Botschafterin: „Ich kann ziemlich lange über Fußball reden“

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Die britische Botschafterin Susan le Jeune d'Allegeershecque über den Nutzen der Royal Family und Oberflächlichkeit als Kunst.

Es ist so grau, ich glaube, wir hatten seit Tagen keine Sonne.

Susan le Jeune d'Allegeershecque: Ja. Ich habe Weihnachten in Australien verbracht. Das Zurückkommen war ein richtiger Schock für mich. Und seit ich wieder hier bin, habe ich, glaube ich, kein einziges Mal die Sonne gesehen.

War das nun ein angemessener Beginn für einen Smalltalk?

Ja, absolut. Es gibt Klischees über den Smalltalk, aber ich glaube, mit einer so einfach zu beantwortenden Frage zu beginnen, ist unkontroversiell und es erlaubt dem Gegenüber, ein bisschen mehr zu sagen, wenn er möchte. Der andere könnte aber auch sagen, ja, das Wetter ist schrecklich, und sich dann abwenden. Aber es ist jedenfalls ein guter Start.

Wir hätten über Australien reden können.

Ja, oder generell über das Wetter in Wien, oder wir hätten es als Einstieg in Ernsteres nutzen können. Man könnte über den Klimawandel sprechen. Smalltalk muss kein Smalltalk bleiben, er kann auch zu Big Talk führen.

Haben Sie Lieblings-Eröffnungen?

Der beste Weg in ein Gespräch ist, etwas über die Person zu wissen, mit der man spricht. Wenn ich wohin gehe und in etwa weiß, wer dort sein wird, versuche ich, vorher ein bisschen über die Leute zu erfahren. Mit dem Internet ist das heute leicht. Wenn ich einen wichtigen Politiker treffe oder einen Kollegen, und in deren Lebenslauf sehe, dass sie in einem interessanten Land gelebt haben oder ein spezielles Interesse an einer Sportart haben, ist das ein guter Anfang. Wenn es eine völlig neue Bekanntschaft ist, frage ich die Menschen gern nach ihren Familien. Bei Diplomatenkollegen ist ein guter Einstieg die Frage, was sie über Wien denken. Und Österreicher frage ich immer um Rat. Was soll ich in Wien tun? Wenn sie von außerhalb Wiens kommen, umso besser, dann kann ich sie etwas über ihre Region fragen.

Müssen Sie dann über die Sportart, über die Sie sprechen, auch etwas wissen?

Nein, man kann einfach Fragen stellen. Ich weiß nichts über Fußball, aber ich kann lange darüber reden. Vor allem, wenn man Brite ist, ist Fußball immer ein gutes Thema. Natürlich auch, was die neuesten Filme sind, und ein bisschen über berühmte Leute... In unserem Fall ist die königliche Familie ein großartiges Thema. Aber das Wichtigste ist, eine Frage zu stellen und bei der Antwort auch zuzuhören.

Haben Sie das auch anders erlebt?

Ja. Das Schlimmste ist, wenn einen die Person nicht einmal anschaut, sondern einem über die Schulter schaut, auf der Suche nach dem nächsten Gesprächspartner. Und das passiert ziemlich oft.

Ist Smalltalk etwas sehr Britisches?

Ich glaube, die Leute halten uns für recht gut darin. Es ist Teil der Art, wie Briten miteinander umgehen. Wenn ich zu Hause bin, staune ich immer wieder, wie man sich unterhält. Keine tiefen, bedeutsamen Gespräche, aber ich rede dort zum Beispiel mit der Dame an der Supermarktkasse. Ich finde, das macht den Alltag angenehmer. Es ist wohl einer der Gründe, warum Großbritannien ein freundlicher Ort zum Leben ist, London besonders. Dazu kommt: Wir können diese Gespräche auf einer sehr oberflächlichen Ebene führen. Wir schaffen es, nie an etwas anzustreifen, das umstritten wäre. Ich denke, auch das ist eine Fähigkeit. Es ist wichtig, die Leute nicht vor den Kopf zu stoßen und in der Lage zu sein, über Oberflächlichkeiten zu reden. Manchmal braucht man nicht mehr. Es heißt, beim britischen Smalltalk spricht man nicht über Religion, Politik, Geld oder Sex. Da bleibt nur das Wetter oder die königliche Familie.

Britische Unterhaltungen sind oft witzig.

Wir schätzen Witz und Humor. Das reicht von physischem Humor wie in Mr. Bean bis zu sehr subtiler Ironie und Satire. Viele der Leute, die wir am meisten bewundern, sind die witzigsten. Das wird wirklich kultiviert. Außerdem sind wir ziemlich gut darin, uns über uns selbst lustig zu machen.

Gibt es einen Unterschied zwischen Großbritannien und Österreich?

Ich glaube, hier ist es formeller. Ich lebe hier seit zweieinhalb Jahren und habe noch nie mit der Dame im Supermarkt gesprochen. Und das liegt nicht daran, dass ich nicht Deutsch spreche, ich spreche Deutsch. Aber im gesellschaftlichen Kontext ist der Smalltalk sehr ähnlich. Ein Unterschied ist vielleicht: Leute in London würden einen nicht auf dieselbe Weise fragen, wie sehr man die Stadt mag. Vielleicht, weil man sie für selbstverständlich hält. Aber ich mag es, wenn ich das gefragt werde, weil es mir jedes Mal die Möglichkeit gibt, zu sagen, dass ich Wien sehr mag. Aber die Leute wollen immer genau wissen, wie sehr ich es mag.

Ist Smalltalk eine Kunst, etwas, mit dem man aufwächst, oder etwas, das man lernen kann?

Ich glaube, dass man es lernen kann. Deshalb bilden wir Diplomaten tatsächlich darin aus. Nicht darin, was sie sagen sollen, aber wie sie ein Gespräch eröffnen können. Wie man an jemanden herantritt, den man noch nie getroffen hat, sich vorstellt und dann noch etwas zu sagen hat, das die Möglichkeit gibt, darauf einzugehen. Hier in Wien haben wir eine Cocktail Party veranstaltet und Leute Rollen spielen lassen, und unsere Mitarbeiter mussten herumgehen, Informationen zusammentragen, sich präsentieren und lernen, sich dabei wohlzufühlen. Es kann ja wirklich einschüchternd sein, wenn man in einen Raum mit 200 Leuten tritt und niemanden kennt. Es ist ein ziemlich lustiges Training. Vor allem für die, die den betrunkenen Partygast spielen. Oder die Person, die sich einfach nicht öffnet. Wenn jemand nicht mit Ihnen sprechen will, muss man sich manchmal eben „noch ein Getränk holen gehen“. Oder es kann auch passieren, dass man in einem Gespräch stecken bleibt. Teil unserer Aufgabe als Diplomaten ist es, mit so vielen Leuten wie möglich zu sprechen. Da kann man nicht mit jemandem in der Ecke hängen bleiben, der Fußball für das faszinierendste Thema der Welt hält und mit Ihnen für zweieinhalb Stunden über Manchester United sprechen will. Es ist auch eine Kunst, diese Gespräche wieder höflich zu beenden. Das kann schwieriger sein, als sie zu eröffnen.

Was würden Sie einem Anfänger raten?

Dass all das Fähigkeiten sind, die man lernen kann. Ich denke, das Wichtigste ist, das Vertrauen zu haben, damit anzufangen. Zu Beginn läuft man Gefahr zu glauben, dass es nichts gibt, dass man anbieten könnte. Jeder hat etwas zu bieten. Und dann sollte man damit einfach weitermachen. Je öfter man es macht, desto leichter wird es. Was nicht bedeutet, dass selbst ich nach all den Jahren mich nicht manchmal eingeschüchtert fühlen würde. Auf der anderen Seite: Es kann auch wirklich Spaß machen. Bei jeder Veranstaltung kann jemand dabei sein, der zu einem Freund fürs Leben werden könnte.

Susan le Jeune d’Allegeershecque ist seit September 2012 britische Botschafterin in Österreich sowie Vertreterin Großbritanniens bei der UNO und anderen internationalen Organisationen in Wien. Zuvor war sie als Direktorin für Human Ressources im Britischen Außenministerium maßgeblich an der Gründung der neuen Akademie für britische Diplomaten beteiligt. Neben Sprach- und Policy-Training werden dort auch Kurse zu Soft Skills wie Verhandlungstechnik und Gesprächsführung angeboten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2015)

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