Es geht auch ohne Computer – Lieber einmal ein Buch lesen

Wenn man Facebook sogar mit auf die Toilette nimmt, sind Gedanken über einen Entzug langsam angebracht.

Suchtverhalten wird besonders dann deutlich, wenn man auf Entzug gesetzt wird. Im Urlaub zum Beispiel. Denn im nicht europäischen Ausland kann es mitunter sehr teuer werden, alle paar Minuten seinen Status auf Facebook zu aktualisieren oder der Welt auf Twitter seinen Gemütszustand mitzuteilen. Und so süchtig, sagt man sich, ist man dann doch wieder nicht, um hunderte Euro auf der Telefonrechnung zu riskieren. Ist ja nicht schlecht, dieser finanzielle Selbstschutzmechanismus.

Ein Mechanismus, der sich mittlerweile allerdings leicht umgehen lässt – denn so gut wie jedes Mittelklassemotel bietet schon kostenloses WLAN an. Und so lassen sich zumindest in den Minuten vor und nach dem Sightseeing die Mails checken. Und zumindest ein kleiner Blick auf die mobile Facebook-Seite geht sich auch noch aus. Und vielleicht findet sich ja zwischendurch auch noch irgendwo ein Lokal, in dem man – nur kurz – seinen Status updaten kann. Vielleicht kann man ja sogar gleich ein Foto ins Netz stellen, wenn man schon dabei ist.

Ein Tweet aus dem Aufzug. Im heimischen Netz macht man sich solche Gedanken ohnehin schon lange nicht mehr. Ein Tweet aus der U-Bahn, ein Facebook-Update im Aufzug – und selbst beim Candle-Light-Dinner kann man ja schnell ein paar Mails beantworten. Speist man mit einem Suchtgenossen, geht das gleich parallel am Tisch. Wenn nicht, flüchtet man sich eben ein, zwei Mal auf die Toilette.

Daheim läuft sowieso ständig zumindest ein Laptop. Kaum eine Tätigkeit, vom Abwaschen bis zum Staubsaugen, die man nicht alle paar Minuten unterbricht, um zu schauen, ob sich etwas getan hat. Ja, das ist Suchtverhalten. Spätestens dann, wenn man ein Buch liest und sich jedes Mal freut, dass ein Kapitel endet – das bietet die Gelegenheit, schnell einmal auf den Status zu schauen.

Gut, Neujahrsvorsätze sind in der Regel nach zwei bis drei Wochen wieder vergessen. Aber vielleicht lohnt ja doch ein Versuch, soziale Medien ein wenig zu reduzieren. Zumindest so lange, bis man das zu Weihnachten geschenkte Buch zu Ende gelesen hat. Diesen Erfolg kann man dann ja auf Facebook posten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2012)

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