Auktion: Geschichten aus dem Koffer

Jacqueline Kornmüller inmitten der Koffer und Taschen, die sie von 30 Autoren samt Geschichten zurückbekommen hat.
Jacqueline Kornmüller inmitten der Koffer und Taschen, die sie von 30 Autoren samt Geschichten zurückbekommen hat.(c) Katharina F.-Roßboth
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Zum Jubiläum der VinziRast hat Jacqueline Kornmüller verlassene Gegenstände an Autoren gesandt. Damit beginnt auch der Abschied Cecily Cortis.

Jacqueline Kornmüller steht in ihrem Schlafzimmer und schaut gespielt verzagt hinauf ins oberste Regal ihres Kastens. Es sei eine Sache, eine verwegene Idee zu haben – und eine ganz andere, die Idee auch umzusetzen.

Für ihr jüngstes Vorhaben hat die Erfinderin erfolgreicher Formate wie „Ganymed“ im Kunsthistorischen Museum 30 Koffer und Taschen verschickt – und auch wieder wie geplant zurückbekommen. Die stapeln sich nun in ihrem Kasten und müssen ohnehin herunter: Die Texte müssen noch rein.

Es war vor einem Jahr, dass Cecily Corti sie fragte, ob sie nicht eine Idee habe. Fürs Jubiläum: 15 Jahre ist es her, dass die Vinzenzgemeinschaft St. Stephan gegründet wurde, seit zehn Jahren gibt es das VinziRast-Corti-Haus, seit fünf die VinziRast-Mittendrin. In Summe 30 Jahre Arbeit, von denen nun 30 Koffer erzählen, die am 25. April versteigert werden. In einem davon dürfte auch jener zehn Zentimeter lange Käfer angereist sein, der eines Tages über ihren Computer kroch. „Ich habe recherchiert, den gibt es nur in Bosnien.“ Sie habe ihn dann mit Gurken und Kartoffelschalen gefüttert. Eines Tages war er verschwunden.

So wie die Bewohner der Notschlafstelle, die irgendwann nicht mehr kommen, die mit leichtem Gepäck weiterziehen oder was auch immer mit ihnen passiert. Es sei zwei oder drei Jahre her, dass sie das erste Mal in der VinziRast war, erinnert sich Kornmüller. Und zwar an einem Sommernachmittag. Noch bevor sich gegen sechs vor den Toren die Menschen zu sammeln beginnen: Menschen, die tagsüber vor den Baumärkten auf Arbeit hoffen, die von weiter her in die Stadt kommen und ein erstes Dach über dem Kopf suchen, andere, die ihres verloren haben. Zwei Euro kostet eine Übernachtung, bis zu 30 Tage kann man im Normalfall bleiben.

Strandgut aus der Notschlafstelle

Jedenfalls, sagt Kornmüller, seien ihr schon damals auf den leeren Betten die Gegenstände aufgefallen: eine Postkarte, ein zweites Paar Schuhe, ein Stofftier am Kopfkissenrand. Erinnerungsgegenstände. Wer möchte, kann ein Schließfach mieten. Und manchmal bleiben diese Dinge zurück. Wird ein Fach lang nicht geleert, kommen die Dinge auf den Speicher, „wunderschön und riesengroß“, und werden dort von eigenen Mitarbeitern sortiert und gepflegt. „Eine heldenhafte Arbeit.“ Manches wird wieder verwendet, kommt in ein Einkaufswagerl, aus dem sich neue Gäste Nötiges aussuchen können. Anderes wartet weiter.

Aus diesen Dingen hat sich Kornmüller nun bedient, hat ausgewählt und neu arrangiert. Ein Nadelkissen, türkisfarbene Handschuhe, eine Schlafbrille – diese Kombination hat sie an Richard Obermayr geschickt. Dirk Stermann hat eine bunte Häkeldecke, ein rosa Plastikarmband und einen Flaschenöffner in Form eines Schlüssels bekommen. „Schlüssel zum Erfolg“ steht drauf. Bei einem Paar Turnschuhe habe es sie richtig gerissen: Im rechten steckt ein kleiner Kinderschuh.

Es habe sie überrascht, wie stark die Autoren, von Iljia Trojanow bis Georg Stefan Troller, angesprungen sind, sagt Kornmüller, wie persönlich die Texte geworden sind. Auch, glaubt sie, „weil die VinziRast eine so gute Arbeit macht, weil man sich ihr hemmungslos anvertrauen kann“. Das Jubiläum sieht sie mit Lachen und Weinen: Ein „unglaubliches Gesamtwerk“, dass Cecily Corti mit 180 Ehrenamtlichen auf die Beine gestellt habe. Doch nun gehe eine Ära zu Ende: Corti will sich langsam zurückziehen. „Das Schöne ist, dass sie an ein stabiles Team übergibt.“

Auf einen Blick

Koffergeschichten. 30 Koffer und Taschen hat die Regisseurin Jacqueline Kornmüller auf dem Dachboden der VinziRast-Notschlafstelle mit liegen gebliebenen Dingen gepackt und sie an 30 Autoren ausgeliefert, mit der Bitte, einen Text dazu zu schreiben. Die 30 Koffergeschichten werden vom 16. bis zum 25. April auf Ö1 von Erika Pluhar und Peter Simonischek gelesen. Am 25. April werden die Koffer samt Geschichte um
19 Uhr im Wien-Museum zugunsten der VinziRast-Notschlafstelle versteigert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2018)

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