Susannah Cahalan: Ein Monat im Wahnsinn

Susannah Cahalan Monat Wahnsinn
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Wie ist das, wenn man ganz plötzlich scheinbar "verrückt" wird und niemand weiß, woran das liegt? Der US-Journalistin Susannah Cahalan ist das passiert.

Der Weg von der jungen, gesunden Journalistin zur Patientin, die Zwangsjacke trägt, war für Susannah Cahalan kurz und nicht einmal besonders schmerzhaft. Eine etwas übertrieben anmutende Ungezieferparanoia in ihrem Appartement, ein paar ungewöhnliche Gefühlsausbrüche, Lichtempfindlichkeit und Taubheitsgefühle in der linken Körperhälfte hatten die 24-Jährige zwar leicht beunruhigt – nach einer Kernspintomografie, der Diagnose Pfeiffer'sches Drüsenfieber und dem zarten Hinweis ihres Vaters, dass man wegen so etwas als Erwachsene nicht tagelang daheimbleiben kann, glaubte sich Cahalan schon auf dem Weg zurück in den normalen Alltag. Ein mächtiger Irrtum, wie sich wenig später herausstellte, als sie schließlich nach einigen Krampfanfällen und beinah filmreif mit Schaum vor dem Mund im Langone Medical Center der New York University zusammenbrach.


Wochenlang kein Befund. Hier endet Cahalans klares Bewusstsein dafür, was in den kommenden Wochen passierte. Und es passierte eine Menge mit ihr in diesem Monat, den Cahalan in ihrem soeben auf Deutsch erschienenen Buch „Feuer im Kopf“ als „meine Zeit des Wahnsinns“ beschreibt. Rund um die Uhr von Videokameras überwacht, durchlebt die rätselhafte Patientin einen Albtraum aus Paranoia, Halluzinationen, Schlaf- und Wachphasen, wehrt sich gegen Behandlungsmethoden und Untersuchungen, reißt sich wiederholt die EEG-Elektroden vom Kopf, versucht ihre Pfleger zu überwältigen und zu entkommen. Was ihr bald ein oranges Armband mit der Aufschrift „Fluchtgefahr“, eine Fixierung sowie einen persönlichen Bewacher einbringt – und täglich einen anderen Spezialisten an ihr Bett führt: Internisten, Infektionsspezialisten, Immunologen, Psychiater und Psychopharmakologen unterziehen Cahalan endlosen Untersuchungen. Aber alle Röntgenbilder, Kernspin-, Computer- und Positronenemissionstomografien kommen mit demselben Ergebnis zurück: kein Befund.

Hilfe bringt erst nach Wochen, in denen Cahalan durch die Medikation mit Psychopharmaka langsam auch ihr Sprach- und Lesevermögen zu verlieren droht, ein ungleich einfacherer Test. „Malen Sie eine Uhr“, lautet der Auftrag, den ihr der neu hinzugezogene Spezialist Souhel Najjar – intern auch „Dr. House“ genannt – erteilt. Brav malt sie die gewünschte Uhr, allerdings so, dass sich sämtliche Zahlen auf der rechten Seite des Ziffernblatts befinden – und das bringt den Arzt zusammen mit anderen Faktoren wie der erhöhten Zahl weißer Blutkörperchen und Cahalans hohem Blutdruck endlich auf die richtige Spur. Als Ursache der nun diagnostizierten Entzündung der rechten Gehirnhälfte vermutet Najjar eine Autoimmun-Enzephalitis – ein Verdacht, der sich nach weiteren Untersuchungen von Blut und Rückenmark, nach zwei langen Wochen des Wartens und einer Hirnbiopsie erhärtet: Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis lautet endlich die Diagnose.

In den eingesandten Proben hatte Josep Dalmau, Neuro-Onkologe der Universität von Pennsylvania, die extrem seltenen Antikörper entdeckt, die diese Krankheit auslösen und erst im Jahre 2003 erstmals von Dalmau nachgewiesen werden konnten. Bis dahin wurden Patienten, die an der Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis litten, meist falsch als wahnsinnig diagnostiziert und endeten oft auf Psychiatriestationen oder starben. Ein Schicksal, das Cahalan erspart blieb, denn die sofort eingeleitete Behandlung mit Immunglobulinen und Steroiden ermöglichte es ihr, sechs Wochen später das Krankenhaus zu verlassen und nach sechs weiteren Monaten wieder in ihre Redaktion zurückkehren zu können.


Vier Jahre später. Und wie geht es ihr heute, vier Jahre später? „Das ist immer noch eine schwere Frage“, erklärt die heute 28-jährige Cahalan der „Presse am Sonntag“. „Natürlich muss ich sagen, es geht mir großartig. Aber bei manchen Dingen weiß ich einfach nicht, ob ich schon immer so war oder erst durch die Krankheit geworden bin – zum Beispiel was meine Probleme mit Namen und Gesichtern angeht. Aber wenn es bleibende Veränderungen in meinem Gehirn gegeben hat, kann ich auf jeden Fall gut damit leben.“ An den Großteil der Zeit im Spital kann sie sich bis heute nicht erinnern, die meisten Informationen für ihr Buch hat die Journalistin aus den Krankenakten und Videobändern der Überwachungskamera, aber auch aus dem Tagebuch ihres Vaters rekonstruiert. Das Einzige, woran sie sich noch erinnert, sind die Halluzinationen; ein Umstand, der sie manchmal richtig wütend mache, da ihr so viele „echte Erinnerungen“ aus dieser Zeit fehlen.

Das Buch zu schreiben, hat ihr bei der Aufarbeitung dieser Zeit geholfen, auch wenn sie von den Reaktionen, die das Buch in den USA ausgelöst hat, zunächst etwas überwältigt war. „Damit habe ich nie gerechnet, so besonders bin ich nun auch wieder nicht“, so Cahalan. „Aber ich weiß, wie schwierig es ist, mit einer Krankheit ohne Namen zu kämpfen, da befindet man sich einfach an einem sehr einsamen Ort.“ Die immer noch große Zahl von Menschen, die über ihre Website persönliche Hilfe sucht, leitet sie an die von ihr mitbegründete Plattform aealliances.org weiter, die über die unterschiedlichen Formen von Autoimmun-Enzephalitis informiert. „Für alle anderen bin ich mittlerweile einfach das Gesicht der undiagnostizierten Krankheit geworden, und es tröstet sie zu sehen, dass sie nicht allein damit sind und es Hoffnung geben kann.“

Steckbrief

Susannah Cahalan,
28, ist Journalistin der „New York Post“ und lebt in Jersey City, New Jersey.

Mit 24 Jahren
erkrankte sie an einer seltenen Autoimmun-Enzephalitis, bis zu deren Diagnose lange Wochen wahnhaften Verhaltens auf einer Epilepsiestation vergingen. In ihrem Buch „Brain on Fire“ (2012) schildert sie ihre Krankheit. Nun ist ihr Erfahrungsbericht unter dem Titel „Feuer im Kopf“ (MVG Verlag, 295 Seiten, 2013) auf Deutsch erschienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2013)

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