Boboville: Bobo abgedroschen? „Ich mag das“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Autorin Andrea Maria Dusl hat einen Stadtroman geschrieben. Es geht um kreativ-bürgerliche Großstädter. Der Text kommt ein wenig spät.

Die Presse: In Ihrem Buch „Boboville“ kreisen Sie um den „Bobo“, den Bourgeois Bohemian und seinen Lebensraum. Warum erst jetzt?
Andrea Maria Dusl: Weil es bis jetzt niemand gemacht hat, außer der Journalist David Brooks, der den Begriff geprägt hat. Es ist jedoch oft so, dass Phänomene erst, wenn sie ins Altern kommen, beschrieben werden. Aber der Vorwurf ist berechtigt. Auf der anderen Seite ist der Begriff in aller Munde.


Das stimmt nicht, er ist doch schon längst abgedroschen.
Dusl: Ja, aber mir gefällt das Abgedroschene. Ich rede auch noch über Hippies, obwohl es die nicht mehr gibt. Ähnlich war das bei den „Krocha“. Als alle plötzlich wussten, was ein Krocha ist, war das schon so abgelutscht, das man den Begriff vermieden hat.

Sie schreiben, dass Bobos das Ungleichartige und nicht das Uniforme suchen. Ist diese Suche nicht gleichsam uniform? Wenn etwa alle Freitagtaschenträger Milchkaffee trinken, grün wählen...
Dusl: Die wählen ja nicht alle grün. Die wählen ja auch heimlich die FPÖ. Oder der Gio Hahn, wenn man nicht wüsste, dass er bei der ÖVP ist, würde man denken er ist ein typischer Bobo, der sich fürs Büro eine Krawatte anziehen muss. Aber zurück zur Ungleichartigkeit. Nehmen wir die Freitag-Tasche. Man erkennt sie zwar am kleinen Logo, aber dennoch ist keine wie die andere. Sie ist Uniformierung und Individualisierung gleichzeitig.


Können Sie die Essenz des Bobos zusammenfassen?
Dusl: Es handelt immer von der Großstadt und davon, dass dort eine Idylle erzeugt wird. Die Idylle kommt von der Sehnsucht der urbanen Menschen danach, wo sie herkommen. Und sie kommen alle aus der Provinz. Ich nenne diesen Ort im Buch Poughkeepsie, das ist eine Stadt nördlich von New York. Aber: Ich behaupte ja, dass es gar keine Bobos gibt. Ich habe mich aus der Affäre gezogen, in dem ich sie nicht so, sondern Bobovillans nenne.


Ist das Bonbongeschäft in Ihrem Buch eine Metapher für die heile Welt der Bobos?
Dusl: Es ist die Metapher für den Konsum, und zwar für seine Individualisierung. In meiner Kindheit war es das einzige Geschäft, in dem ich einkaufen konnte. Das Gegenmodell dazu, eine Welt ohne Hedonismus und Sinnlichkeit, war die Klosterschule, in die ich gegangen bin. Und diese beiden Extrempunkte haben mir sehr viel darüber erzählt, wie ich funktioniere – und andere.


Das Bonbongeschäft liegt in der Leopoldstadt, von der Sie sagen, es sei die Keimzelle von Boboville. Wie das?
Dusl: Mich hat nicht interessiert, welches Viertel zuerst oder ganz besonders bobohaft ist. Spannend war eher, dass ich in einem Bezirk aufgewachsen bin, der jetzt als hip und früher als das absolut Letzte galt. Ich habe als Schülerin immer verschweigen müssen, dass ich aus der Leopoldstadt komme. Und jetzt lieben die Menschen die Abgefucktheit des Karmeliterviertels.


Viele Dinge, die man Bobos zuschreibt, sind normal. Etwa frische Minze kaufen.
Dusl: Nein. Minze kaufen ist nicht normal. Am Land hat man das im Garten. Und im städtischen Dachgarten im Blumentopf.

Wie wird der Bobo altern?
Dusl: Manche werden dort stehen bleiben, weil es das ideale Zeitalter für sie ist. Es gibt auch heute Leute, die in den Siebzigerjahren stehen geblieben sind. Die anderen werden Konzernchefs, so wie die Gründer von Google. Die tragen noch immer Freitagtaschen. Das heißt, die Schale wird mitgenommen, aber die Einstellungen ändern sich.


Gibt es Bobo-freie Zonen in Wien?
Dusl: Ja. Das Café im Hotel Imperial. Die spießige Cafeteria im KHM und das Café Tirolerhof. Deshalb sind diese Plätze auch so gut, wenn man ungestört etwas Wichtiges besprechen will.


Sind Sie ein Bobo?
Dusl: Ja und Nein. Ich bin wahrscheinlich mehr Bohemian als Bourgeois. Mir persönlich ist das aber egal. Weil ich es nicht als Schimpfwort empfinde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2008)

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