Giora Feidman: "Wir sind die Familie Mensch"

„. . . und Gott lachte“: Giora Feidman (l.) spielt zwei Abende mit Miguel Herz-Kestranek.
„. . . und Gott lachte“: Giora Feidman (l.) spielt zwei Abende mit Miguel Herz-Kestranek.(c) Karl Schöndorfer / Imago
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Klezmer-Klarinettist Giora Feidman kommt wieder nach Wien. Ein Telefonat nach Tel Aviv über Walzer, Witz und Weinen - und einen Fehlalarm.

Ein Donnerstagvormittag in Tel Aviv. Giora Feidman hebt das Telefon ab. Die Leitung knackst ein wenig, ihn stört es nicht, er ist guter Dinge. „Ich bin in Israel, ich bin zu Hause. Wenn ich in Israel bin, bin ich Tourist. Es ist doch eines der schönsten Dinge im Leben, sich an dem Ort, an dem man lebt, wie ein Tourist zu fühlen.“ Frei also von Terminen? Nicht ganz, meint Feidman. „Hier bin ich professioneller Opa. Ich habe zehn Enkelkinder und muss vom einen zum anderen rennen.“

Daneben hat Feidman auch noch eine Frau – die gerade vom Markt nach Hause kommt und den Alarm auslöst. Er müsse kurz auflegen und die Sicherheitsfirma anrufen, entschuldigt sich der Musiker. Sonst stehe in Kürze die Polizei in seiner Küche.

Demnächst ist der 81-Jährige ohnehin wieder unterwegs. An diesem Wochenende stehen Konzerte in Deutschland an, Mitte Februar in Wien: Da ist der Weltstar mit seiner Klezmer-Klarinette an zwei Abenden Gast im Theater Akzent: In hauchdünner Abwandlung des Liedtitels von Hermann Leopoldi („Ach, Sie sind mir so bekannt“) widmet das Theater Akzent eine Serie an Abenden musikalischen und literarischen Legenden mit jüdischen Wurzeln. „. . . und Gott lachte“, heißt der Abend, den Feidman gemeinsam mit Schauspieler Miguel Herz-Kestranek erstmals 2015 bei der Styriarte bestritt.

Die beiden eint der Humor – und wohl auch ihr Glaube an ein größeres Ganzes. Er sei „jüdischer Buddhchrist“, sagt Herz-Kestranek, der eine Versöhnung der Religionen für unabdingbar hält. „When I go to the Bühne, I'm not a Jude“, formuliert Feidman in seinem unnachahmlichen Englisch, das er mit deutschen Wörtern mischt und mit spanischen Einsprengseln garniert. Auf der Bühne sei er ausschließlich Mensch. Sich dort Jude zu nennen, wäre nachgerade kriminell. „Weil Religion die Menschen spaltet.“

„Walzer wird alles überleben“

Judentum, das sei das, was er abseits der Bühne studiere, sagt der Musiker. „Das verbindet mich mit der Schöpfung. Nicht, dass das andere Religionen nicht könnten. Aber in der Tora steckt viel Information. Aber heißt das, dass ich als Jude nicht das ,Ave Maria‘ spielen darf? Oder dass sich das Publikum, wenn es sogenannte jüdische Musik hört, jüdisch fühlt? Natürlich nicht.“

Freilich sei nicht überall die gleiche Musik verwurzelt. 1936 als Teil einer Familie von Klezmorim in vierter Generation in Buenos Aires geboren – seine Eltern waren 1905 wegen Judenpogromen aus Bessarabien nach Südamerika ausgewandert –, wuchs Feidman nicht nur mit Klezmer, sondern auch mit Tango auf. „Das ist Folklore wie Schubert für Deutsche, oder Walzer für euch.“ Wobei, Walzer sei speziell. „Walzer ist der Tanz, der alles andere überleben wird. Es ist das, was eine Mutter mit ihrem Baby macht, wenn es weint: Sie wiegt es nach rechts und links. Eins, zwei, drei . . . Das ist Wien für mich.“ Walzer tanzen könne er nicht. „Ich habe zwei linke Füße.“

Und obwohl Feidman nicht müde wird, den ganzen Planeten als sein Zuhause zu nennen, sei Wien doch etwas Besonderes. „Wien ist eine Stadt mit einer unglaublichen Energie“, sagt er. „Es ist eine der Städte mit einem positiven Charakter.“ Nur mit Strudel & Co. könne man das nicht erklären. „Wien ist Wien, Punkt.“

Nicht einmal Österreichs Holocaust-Vergangenheit tue dem Abbruch. „Das Wichtigste ist die Gegenwart. Niemand kann die Vergangenheit reparieren. Wir müssen heute an den Beziehungen zwischen den Menschen arbeiten. Damit sie verstehen, dass wir alle eine Familie sind: die Familie Mensch.“ Natürlich müsse man neue Generationen im passenden Alter aufklären über das, was passiert ist. Aber Auschwitz? Wäre am besten ein blühender Park. „Man sollte 16-Jährige nicht nach Auschwitz bringen, um sich die Katastrophe anzuschauen. Das sollte gar nicht im Kopf eines jungen Menschen sein.“

Einer jener Wege, die Menschen an ihre Verwandtschaft als große Familie zu erinnern, sei die Kunst. Es ist ein Beispiel, das Feidman oft in Gesprächen bringt: Dass Musik, Singen, jene Sprache sei, mit der Mütter mit ihren Babys kommunizieren. „The greatest expression of Liebe.“ Seine Klarinette nennt er gern das Mikrofon seiner Seele. Viele sagen, bei ihm könne das Instrument lachen und weinen. Wonach ihm derzeit öfter zumute sei? Eine müßige Frage, gibt Feidman zu verstehen. Wo die beiden doch so nah beieinander liegen. „Warum sonst kommen Tränen aus Ihren Augen, wenn Sie lachen?“

AUF EINEN BLICK

„Ach, Sie sind mir so bekannt“ im Theater Akzent: Heute, 23. Februar: „Out of Sight“. Ethel Merhaut, Cornelius Obonya & Bela Koreny, 19.30 Uhr. 6. März: Tim Fischer: „Die alten schönen Lieder“. 10. März: „Joseph Lorenz liest. Eine blassblaue Frauenschrift von Franz Werfel“. 14. und 15. März: „. . . und Gott lachte! Der jüdische Witz und die Musik der Klezmorim“. Mit Giora Feidman, Miguel Herz-Kestranek & Gitanes Blondes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2018)

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