Wolf Biermann: "Ich habe Angela Merkel gewählt!"

Wolf Biermann
Wolf Biermann (c) EPA (Ingo Wagner)
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Der deutsche Liedermacher Wolf Biermann spricht über seinen kommunistischen Vater, dem er als Bub ein Nazi-Lied vorsang. Liebe sei auch politisch, sagt er, die DDR-Diktatur habe ihn Monogamie gelehrt.

Am 12.Oktober 2013 geben Sie mit Ihrer Frau Pamela ein Konzert im Wiener Akzent-Theater. Auf Ihrer neuen CD, „Ach, die erste Liebe“, singen Sie mit ihr. Haben Sie sich über das Singen gefunden?

Wolf Biermann: Seit 30 Jahren übe ich mit meiner Frau im Hellen und im Dunkel – und natürlich singen wir auch, für Freunde. Dass wir öffentlich auftreten, ist für uns eine Neuigkeit. Meine Frau ist eine Sängerin wie Bessie Smith, Edith Piaf oder Billy Holiday, die alle nicht Gesang studiert haben. Als ich sie traf, war sie schon 19 und ich erst 46. Sie hat mich singen gehört, sie hat sich in die Lieder verliebt – und den Mann auch noch dazugenommen.

Sie haben zehn Kinder, drei davon mit Ihrer jetzigen Frau. Was geben Sie ihnen mit?

Es gibt da einen schönen Satz: Man erzieht und erzieht, und dann machen einem die Kinder doch alles nach. Ihren Kindern können Sie sonst was erzählen, der wichtigste Einfluss, den Sie auf sie haben, ist Ihr Beispiel.


Wie war das mit Ihren Eltern? Sie hatten eine sehr enge Bindung zu Ihrer Mutter. Haben Sie da nicht rebelliert?

Meine Mutter hat mich im allerhöchsten Maße geprägt. Wir waren wie zwei kleine Tiere, die in der Nazi-Zeit überleben mussten, das verbindet einen sehr. Als ich 16 war, bin ich in die DDR gegangen. Das war gut für meine Mutter und mich. Wir trennten uns, darum konnten wir zusammenbleiben. Ich hatte auch Konflikte mit meiner Mutter. Mit meinem Vater konnte ich keine Konflikte haben, weil er in Auschwitz ermordet wurde.


Ihr Vater war Werftarbeiter, Jude, im kommunistischen Widerstand gegen die Nazis. 1943 starb er im KZ Auschwitz. Da waren Sie sieben. Haben Sie Erinnerungen an ihn?

Mein Vater wurde verhaftet, als ich drei Monate alt war. Aber später durfte ich ihn einmal sehen. Als ich fünf Jahre alt war, gelang es meiner Mutter, mich ins Gefängnis mitzunehmen. Sie durfte meinen Vater dreimal im Jahr eine halbe Stunde lang sehen. Sie durften nur Privates reden, nicht über Politik. Die Mutter erzählte dem Vater von dem Spottnamen, dem Wölflein. So nannten sie mich, im Hinterhof in Hamburg, wo wir ein halbes Jahr später ausgebombt wurden. Ich hieß der „kleine Sänger“, weil ich immer morgens von halb sieben bis acht Uhr allein in der Wohnung war. Meine Mutter war in der Fabrik, und ich musste auf meine Tante warten. Da habe ich wie ein Kind im Walde gesungen. Und dann hatte meine Mutter einen sehr schlechten Einfall. Sie ermunterte mich: „Sing doch deinem lieben Papa was vor, Wölflein.“ Und ich sang: „Hörst du die Motoren brummen, ran an den Feind, Bomben, Bomben, Bomben auf Engeland.“ Ich habe meinem Vater das Lied seiner Todfeinde vorgesungen. Später habe ich mich oft mit meiner Mutter gestritten, ich sagte: „Armer Vater, einmal im Leben sieht er sein Kind, und dann singt ihm das kleine Arschloch ein Nazi-Lied vor.“ Meine Mutter widersprach: „Du Dummkopf, er hat sich gefreut! Er wusste doch ganz genau, wie das alles zusammenhängt.“

Sie galten lange Zeit als Parade-Linker. Wie ist das heute? Wie sehen Sie die deutsche Politik, die jüngsten Wahlen?

Ich bin ein Linker! Aber die einzige Sozialdemokratin in Deutschland ist Angela Merkel. Die Sozialdemokraten in Deutschland sind keine Sozialdemokraten. Der Kandidat der SPD, Peer Steinbrück, ist ein verhinderter CDU-Mann. Ich habe Merkel gewählt. Seit 1976 lebe ich im Westen. Im Osten lernte ich, wie schwierig die Diktatur ist. Aber die Demokratie ist auch anstrengend. Die Freiheit ist kostbar, sie hat ihren Preis, ihre Tücken, ihre Gefahren. Eine ist die Tatsache, dass, wer gewählt werden will, auch vom Pack gewählt werden muss. Aber das kennen Sie sicher auch in Österreich.

Vom Pack? Wen meinen Sie damit?

Reaktionäre Schweinehunde. Jeder, der in einer Demokratie gewählt werden möchte, weil er ein kluger, tapferer, ehrlicher Mensch ist wie z.B. Angela Merkel, der kann nur an die Machthebel kommen, wenn er auch von den Idioten gewählt wird. Dafür ist man gezwungen, den Leuten nach dem Mund zu reden und Versprechungen zu machen, die man nicht einhalten kann.

Sie wurden 1976 aus der DDR ausgebürgert. In einem Interview erzählten Sie, dass es einen eigenen Plan zur Vernichtung von Wolf Biermann gab, der u.a. einschloss, dass eine schlechte Wolf-Biermann-Kopie auftreten und Ihre Karriere ruinieren sollte.

Dieser Mann ist besoffen die Treppe hinuntergefallen und hat sich das Genick gebrochen.

War das ein Triumph für Sie?

Quatsch! Kein Triumph, aber eine spöttische Fußnote der Geschichte. In dieser Akte der DDR stand auch, dass alle meine Liebes-und Freundschaftsbeziehungen zerstört werden sollten. Die Unterdrücker in der DDR wussten genau: Wer nicht in der Liebe zu den Seinen ruht, Kinder, Frau, Mann, der ist im Streit der Welt schon entwaffnet. Er hat keine Kraft mehr. Insofern ist das Allerprivateste eine politische Kategorie. Als ich das begriff, hat mich das sehr bestürzt. Bis dahin habe ich geglaubt, wie es der 1968er-Idiotenmoral entsprach, man könne mit allen Frauen ins Bett gehen. Diktaturen wissen, dass sie die Menschen nur beherrschen können, wenn sie in ihnen diesen moralischen Glutkern der Liebe kaputtmachen. Das muss man verstehen – und es zur Erscheinung bringen. Das ist das Ziel meiner Lieder, darum schreibe ich Gedichte.

Glauben Sie wirklich, dass Liebeslieder Diktaturen verhindern können?

Ich animiere die Menschen, über bestimmte Fragen nachzudenken. Ich bin überzeugt, dass mir das gelingt. So kann ich mich noch nützlich machen.

Kennen Sie Selbstzweifel?

Wenn man wirklich etwas taugt als Künstler, ist man nicht gerade von sich selbst begeistert, sondern immer sehr kritisch. Man zweifelt dauernd, ob man gut genug ist. Man braucht übertriebene Bewunderung, damit man nicht an seinen Selbstzweifeln kaputtgeht.

Sie wirken immer so sicher auf der Bühne. Man geht hinaus, weil man muss, oder nicht?

Man muss gar nüscht! Aber wenn es sich ergeben hat und man davon lebt, ist man dazu verurteilt, Erfolg zu haben, und wenn man den hat, freut man sich.

Sie haben Mathematik studiert?

Ich habe aus hygienischen Gründen Mathematik studiert. Ich lebte in der DDR, in der zwei mal zwei fünf war. Da wollte ich ab und zu mit Leuten zusammen sein, bei denen zwei mal zwei vier war. Bei der Mathematik gibt es keine Ideologie. Ich muss mich ja auch mit Physik, Atomkraft, Kerntechnik befassen. Naturwissenschaftler sind oft musisch begabt. Einstein spielte Geige, aber er hatte ein gutes Gehör und verschonte die Menschheit davon, öffentlich aufzutreten.

Welche Rolle spielt das Judentum für Sie?

Ich war in der Nazi-Zeit ein Mischling ersten Grades. In Yad Vashem in Jerusalem habe ich gelesen, dass ich erst ab 1947 auf die Liste gekommen wäre, ab dann sollten auch die Mischlinge ausgerottet werden. Meine gesamte jüdische Familie ist ermordet worden. Kein Einziger ist übrig geblieben, der aus mir im geistigen oder kulturellen Sinne einen Juden hätte machen können. Also bin ich sehr unjüdisch aufgewachsen. Aber dann empörte mich der Antisemitismus der Stalinisten in der DDR, das waren Judenfeinde unter dem Deckmantel des Anti-Zionismus. Ich habe mich dann mit Arno Lustiger angefreundet, einem polnischen Juden, Historiker, der Auschwitz überlebt hat. Sein Cousin war Kirchenfürst der Katholiken in Frankreich. Arno Lustiger hat mich verführt, das größte Poem der Juden über die Shoah von Jizchak Katzenelson ins Deutsche zu übersetzen.

Sprechen Sie Hebräisch?

Meine Frau hat jüdische Geschichte studiert und Hebräisch gelernt. Auch etliche meiner Kinder sprechen die Sprache. Einer meiner Söhne lebt in Tel Aviv. Wir sind dann immer häufiger nach Israel gefahren, weil ich dort Konzerte gegeben habe. Wir haben jetzt sehr viele Freunde dort.

Welche Welt erhoffen Sie für Ihre Kinder?

Ich bin kein Prophet. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Versuch, das soziale Paradies auf Erden zu erzwingen, die schlimmste Hölle der Ausbeutung, Unterdrückung, Heuchelei hervorgebracht hat. Schauen Sie nach China, ein kapitalistisches KZ! Ich halte es mit Churchill und seinem berühmten Satz: Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen.


1...ob es etwas gibt, das Sie zum Lachen bringt? Man sieht Sie selten lächeln.
Das ist doch nur so eine Affenpose des Menschen, der fotografiert wird! Ich lache genug. Ich hatte im Leben immer viel zu weinen und viel zu lachen, viel zu hassen und viel zu lieben. Beides Extreme. Das war bei mir immer so.
2...ob Sie an den Tod denken? Sie sind ja nicht religiös, also ist nachher alles aus, oder?
Ich glaube nicht an Gott, ich glaube an die Menschen. Ich hatte das Glück, wunderbare Menschen zu treffen. Dieses Leben reicht für mich aus. Wenn drei Lieder von mir mich um 100 Jahre überleben, bin ich zufrieden.
3...ob es etwas gibt, das Sie bereuen, und was das wäre?
Natürlich habe ich Fehler gemacht. Aber es gibt Fehler, die man machen muss. Es gibt dumme und kluge Fehler. Es gibt Irrtümer, die sind auf dem Niveau der Geschichte, in der man sich bewegt, und andere nicht. Mehr möchte ich nicht dazu sagen.

Steckbrief

1936
Wolf Biermann wird in Hamburg geboren.

1953
Er siedelt in die DDR, studierte Politische Ökonomie, Philosophie, Mathematik.

1960
Biermann lernt den Musiker Hanns Eisler kennen. Er beginnt, Lieder und Gedichte zu schreiben.

1976
Biermann wird aus der DDR ausgebürgert. Er setzt seine Karriere im Westen fort. Am 1.12.1989 gibt er in Leipzig ein Konzert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2013)

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