Hermann Scheidleder: "Ich bin ein glücklicher Kugelmensch!"

Hermann Scheidleder
Hermann ScheidlederDie Presse
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Seit über 20 Jahren ist der gebürtige Oberösterreicher Hermann Scheidleder am Burgtheater engagiert. Mit der "Presse am Sonntag" sprach er über Claus Peymann, Gott, das Beten und den Tod seiner Mutter.

Sie sind seit 1993 am Burgtheater, ich zähle fast 50 Rollen in den Inszenierungen der wichtigsten Regisseure, von Hans Hollmann bis Christoph Schlingensief, von Martin Kušej bis Matthias Hartmann. Erzählen Sie doch einmal ein paar Anekdoten!

Hermann Scheidleder: Wir parodieren fast täglich Claus Peymann, nicht das, was er gesagt hat, sondern was er sagen würde. Bei seiner letzten Handke-Inszenierung, „Die Fahrt im Einbaum“ 1999, waren die Proben im Arsenal endlos. Wenn wir fertig waren, kam von ihm immer sein vieldeutiges „Ja, ja, ja, ja, ja“, dann gab es 25 Minuten Kritik zu dem, was wir gespielt haben. Ich bin eingeschlafen, das passiert mir oft, doch wenn ich meinen Namen höre, wache ich normalerweise sofort auf. Peymann fragte: „Wo ist Scheidleder?“ Dann hat er gesehen, dass ich auf meinem Sessel schlafe.

Und es gab ein kräftiges Donnerwetter.

Im Gegenteil. Ich habe gemerkt, es ist auf einmal so ruhig. Ich öffne langsam die Augen und denke: Oje! Peymann aber sah mich an und meinte: „Großartig, Scheidleder schläft, ein Bild des Friedens! Ich kann das verstehen, das ist meine baritonale Stimme.“ Ich sagte: „Ja, wie beim Traummännlein.“

In „Caligula“ von Albert Camus im Burg-Kasino 2012 gab es eine Szene, in der Sie richtig niedergemacht werden. Das wirkt wie Mobbing, es passte zum Stück über einen grausamen, willkürlichen Herrscher.

Ich bin ein Fan des klugen Jan Lauwers. Bei den Proben habe ich zu ihm gesagt: In eurer Needcompany wird immer getanzt, ich würde auch gerne einmal etwas Tänzerisches machen. Er sagte: „Gut, gleich bei deinem ersten Auftritt komm tanzend rein, wenn du den Schlagzeuger hörst.“ Ich habe zu den Voodoo-Rhythmen getanzt wie auf glühenden Kohlen, wie mit Strom aufgeladen, wie ein Autoscooter im Autodrom. Dann war mir schwindlig, ich konnte nichts hören, nicht atmen.

Theater kann Ihre Gesundheit gefährden.

Für mich ist so etwas ein Zustand, den ich für die Rolle nützen kann. Cornelius Obonya, der den Caligula spielte, hatte ich zu fragen: „Was wolltest du?“ Er saß ganz am anderen Ende einer langen gedeckten Tafel und murmelte: „Den Mond!“ Ich konnte ihn nicht verstehen, fragte die Souffleuse. Cornelius rief: „Soll ich jetzt lauter reden?“ Ich: „Ja!“ Ich fragte dann das neben mir sitzende Publikum: „Was hat er gesagt? Haben Sie das verstanden?“ Zu Beginn sind manchmal Besucher aus der Aufführung hinausgegangen und haben gesagt: „Also die können ja überhaupt nicht Theater spielen!“

Sie waren in vielen Nestroy-Rollen zu sehen, zuletzt als Strudl, Gastwirt vom Goldenen Nockerl. Tischler Leim hat im Lotto gewonnen, er kommt nach Wien, will seine geliebte Peppi heiraten. Leim glaubt, sie sei bereits verheiratet – mit Strudl. Leim wird furchtbar grob gegenüber dem armen Strudl.

Ich habe den Strudl Matthias Hartmann, der inszeniert hat, so angeboten, wie man das halt so macht. Ich sage das jetzt ein bisschen selbstkritisch. Hartmann sagte, nein, der Strudl ist wirklich total beleidigt, es tut ihm weh, wenn man zu ihm sagt: „Du fette Sau, setzt sich da unten zu den Fassln!“ Da gibt's kein schnelles „Sein wir wieder gut.“ Manche sagen, der Hartmann versteht nichts vom Nestroy. Aber er versteht etwas von Menschen.

Kochen Sie gern?

Ich koche gern und esse auch gern: Zum Beispiel Rindsrouladen und Tafelspitz. Liebe geht durch den Magen. Ich würde nie eine Fastenkur machen.

Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?

Ich reise, aber leider viel zu selten. Ich hab ja nur den Sommer und manchmal 17 Vorstellungen im Monat.

Sind das abenteuerliche Reisen oder Gruppenreisen ins Viersternehotel?

Keine Gruppenreisen! Das wäre furchtbar für mich. Abenteuerlich sind die Reisen insofern, als ich einfach ein Ticket löse und dann nehme ich mir einen Guide, der mich herumführt. Ich bereite mich vor und stelle Fragen. In Burma zum Beispiel sind die Buddha-Statuen mit Gold beklebt, obwohl das ein so armes Land ist. Die Leute glauben, dass Geld nicht glücklich macht. Die Frauen dürfen aber das Gold nicht aufkleben, nur die Mönche, das fand ich seltsam. Ich war in Neuseeland bei den Maoris und in Missionsstationen in Afrika. Das Burgtheater hat in Kolumbien gastiert, dort haben die Frauen die Männer zum Tanzen aufgefordert, eine ziemlich matriarchalische Gesellschaft scheint mir das zu sein.

Franzobel hat ein Buch über Sie geschrieben: „Bad Hall Blues“ handelt vom Oberösterreichertum. Wurde der lautmalerische Text je aufgeführt? Finden Sie ihn treffend?

„Bad Hall Blues – Das Original“ wurde im August 2014 im Forum Hall aufgeführt, vom Walter Famler von der Alten Schmiede und von mir. Wir sind beide Bad Haller, und wenn wir dort sind, kriegen wir den Blues, weil alles weg ist in diesem früher so schönen Kurort. Die Idee war, einen Abend für Oberösterreich zu machen, in der oberösterreichischen Sprache.

Es geht auch um das Sterben Ihrer Mutter.

Man sagt sich ja immer, man soll nicht über ein Tabu wie den Tod sprechen, weil das zu privat ist. Wenn man es aber tut, sind viele Leute froh, weil sie Ähnliches erlebt haben. Als meine Mutter gestorben ist, habe ich nicht gesungen „Näher mein Gott zu Dir“, sondern ihr Brautlied. (Er singt.) „Die Sonne neiget sich, sie geht zur Ruh, sie blickt zum letzten Mal dir freundlich zu, es ist das letzte Mal, dass dich der Sonnenstrahl in deinem Kämmerlein als Braut erschaut.“ Ich entstamme einer einfachen, wunderbaren Familie. Meine Mutter kam als 14-Jährige aus dem Donaudelta in Rumänien nach Österreich, sie war so was wie die Arigona Zogaj. Mein Vater war Maurerpolier. Wir sind daheim drei Kinder, drei Söhne, ich bin der älteste. Meine Eltern haben eine sehr glückliche Ehe geführt. Meine Mutter war wie amputiert, als mein Vater gestorben ist, er war 88.

Sind Sie gläubig?

Nicht im Sinne von konfessionell dogmatisch. Als Kind wollte ich Pfarrer werden. Der Pfarrer ist mit dem Brevier betend durchs Dorf gegangen, alle haben ihn gegrüßt und er hat zurückgenickt – und ich wusste, der ist wer! Meine Motive, Priester zu werden, waren sehr einfach. Mich hat auch sehr fasziniert, wenn die alten Frauen den Rosenkranz beteten, aber nachher haben sie nicht sehr heilig über ihre Töchter und pubertierenden Enkel gesprochen.

Das ist immer dieser sonderbare Gegensatz: Die Leute gehen hinaus aus der Kirche – und haben alle guten Lehren vergessen.

Genau. Der Baum der Erkenntnis ist ja negativ besetzt, Gott hat gesagt, von dem darf man nicht essen, sonst wird man bestraft. Der abrahamitische Gott straft gern. Ich will lieber ein bisserl was wissen und weniger gläubig sein. Man nennt das vielleicht einen Agnostiker. Vorm Sterben habe ich keine Angst. Ich hätte gern, dass mich jemand begleitet, wie ich meine Mutter begleitet habe, auch ohne Gott.

Woran glauben Sie?

Ich glaube an die Liebe unter den Menschen, die Wärme, mit der man miteinander umgeht, an eine Art von Humanismus. Der Mensch ist im Mittelpunkt, nichts Menschliches ist mir fremd. Ich habe trotzdem großen Respekt vor Menschen, die gläubig sind. Der unprätentiöse Agnostizismus, den Bundespräsident Heinz Fischer lebt, ist mir sympathisch. Wenn er bei Juden ist, setzt er die Kippa auf. Moslems respektiert er und zieht in der Moschee die Schuhe aus. Mit Dogmen habe ich Probleme. Theologie ist mir fremd. Ich war in Kremsmünster bei den Benediktinern im humanistischen Gymnasium. Viel habe ich nicht mitgenommen, manche Bücher durften wir gar nicht lesen, weil sie auf dem Index standen: Camus, Nietzsche, Sartre.

Sie beschäftigen sich mit ernsten Dingen. Am Burgtheater sind Sie vor allem bekannt für skurrile Rollen.

Ich erzähle etwas relativ einfach, es wird trotzdem immer skurril. Ein Punkt ist, es muss ernst gemeint sein, damit es skurril bleibt, aber es darf nicht alles witzig werden.

Was macht die Kunst des Schauspiels aus?

Künstler, das Wort will ich immer vermeiden, das mag ich nicht. Die Schauspielerei kann man in einem Jahr lernen, wenn man eine Gabe dafür hat. Manchmal ist es die größere Kunst, wenn ein Kind das „Heideröslein“ singt. Martha Eggerth hat mit 80 Jahren „Auf der Heide blühn die letzten Rosen“ gesungen, ein Abgesang auf die verlorene Jugend. Das hat mich berührt, ich habe ihr geglaubt. Aber: Dieses Parfümierte, die Eitelkeit von Künstlern, das schätze ich nicht.

Steckbrief

1949
Hermann Scheidleder wird in Linz geboren. Schauspielausbildung am Mozarteum.

1974
Erstmals am Burgtheater, in „Trilogie der Sommerfrische“ (Goldoni/Strehler).

1975–1987
Scheidleder spielt in Bremerhaven, am Staatstheater Darmstadt, am Wiener Volkstheater, in der Josefstadt.

1993
Er wird Ensemblemitglied am Burgtheater.

Rollen, Auswahl
Hollunder in Molnárs „Liliom“ (Regie: Paulus Manker), Kraps in Nestroys „Jux“ (Regie: Achim Benning), Schuster in „Glaube und Heimat“ von Schönherr (Regie: M. Kušej), „Bambiland“ von E. Jelinek (Regie: Christoph Schlingensief).

Derzeit zu sehen
In „Richard III.“ (Jahnn/Castorf, heute, So.), in „Käthchen von Heilbronn“ (12. 2.).

Herr Scheidleder, darf man Sie auch fragen...

1. . . ob Sie jemals Hamlet, Romeo oder Faust spielen wollten?

Mich wollte ein junger Regisseur als Hamlet, da war ich 40. Karin Henkel hat mich als Woyzeck nach Zürich geholt, den spielen immer Magere. Rollen haben so ein Image. Das muss man durchbrechen. Ich möchte kein Image haben. Dann ist jede Evolution tot!


2. . . ob Sie sauer sind bzw. wie Sie reagieren, wenn jemand Sie auf Ihre Leibesfülle anspricht?

Das passiert vorrangig mit alten Proleten in der U-Bahn. Mich kränkt das nicht, wenn einer sagt: „He Blader, he Gfüllter, geh schon weiter!“ Ich sag drauf: „Lieber blad als blöd!“ 


3... ob Sie glücklich sind?

Ich war verheiratet. Aber jetzt bin ich glücklich und solo. Mein Sohn ist 37. Großvater wäre ich schon gern. Partnerschaft kann ich nicht. Ich brauche keinen zweiten Teil. Ich bin ein Kugelmensch – vor der Teilung durch die Götter – wie in Platons Symposion. Diese Geschichte hat mich getröstet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2015)

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