaschine aus dem Jahr 1964 Kaffee in feiner italienischer Manier. Und auch für die Bühnen-Outfits der Radprotagonisten da draußen sorgt das Radlager ab diesen Sonntag: mit der „Urban Cycling Fashion Collection“ des japanischen Labels „Pedal Ed“. Progressiv wird es genannt. Das könnte den Rad-Hipstern der Stadt wieder gefallen.

Ab in den Sattel

2. Wiener Radparade
Abfahrt: Heute am 1.April um 12 Uhr beim Burgtheater.

Argus Bikefestival
Zwischen 9 und 18 Uhr tummeln sich heute am Rathausplatz in Wien Radfahrer und alle, die es werden wollen.

„Radlager“ Saisoneröffnung
Heute am 1. April, ab 13 Uhr in der Westbahnstraße 16. www.radlager.at

Wiener Bike-Blog von Paul Rasper: Vienna Cycle Chic

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2012)

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