Ohne Pause durch Amerika

Klaus Höfler läuft durch das Death Valley bei 35 Grad. In der Hitze braucht es eine gute Lauftechnik.
Klaus Höfler läuft durch das Death Valley bei 35 Grad. In der Hitze braucht es eine gute Lauftechnik.(c) Gernot Eder
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Klaus Höfler lief als einer der ersten Österreicher bei einem Nonstop-Staffellauf von Los Angeles nach Las Vegas. Mit im Team: Ex-Schwimmer Markus Rogan.

Karfreitag, 30. März, vier Uhr früh, in Los Angeles. Die feuchtnebelige Pazifikluft am Santa Monica Pier ist voll mit Adrenalin, die Straßen um diese Uhrzeit leer. Klaus Höfler steht an der Startlinie und unter Strom. Er hört den Countdown: „Three, two, one!“ Nach Monaten der Vorbereitung löst sich seine Anspannung. Endlich geht es los.

Noch bevor der Frühverkehr einsetzt hetzen Höfler und die anderen 37 Startläufer des „Speed Project“-Laufs los. Er läuft durch Beverly Hills, West Hollywood und vorbei an den Universal Studios, raus aus der Stadt. Dann wird es hügeliger – und wärmer. Während im Begleitfahrzeug – einem zehn Meter langen Wohnmobilschiff, das den gerade pausierenden anderen zehn österreichischen Staffel-Läufern als Schlafwaggon, Speisewagen, Massagestudio und Rastplatz dient – die Klimaanlage auf Hochtouren brummt, zeigt die Sonne draußen, was sie draufhat. Und noch draufhaben kann. In den Ausläufern der Mojave-Wüste braucht es in der knochentrockenen Hitze selten mehr als 200 Meter zügiges Laufen, bis die Teilnehmer starken Durst verspüren. Da ist nicht nur Kondition gefragt, sondern auch eine möglichst kraftschonende Renntaktik.

Ein Bubentraum, ein Abenteuer

Warum macht man so etwas? 550 Kilometer mit einer Läuferstaffel durch den amerikanischen Westen zu rennen? „Natürlich gibt es keine rational schlüssige Erklärung“, wird sich der Grazer Höfler später erinnern. Neben einem naiven Bubentraum blieb das Hauptmotiv für seine Teilnahme an dem Nonstoplauf von Los Angeles nach Las Vegas das Abenteuer – und wohl auch eine hohe Dosis Neugier für das Unbekannte. „Wir wussten eigentlich gar nichts über das, was uns erwartete, als wir uns als erstes und einziges Team aus Österreich angemeldet haben.“

Ein halbes Jahr nach der Anmeldung fliegt das Staffelteam nach Los Angeles. Zehn Österreicher, kein Einziger von ihnen ist ein wirklich leistungssportlich vorbelasteter Läufer. Klaus Höfler selbst ist Journalist bei der „Kleinen Zeitung“ in Graz (die wie „Die Presse“ zum Styria Verlag gehört, Anm.) und ambitionierter Hobby-Läufer mit Marathon und Trailrun-Erfahrung. Seine Kollegen haben zum Teil schon Triathlons absolviert oder sind mittelklassige (Halb-)Marathonveteranen. Mit im Team sind außerdem zwei ehemalige Schwimmer. Gut, einer davon ist Österreichs mit Abstand höchstdekorierter Sommersportler: Markus Rogan ist Welt- und Europameister, Weltrekordinhaber und zweifacher Olympiamedaillengewinner. Aber seine Laufmeriten? „Ein zwei Wochen davor erstmals absolvierter Marathon“ erzählt Höfler. Für das Team bedeutete die Zusammensetzung „eine Terra incognita, was die physische und psychische Belastung angeht“. 550 Kilometer quer durch Amerika. Die Distanz entspricht jener von Wien bis an die polnisch-ukrainische Grenze.

Die einzige Regel: Es gibt keine

Es ist ein Lauf ohne Regeln. Beim Speed Project fehlen sämtliche Wettbewerbsrahmenbedingungen, die zur banalen Grundausstattung einer Laufveranstaltung wie etwa dem heute, Sonntag, stattfindenden Wien-Marathon gehören. Es gibt nur eine Regel: Es gibt keine Regel! Kontrollen existieren deswegen auch nicht. Streckenabsicherung, Verpflegungsstationen, vorgeschriebene Route und abgesteckte Wechselzonen wie bei gewöhnlichen (Marathon-)Läufen? Alles Fehlanzeige. Die anarchistische Freiheit appelliert an das Ehrgefühl der Teilnehmer: Es sind 300 Läufer in 38 Teams aus 20 Nationen. „Wer bei so etwas mitmacht, tut es aus naiver Leidenschaft und seriöser Begeisterung. Und schummelt nicht. Wofür auch?“, sagt Höfler. Es gebe nichts zu gewinnen – aber bei Unsportlichkeit viel zu versäumen: „Erinnerungen an ein echtes Erlebnis und eine atemberaubende Szenerie.“

Um den langen Lauf zu schaffen setzt die Staffel zu Beginn auf eine Teilung in zwei Fünferteams, die schichtartig jeweils rund drei Stunden laufen. Innerhalb dieser Gruppen wechselt die Staffel in Fünf-Kilometer-Intervallen, um ein möglichst hohes Tempo mit ausreichend langen Erholungsphasen zu kombinieren. So richtig abschalten kann aber ohnehin niemand während der gesamten Renndauer.

Nach 200 absolvierten Kilometern wird es an jenem Karfreitagabend dunkel. Die Route verläuft jetzt durch teils knöcheltiefen Sand und durch ausgetrocknete Bachbetten der Mojave-Wüste. In der Nacht hören Höfler und seine Kollegen geheimnisvolle Geräusche um sich herum, während sie laufen, können aber nicht erkennen, was diese verursacht.

Daran kann auch der Vollmond nichts ändern. Am nächsten Morgen wartet das Death Valley, der trockenste Nationalpark in den USA und die Heimat von Pumas, Rotluchsen und Klapperschlangen. Sie interessieren sich aber nicht für die Läufer, und die sind selbst abgelenkt durch die weite Ebene um sie herum. Im Einsatzplan des Teams steht: „Continue straight for 48 Miles.“ Falls irgendwer schon die Praterhauptallee als „endlose Gerade“ empfindet, dem sei die Death Valley Road RT 127 ans Herz gelegt, wird Höfler später sagen. Irgendwo am flirrenden Horizont verschmilzt dieses ewige Asphaltband mit einer Bergkette.

Dort entwickelt sich nach über 450 Kilometern, wo die Staffel immer wieder andere Teams überholt oder von ihnen überholt wird, aber jede Mannschaft vor allem mit sich selbst beschäftigt ist, plötzlich ein Wettrennen zwischen einem australischen und mexikanischen Team und den Österreichern. „Es geht um unsere alpine Ehre“, feuern sich Österreicher gegenseitig an. „Burschen, die Berge sind unser Revier!“, ruft Markus Rogan, bevor es zwei mühsame Anstiege hinaufgeht.

Nachts in Vegas

Die Staffel läuft Kilometer um Kilometer weiter. Die Wechselrhythmen werden zwecks Tempoverschärfung verkürzt, der Kilometerschnitt nach der Passhöhe hinunter in die Ebene noch einmal unter vier Minuten gedrückt. Als hinter einer Kurve auf einmal der nächtliche Lichterteppich von Las Vegas die Nacht erhellt, sind die Konkurrenten längst aus dem Rückspiegel verschwunden.

„Viva Las Vegas!“, brüllt ZZ Top ihren größten Hit aus den Wohnmobilboxen den Läufern entgegen. Die Staffel ist am Ziel: 43 Stunden und 55 Minuten nach dem Startschuss fallen sie sich unter dem (Ziel-)Schild „Welcome to Las Vegas“ in die Arme. Sie sind das 15. Team, das das Ziel erreicht. Es ist Ostersamstag, der 31. März, fünf Minuten vor Mitternacht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2018)

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