An der Spitze, trotz Teilzeit

Francine Brogyányi vor einem ihrer „Magical Spots“ in Wien, dem Piaristenplatz in der Josefstadt, unweit ihrer Wohnung.
Francine Brogyányi vor einem ihrer „Magical Spots“ in Wien, dem Piaristenplatz in der Josefstadt, unweit ihrer Wohnung.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Francine Brogyányi ist eine von wenigen Partnerinnen einer Wiener Großkanzlei – und zwar nicht rund um die Uhr. Jetzt hat die zweifache Mutter eine App für Städtetipps entwickelt.

Besonders stolz ist ihr älterer Sohn. Mit seinen acht Jahren weiß er zwar schon länger, dass seine Mutter als Rechtsanwältin arbeitet, vermutlich ohne genau zu begreifen, was das heißt. Seit sie aber beruflich ein zweites, völlig anderes Standbein aufgebaut hat, ist seine Ehrfurcht gestiegen. Unlängst hat er gehört, wie in einem Onlinevideo jemand über ihr neues Projekt geredet hat, und laut gerufen: „Mama, die spricht über das, was du erfunden hast.“ Erfunden hat Francine Brogyányi, die Mama, eine App für Städtetipps von Einheimischen, die sich „Whisperocity“ nennt und seit Juni erhältlich ist.

Eine App entwickeln, das ist heute eigentlich nichts Besonderes mehr, in Brogyányis Fall ist es zumindest ungewöhnlich. Denn die 42-Jährige hat bereits einen ziemlich ausfüllenden Beruf. Sie ist Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Arzneimittel- und Gesellschaftsrecht und seit einigen Jahren Partnerin bei Dorda, einer der größten Anwaltssozietäten Österreichs. Auch wenn immer mehr Frauen Partnerinnen in Kanzleien werden, sind sie noch deutlich in der Minderzahl. Zudem lassen sich jene, die mit ihrem Eigenkapital in eine Sozietät einsteigen, in Österreich nach wie vor an zwei Händen abzählen. Brogyányi hat das vor einigen Jahren getan, obwohl sie da schon zweifache Mutter war und ihren Kanzleikollegen klar gesagt hat, sie werde nach der Geburt ihres zweiten Sohnes nur mehr Teilzeit einsteigen. Sie haben das akzeptiert. „Ich möchte ein paar Stunden pro Tag mit meinen Kindern verbringen“, sagt sie. Sie habe klargemacht, dass sie den Aufstieg in die oberste Kanzleiebene machen möchte, dafür gern einiges investiere, aber nicht ihre komplette Zeit. Also arbeitet sie heute an den Vormittagen, verbringt den Nachmittag mit den Kindern und setzt sich abends, wenn sie schlafen, wieder an den Computer. Und das auch oft am Wochenende. Wie das geht? „Ein Beruf, den man gern und mit Leidenschaft tut, hilft“, sagt sie und lächelt. „Ein Partner, der diesen Weg mitträgt und eine Familie, die einen unterstützt, auch.“ Ihr Mann, Christoph, ist ebenfalls Anwalt und Partner bei Dorda. Dazu komme in ihrem Fall die Flexibilität ihrer Kanzlei, bei Dorda gibt es sowohl Männer als auch Frauen, die nicht Vollzeit arbeiten. Die Feinheiten liegen im Detail, sprich: „So ein Alltag geht nur mit einer außerordentlich guten Organisation, einem straffen Zeitplan und wenig Schlaf.“


Kindheit in Australien. Und trotzdem war in Brogyányis Leben noch Platz für mehr. Ein gutes Jahr nach der Geburt ihres zweiten Sohnes und kurz vor dem eigenen 40er, begann sie mit dem Gedanken zu spielen, sich nebenbei als App-Entwicklerin zu versuchen. Dass die Anwendung etwas mit Reisen zu tun haben sollte, überrascht nicht. Denn das Leben in der Ferne kennt sie seit ihrer Kindheit. Brogyányi wurde in Australien geboren, kam erst mit 15 Jahren nach Wien, und nach der Matura zog es sie wieder in ihr Geburtsland. Erst mit dem Jus-Studium und der Anwaltsausbildung hat sie ihre Wurzeln in Wien geschlagen.

Die Idee zu einer Plattform von (und für) Stadtinsider kam ihr während einer Paris-Reise mit einer Freundin, bei der sie nur Lokale besuchte, die ihr eine Bekannte zusammengeschrieben hatte. Sie fühlte sich wie ein Local, nicht wie eine Touristin. Sie wollte eine App anbieten, die Tipps von Einheimischen sammelt, für Menschen, denen eine solche Bekannte mit Paris-Kenntnissen fehlt. Der Einfall wurde schneller konkret, als ihr Umfeld gedacht hatte. Was vielleicht auch daran lag, dass sie mit ihrem Schwager jemanden im engeren Familienkreis hatte, der als Wirtschaftsinformatiker und IT-Projektleiter jenes technische Wissen liefern konnte, das Brogyányi für ihr Vorhaben brauchte. Heute ist ihr Schwager Alexander Hoskovec ihr Kogesellschafter.

Zwischen Idee und Fertigstellung im vergangenen Juni lagen zweieinhalb Jahre, jede Menge Marktforschungen zum Reiseverhalten von Großstädtern in Deutschland, Frankreich und England und eine Investition von gut 200.000 Euro. „Der Zeit- und Geldaufwand ist nicht unbeträchtlich“, sagt Brogyányi. Sie gibt auch zu, dass sie die App nicht deshalb entwickelt hat, um damit wirtschaftlich erfolgreich zu werden. Von ihrer Idee, Menschen mit ihrer App auf einfache Weise authentische Orte einer neuen Stadt zu verraten, ist sie aber überzeugt. „Immer, wenn ich beim Café Central vorbeigehe, denke ich mir, warum stehen da so viele Touristen Schlange? Wien hat doch so viel mehr zu bieten.“ Ganz vermeiden lässt es sich allerdings auch in ihrer App nicht, dass klassische Orte oder gar Touristenfallen empfohlen werden. Aktuell finden sich unter der charmanten Rubrik „Magical Spot“ auch Plätze wie der Volksgarten, Hofburg und Naschmarkt. Das ist der Nachteil von Inhalten, die nicht redaktionell entstehen, sondern durch Zutun der Nutzer. Denn diese Orte mögen zwar für manche „magical“ sein, nur findet man sie eben auch in jedem Reiseführer. Bisher haben sich 3000 Nutzer in Wien und Berlin registriert, seit Kurzem ist die App auch in Amsterdam und London abrufbar.

Leicht war der Weg zur eigenen App in den vergangenen Jahren nicht. „Weil in Österreich der Gedanke des Entrepreneurship keine Kultur hat.“ Im Rahmen der Einreichung für eine Förderung hatte ein Unternehmensberater sie gefragt: „Warum machen Sie das? Sie sind doch schon Anwältin.“ Dass sie ein neues Risiko nimmt, war dem Mann unverständlich.

Die APP

Whisperocity ist seit Juni auf Android- und Apple-Smartphones abrufbar. Die App bietet Nutzern, die aus Wien oder Berlin sind, die Möglichkeit, Tipps für Restaurants, Shops, Sehenswürdigkeiten und besondere Plätze (Magical Spots genannt) in ihrem Profil zu veröffentlichen (sogenannte Whispers), die für Besucher der Stadt von Interesse sein können. Dadurch soll eine Datenbank an persönlichen und vor allem aktuellen Empfehlungen für Stadtbewohner und -besucher entstehen. Soeben wird die App auch auf die Städte Amsterdam und London ausgeweitet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2017)

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