Moon Ribas: „Es ist wie ein zweiter Herzschlag“

Moon Ribas versteht sich als Cyborg-Künstlerin und -Aktivistin.
Moon Ribas versteht sich als Cyborg-Künstlerin und -Aktivistin.(c) Katharina F.-Roßboth
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Moon Ribas ist Tänzerin – und Cyborg: Dank eines implantierten Sensors kann sie jedes Erdbeben spüren. Jetzt ist sie bei der Art Week zu Gast.

Als am späten Sonntag im Grenzgebiet zwischen dem Irak und dem Iran die Erde bebte, da spürte in Wien auch Moon Ribas ein Zittern: ein rhythmisches Beben in ihrem Fuß. Nichts Ungewöhnliches für sie, „aber wenn ich ein großes Beben spüre, schaue ich nach, wo es passiert ist.“ Oft liegt die Gefahrenzone mitten im Ozean, oft passiert nichts. Manchmal eben doch.

Die spanische Tänzerin fühlt jedes Erdbeben, nicht aufgrund übersinnlicher Fähigkeiten, sondern dank eines implantierten Sensors, der sie zum Cyborg macht, zu einem Mischwesen aus Organismus und Maschine. Dabei hatte sie ursprünglich mit Technologie wenig am Hut. „Als Teenager war ich ein Hippie“, sagt sie. Dann begann sie eine experimentelle Ausbildung in Tanz und Choreografie, bei der man die Studenten zur Verwendung von Technologie ermutigte.

„Ich wollte Bewegung tiefer wahrnehmen“, erinnert sich die 32-Jährige, die gerade als Gast der Vienna Art Week zum Thema „Transforming Technologies“ in Wien ist. „Um uns herum passiert so viel, das wir mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen können.“ Zunächst beschäftigte sie sich mit der Gehgeschwindigkeit der Menschen in ihrer Umgebung, Bewegung in ihrem Rücken. „Dann wollte ich Bewegung wahrnehmen, die universeller ist.“ So kam sie auf die Erdbeben. „Sie sind faszinierend, eine riesige, natürliche Form der Bewegung, die in den meisten Fällen nicht wahrnehmbar ist.“

Seismische Aktivitäten im Fuß

Sie verwendet nun die online gesammelten Daten der weltweiten Seismografen und verbindet sie mit einem vibrierenden Tool. „Am Anfang habe ich es permanent am Körper getragen, später als Implantat, zuerst in meinem Arm.“ Ribas zeigt eine rötliche Narbe oberhalb ihres Ellenbogens, die an einen Münzeinwurf erinnert. „Erst später ist mir klar geworden, dass es viel passender wäre, die seismische Aktivität in meinen Füßen zu spüren.“ Inzwischen ist das Implantat vor ihrem Sprunggelenk untergebracht. Das Einsetzen übernahm zunächst ein New Yorker Body Cutter („das, was sich andere Leute implantieren lassen, das ist wirklich verrückt“), später eine Krankenschwester.

Zu Beginn, erinnert sie sich, habe das Vibrieren sie oft geweckt oder in Gesprächen abgelenkt. „Jetzt bin ich daran gewöhnt, es stört mich nicht mehr. Es fühlt sich an, als hätte ich zwei Herzschläge, meinen eigenen und die Schläge der Erde.“ In ihren Tanzperformances arbeitet sie mit diesem zusätzlichen Impuls. Ihre Kunst scheidet die Geister, manche halten sie für verrückt. „Aber das ist bei Kunst immer so. Weil sie zunächst keine praktische Lösung bringt. Aber wir leben auch durch Staunen und kommen so vielleicht zu neuen Lösungen.“

Inzwischen sei ihr etwa klar geworden, „wie schlecht wir an das Leben auf diesem Planeten angepasst sind. Sonst hätten wir keine Städte an gefährlichen Orten gebaut. Menschen haben immer ihre Umgebung geformt, um es möglichst bequem zu haben. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass wir uns anpassen und nicht an einem Lifestyle weiterbauen, der unseren Planeten zerstört. Vielleicht ist es Zeit, dass wir uns ändern.“ Eine Idee, die ihr gefällt: „Dass wir nicht länger auf die Evolution warten müssen. Wir können selbst bestimmen, wie wir die Realität wahrnehmen wollen. Stellen Sie sich eine Bar in 50 Jahren vor, wo man sich beim Kennenlernen nicht nur fragt, woher man kommt, sondern auch, welche Sinne man hat.“

2010 hat Ribas mit Neil Harbisson die Cyborg Foundation gegründet – Harbisson trägt eine in seinen Schädel implantierte Antenne. Ziel der Foundation sei, Menschen dabei zu helfen, Cyborgs zu werden, deren Rechte zu vertreten und Cyborg-Kunst zu unterstützen. Daneben will sie nächstes Jahr eine Organisation gründen, die dabei helfen soll „zu erforschen, wie wir uns an seismische Aktivität besser anpassen können“. Denn wenn, wie eben, Hunderte Menschen sterben, dann erschüttere das natürlich auch sie.

In wenigen Wochen soll die Transspecies Society vorgestellt werden, „für Menschen, die Sinne haben, die nicht als menschlich gelten“. Ein Freund spüre etwa atmosphärischen Druck: „Unser Wettermann – er weiß, ob es regnen wird.“ Ein anderer arbeite daran, Luftverschmutzung wahrnehmen zu können. Steigert das nicht den Druck zur Selbstoptimierung? Was „besser“ ist, meint Ribas, sei eine subjektive Frage. „Ich sehe das horizontal, als Alternativen. Seit ich diesen neuen Sinn habe, fühle ich mich nicht Maschinen näher, sondern eher der Natur.“

Auf einen Blick

Die Vienna Art Week steht heuer unter dem Motto Transforming Technology. Sie widmet sich den Auswirkungen der Digitalisierung und der Frage, wie Kreative sie verarbeiten. Insgesamt stehen bis 19. November 200 Veranstaltungen von 70 Institutionen auf dem Programm. Das Festival vereint Museen, Kunstuniversitäten, Galerien und Alternative Spaces. Am Dienstag gibt es in der Säulenhalle des MAK ab 13 Uhr acht Talks und Lectures, Moon Ribas verarbeitet Österreichs Erdbeben der letzten 50 Jahre mit der Trommel.

www.viennaartweek.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2017)

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