. . . und plötzlich warst Du weg! Wenn Angehörige sterben

Sheryl Sandberg im Juli 2014 mit Ehemann Dave Goldberg am Rande einer Tech- Konferenz in Idaho. Zehn Monate später erlitt Dave einen tödlichen Herzinfarkt während eines Ausflugs in Mexiko.
Sheryl Sandberg im Juli 2014 mit Ehemann Dave Goldberg am Rande einer Tech- Konferenz in Idaho. Zehn Monate später erlitt Dave einen tödlichen Herzinfarkt während eines Ausflugs in Mexiko.(c) ANDREW GOMBERT / EPA / picturede (ANDREW GOMBERT)
  • Drucken

Ein Schicksalsschlag hat vor zwei Jahren das Leben der Facebook-Managerin und zweifachen Mutter Sheryl Sandberg erschüttert. Ihr Ehemann, Dave, starb innerhalb von Sekunden an einem Herzinfarkt. Die Witwe verarbeitet das Erlebte nun in einem Buch.

Es passierte an einem Freitag im Mai 2015. Sheryl Sandberg und ihr Ehemann, Dave Goldberg, verbrachten das Wochenende in einem Hotel in Mexiko, in dem einer ihrer Freunde seinen 50. Geburtstag feierte. Die beiden sind ein prominentes Silicon-Valley-Paar, sie langjährige Geschäftsführerin von Facebook, er Chef des Webunternehmens Survey Monkey. Ihre zwei Kinder hatten sie an diesem Wochenende zu Hause bei den Großeltern gelassen. Den Nachmittag verbrachten sie mit Freunden am Pool, auf ihren iPads „Siedler von Catan“ spielend. Sandberg schlief irgendwann neben ihrem Mann und dessen Bruder ein – und als sie eine Stunde später erwachte, war Dave weg. Erst kurz vor dem Abendessen begann sie, ihn zu suchen, und fand ihn schließlich im Fitnessraum des Hotels, reglos auf dem Fußboden neben dem Crosstrainer liegen.

Sie begann ihn zu reanimieren, bis ein Rettungswagen eintraf, mit dem Dave in das nächstgelegene Krankenhaus gebracht wurde, wo man sich in einem OP um ihn kümmerte. Irgendwann sagte ihr ein Arzt, dass die Mediziner nichts mehr für ihren Ehemann hatten tun können. Er hatte einen Herzinfarkt erlitten. „So begann der Rest meines Lebens“, schreibt sie in ihrem neuen, zweiten Buch „Option B“, das soeben erschienen ist und im Englischen den Untertitel „Facing Adversity, Building Resilience, and Finding Joy“ trägt.

Die Geschichte der Facebook-Managerin und ihrer Familie hat in den USA in der erfolgsorientierten Tech- und Start-up-Welt für Bestürzung gesorgt. Schon wenige Monate nach dem Tod hat sie zudem begonnen, auf Facebook (wo sonst?) über den Verlust ihres Mannes und ihr neues Leben als „Single-Mum“ zu schreiben. Dass Sandberg nach nur ziemlich genau zwei Jahren ein Buch über ihre Trauer schreibt, überrascht also nicht. Es passt zu der erfolgsorientierten Managerin, die mit ihrem ersten Buch „Lean in“ Frauen zu mehr Selbstbewusstsein im Berufsleben aufrufen wollte. Diesmal hat sie sich mit Adam Grant einen Koautor mit einschlägigem Fachhintergrund geholt. Der Psychologieprofessor an der Wharton Business School of Pennsylvania liefert den theoretischen Corpus des Buches, Sandberg ihre höchstpersönliche Geschichte. Sie schildert die ersten Tage und Wochen nach Daves Ableben, die rasche Rückkehr ins Arbeitsleben, sie schreibt vom Schweigen enger Freunde und dem Umgang ihrer Kinder mit dem Tod.

Wie kann man mit und nach einem so einschneidenden Erlebnis weiterleben? Das ist die Grundfrage, die sich Sandberg und Grant stellen – und auf die sie auch eine klare Antwort geben: Indem man an seiner Resilienz arbeitet, also an der Fähigkeit, mit unvorhergesehenen Ereignissen oder Schicksalsschlägen umzugehen und das Beste aus der „Option B“ zu machen. Die beiden zitieren viele Experten aus den verschiedensten Bereichen. Der Psychologe Martin Seligman etwa hat jahrzehntelang erforscht, wie Menschen mit Rückschlägen umgehen, und drei Faktoren bestimmt, die eine erfolgreiche Bewältigung eines Schicksalsschlags behindern können: Erstens die Vorstellung, man sei selbst schuld. Zweitens die Annahme, das Ereignis werde sich auf alle Bereiche des eigenen Lebens auswirken. Und drittens, die Befürchtung, die Auswirkungen des Ereignisses würden bis in alle Ewigkeit anhalten. Studien hätten gezeigt, „dass sich Kinder und Erwachsene rascher erholen, wenn sie erkennen, dass die traumatischen Ereignisse nicht allein aus ihrem Handeln herrühren“, schreibt Sandberg. Auch sie habe erst lernen müssen, sich keine Schuld am Tod ihres Mann zu geben.

Eine zweite wichtige Erkenntnis war für sie, dass sie über das Geschehene reden wollte. Also den Elefanten im Raum benennen. In den ersten Wochen nach Daves Tod habe es sie „schockiert, wenn ich Freunde traf und sie sich nicht erkundigten, wie es mir ging“. Weil die meisten Menschen sich unbehaglich fühlen, wenn man persönliche Dinge bespricht. In einem Gespräch mit der „Zeit“ sagte Sandberg dazu: „Es geht einem Betroffenen nicht besser, wenn über sein Unglück geschwiegen wird. Es existiert ja trotzdem. Man kann mich nicht daran erinnern, dass Dave gestorben ist. Ich weiß ja, dass er gestorben ist.“


Keine Erwartung haben. Die 33-jährige Wiener Journalistin Elisabeth Oberndorfer kann den Ratschlägen der Facebook-Managerin viel abgewinnen, sagt sie. Auch sie hat vor wenigen Monaten einen schweren Schicksalsschlag in der Familie erlebt und spricht offen darüber, postet Gedanken dazu auf Facebook. Ihr Vater hat sich im vergangenen September im Keller seines Hauses das Leben genommen. „Er hat es nicht angekündigt, keinen Abschiedsbrief hinterlassen.“ Ihre Mutter hatte ihn gefunden und Oberndorfer und ihre zwei älteren Schwestern noch in der Nacht telefonisch informiert. „Du weißt in dem Moment, in dem dieser Anruf kommt, dein Leben, wie du es bisher kanntest, ist vorbei“, erzählt sie. Ihr Vater war 65 und Chef seines eigenen kleinen Betriebs. „Da ich die einzige Selbstständige in der Familie bin, war bald klar, dass ich es sein werde, die den Betrieb auflösen wird.“ Da war also nicht nur ein Begräbnis zu organisieren, sondern da waren Mitarbeiter zu informieren, Geschäfte endabzuwickeln, ein Büro aufzulösen.

Oberndorfer sagt zwar: „Die Trauer ist bei mir noch ein laufender Prozess“, aber sie könne sagen, was ihr in der ersten Phase besonders geholfen habe: „Als wir von meiner Mutter nach Hause gekommen sind, habe ich zu meinem Ehemann gesagt: ,Die nächsten Monate werden die beschissensten meines Lebens. Wenn schöne Tage dabei sind, ist es gut, aber ich habe absolut keine Erwartung.“ Sie sei zudem von Anfang an mit Humor an die Situation herangegangen. Überrascht habe sie, wie offen ihre Familie über das Geschehene geredet hat. „Wenn wir an ihn denken oder er uns fehlt, dann sagen wir das einfach. Das hat uns als Familie sehr geholfen.“ Und zusätzlich haben so gut wie alle Mitglieder der Familie auf irgendeine Weise psychologische Unterstützung in Anspruch genommen. Oberndorfer sagt, sie habe gedacht, nach einem Jahr sei die Trauer vorbei. „Jetzt lerne ich, dass Trauer nicht zeitlich begrenzt ist.“

Ihren ganz eigenen Weg, mit dem plötzlichen Verlust ihres Partners umzugehen, hat die junge Wiener Bloggerin Jaqueline Scheiber alias Minusgold gefunden. Im vergangenen August lag ihr Freund eines Morgens leblos neben ihr, im Krankenhaus wurde sein Tod festgestellt. Felix war 28 Jahre alt. Sie entschied sich noch am Tag, an dem das Unglück passiert war, sehr bewusst dafür, den Tod von Felix offen auf Instagram anzusprechen.

Wiederkehrende Trauer. Sie schreibt seither Gedichte und Texte auf Tumblr (http://blog.minusgold.org/) und Instagram und teilt intime Fotos und Momente in ständiger Auseinandersetzung mit ihrer wiederkehrenden Trauer. Gleichzeitig betont sie, dass Trauer nicht das einzige Thema in ihrem Leben ist, aber ein großer Teil. Für sie ist die öffentliche Auseinandersetzung damit ein Ventil. Den Texten und Bildern zu folgen ist streckenweise richtig schmerzhaft, aber auch berührend schön. Sie machen einen sprachlos, aber geben einem auch die Hoffnung, dass der Schmerz auf diese Weise leichter zu ertragen ist und dass es eine so tief empfundene Liebe geben kann. Wenn man einerseits sagt, wie sehr einem der andere fehlt, wie weh es tut und wie furchtbar man sich fühlt, und andererseits die Erinnerung an den Verstorbenen aufrechterhält.

Wirtschaftlicher Schaden. Sheryl Sandberg spricht in ihrem Buch auch die wirtschaftlichen Folgen von Trauer an: Nur 60 Prozent der in der Privatwirtschaft Beschäftigten in den USA würden nach dem Tod eines nahen Angehörigen bezahlten Urlaub bekommen, und das meist nur für einige Tage. Aber wenn sie wieder arbeiten, können sie aufgrund ihrer Trauer häufig nicht die gewohnte Leistung erbringen. Die Kosten der dadurch hervorgerufenen Produktivitätsausfälle für Unternehmen schätzt man allein in den USA auf jährlich 75 Milliarden Dollar. Sandberg, hier ganz Unternehmerin, schlägt vor, dass man Angestellte nach dem Verlust eines geliebten Menschen freie Tage, flexible Arbeitszeiten und finanzielle Hilfe zugestehe. Eine solche Unterstützung sei nicht nur eine Frage des Mitgefühls, sondern eine wirtschaftliche. Und natürlich darf hier der Hinweis auf das eigene Unternehmen nicht fehlen: Facebook biete einen großzügigen Trauerurlaub, und Sandberg hat diese Maßnahme, so sagt sie, sogar ausgebaut. Heute gibt das Unternehmen seinen Mitarbeitern in solchen Fällen 20 Tage frei.

Immer wieder betont Sandberg, wie sehr ihr Facebook-Gründer Marc Zuckerberg, dessen Frau und Familie in der ersten Phase nach dem Tod ihres Mannes beigestanden sind.

Sandbergs Buch ist bei all der Schwere des Themas ein positives geworden. Irgendwie typisch amerikanisch. Das liegt auch an dem Vermarktungszirkus, der rund um die „Option B“ veranstaltet wird. Sandberg hat gleichzeitig eine eigene gemeinnützige Organisation und eine Facebook-Seite gegründet, die so heißt wie das Buch und Menschen zusammenbringen soll, die Ähnliches erlebt haben. Sie sollen ihre Geschichte erzählen, sich gegenseitig Mut machen.


Neue Liebe finden.
Wenn man mit Menschen spricht, die einen nahen Angehörigen verloren haben, sagen so gut wie alle nach einer gewissen Zeit: Es geht immer irgendwie weiter. Sheryl Sandberg sagt von sich, sie befinde sich nach zwei Jahren erst auf halbem Weg der Aufarbeitung, aber im letzten Kapitel ihres Buches erzählt sie, wie überraschend schnell ihr nahes Umfeld (sogar Mutter und Bruder ihres Mannes) sie dazu ermutigt hat, wieder auszugehen und einen Mann kennenzulernen. Heute hat sie einen Freund, was nichts an ihrer Liebe zu Dave verändere. Wobei sie auch hier einen Rat hat: „Reden Sie früh und ehrlich mit Ihrem Partner, Ihrer Partnerin darüber, was passiert, wenn einer von ihnen nicht mehr da ist.“ Sie hatte ihrem Mann zu seinen Lebzeiten erklärt, dass er sich wieder verlieben dürfe, wenn sie vor ihm sterben sollte. Er hatte das Thema aber so schrecklich gefunden, dass er nicht darüber reden wollte und ihr seinerseits keinen Wunsch mitgegeben. Sandberg bereut das heute. Und vertraut darauf, dass Dave ihr genauso eine neue Beziehung gewünscht hätte wie sie ihm.

Das BUCH

„Option B – Wie wir durch Resilienz Schicksalsschläge überwinden und Freude am Leben finden“

Sheryl Sandberg und Adam Grant. Ullstein Verlag. Adam Grant ist Professor für Psychologie, Autor und Kolumnist der „New York Times“ und lebt in Philadelphia.

Gleichzeitig hat Sandberg die gemeinnützige Organisation OptionB gegründet, die Menschen helfen soll, resilienter zu werden und Schicksalsschläge besser zu überwinden.

Infos unter: www.optionb.org

Zu Person

Sheryl Sandberg, *1969 in Washington, D.C. als ältestes von drei Kindern eines jüdischen Paares. Aufgewachsen in Florida, Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Harvard-Universität.

Erste Arbeitserfahrung als Mitglied eines Rechercheteams der Weltbank, in dem sie sich mit dem Thema Indien und Krankheiten wie Aids beschäftigte. Später arbeitete sie bei McKinsey & Company, danach als Stabschefin im US-Finanzministerium (1996 - 2001). Ab 2001 war sie Vizepräsidentin des globalen Online-Verkaufs bei Google, 2007 wechselte sie zu Facebook.

Sandberg gehört zu den reichsten Frauen der Welt mit einem kolportierten Jahresgehalt von 30 Mio. Dollar. Im März 2013 erschien ihr Buch „Lean In: Women, Work, and the Will to Lead.“

Von 2004 bis zu seinem Tod war sie mit David „Dave“ Goldberg, dem Geschäftsführer des Online-Umfrage-Herstellers SurveyMonkey, verheiratet. Sie hat mit ihm zwei Kinder. Er verstarb am 1. Mai 2015 im Alter von 47 Jahren an einem Herzinfarkt.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Saskia Jungnikl, Jahrgang 1981, schreibt über ihre Erfahrung mit dem Tod.
Salon

„Trauer geht nicht weg, aber sie verändert sich“

Zuerst der Bruder, dann der Vater. Autorin Saskia Jungnikl hat in jungen Jahren viel Erfahrung mit dem Tod gemacht.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.