„Österreich ist ein Paradies für Interviewer“

„Ich bin für die Ich-Akrobaten nur das Trampolin, das sie für ihre Luftsprünge brauchen“, sagt Sven Michaelsen.
„Ich bin für die Ich-Akrobaten nur das Trampolin, das sie für ihre Luftsprünge brauchen“, sagt Sven Michaelsen. (c) Andra
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Der deutsche Journalist Sven Michaelsen entlockt berühmten Menschen Geständnisse wie kaum jemand. Gerade ist eine Sammlung seiner besten Gespräche erschienen. Österreich nennt er eine „Brutstätte für egomane Exhibitionisten“. Er erzählt, wie ihn Peter Handke maßregelte, Helmut Berger vor ihm onanierte und was vom Treffen mit Claudia Schiffer blieb.

Seit Jahrzehnten beichten Ihnen berühmte Menschen ihre Obsessionen und Abgründe. Was braucht es dafür?

Sven Michaelsen: Gute Interviewer interviewen sich selbst, wenn sie andere interviewen. Stellen Sie Ihrem Gegenüber die Fragen, die Sie sich selbst im Leben stellen. Dann müssen Sie nicht heucheln. Interviews funktionieren wie Tinder-Dates: Zwei einander fremde Menschen treffen sich und wissen nach ein paar Augenblicken, ob sie Sex miteinander haben wollen oder nicht.

Was sind die Mythen Ihres Berufs?

Die Tragikomik beginnt, wenn Interviewer versuchen, etwas vom Ruhm der Interviewten abzubekommen. Die traurige Wahrheit ist, dass Stars sich nur für andere Stars interessieren. Journalisten sind für sie lediglich ein notwendiges Übel, um die eigene Popularität zu steigern. Interviewer werden als bewegliche Farbflecken wahrgenommen, die mit immer gleichen Fragen langweilen. Diese Erwartungshaltung müssen Sie in den ersten 120 Sekunden durchbrechen. Ob Sie das mit einem kurzen Rock tun oder mit einer ausgesucht klugen Frage, ist erst einmal völlig gleichgültig. Hauptsache, der Star erwacht aus seiner eingeübten Interview-Lethargie. Der klügste Satz über Interviews stammt von dem Hollywood-Veteran Robert Mitchum: „If you want my interest, interest me.“

Wer hat Sie denn schon gelangweilt?

Niederschmetternd ist das Gefühl, klüger als der Interviewte zu sein und bessere Geschichten erzählen zu können. Niemand schafft es, Steine zu melken oder aus Staub Glitzer zu machen. Wenn Sie vor der Abschrift eines Interviews mit Claudia Schiffer sitzen, haben Sie das Gefühl, Badeschaum an die Wand nageln zu müssen. Erinnernswert war nur, dass Frau Schiffer vom Penis als „Stinkerle“ sprach.

Ein Fünftel der Gespräche in Ihrem neuen Buch „Das drucken Sie aber nicht!“ haben Sie mit österreichischen Künstlern geführt, von Gottfried Helnwein über André Heller und Elfie Semotan. Sind Österreicher redseliger oder verschlossener als andere?

Österreich ist eine Brutstätte für egomane Exhibitionisten und verstiegene Borderline-Persönlichkeiten. Das macht Ihr Land zum Paradies für Interviewer. Figuren wie Paulus Manker befeuert das Verlangen, ihren Kopf irgendwann auf einer Briefmarke zu sehen. Ich erinnere mich noch, wie glücklich er war, als ihm die Formulierung einfiel: „Beim Vögeln wollen die Leute immer rein-raus-rein-raus. Ich dagegen will immer nur rein und dann drinbleiben.“ Oder nehmen Sie Peter Handke. Er gibt seit den Sechzigerjahren Interviews nach der Devise: Wenn Legenden schon sein müssen, erfinde ich sie lieber selbst. Einem Kollegen der „Zeit“ hat er einmal vorgelogen, er habe Jeanne Moreau seine Liebesbriefe an sie gestohlen, damit nach seinem Tod nichts Persönliches von ihm kursiere. Deutsche Kulturschaffende können da nicht mithalten.

Auch in Sachen Ungeduld. Der Österreicher Handke blaffte Sie beim Interview mit den Worten an: „Sagen Sie mal was Nettes zu mir! Sie blättern da wie ein Untersuchungsrichter in Ihren Aufzeichnungen.“ Wie reagieren Sie auf solche Maßregelungen?

Ich bin bei Interviews schon mit faustgroßen Fleischtomaten beworfen worden. Erlebnisse dieser Art haben mich zum Stoiker gemacht. Handke sagt von sich, es gebe keinen Menschen, den er nicht in zehn Minuten bis an sein Lebensende gedemütigt hätte. Bei den sechs Interviews mit ihm habe ich mich jedes Mal gefragt, was bei ihm stärker ist: sein infernalischer Jähzorn oder seine grenzenlose Sehnsucht nach Liebe und poetischer Zartheit. Handke war einmal ein paar Jahre mit der Schauspielerin Katja Flint zusammen. Als ich ihn danach fragte, sagte er mit gefährlich leiser Stimme: „Gehen Sie sich doch ficken!“ Dass er diesen Satz bei der Autorisierung des Interviews nicht gestrichen hat, bestätigte meine Bewunderung für ihn.

Und wie war Elfriede Jelinek beim Interview?

Sie setzte sich in ihrer eiskalten Wohnung ans Klavier und erzählte beim Spielen, sie sei als Kind in die Psychiatrie eingeliefert worden, weil sie in ihrem Zimmer stundenlang hin- und hergelaufen sei wie ein Tier im Käfig. Ihr Schreiben verglich sie mit Kotzen: Es sei quälend, aber sie müsse es tun. Als ich aus der Haustür trat, rief sie mich zurück und sagte: „Das größte Missverständnis ist, dass ich eine Männerhasserin bin. Ich mag Männer wirklich nicht – aber ich mag auch sonst nichts.“ Mit diesem Grad von Schwermut und Lebensverdüsterung kann es kein deutscher Literat aufnehmen, nicht einmal ein miesepetriger Morastmensch wie Botho Strauß.

Apropos Österreicher: Der 2011 verstorbene André Müller war in den 1980ern und 1990ern der Superstar unter den deutschsprachigen Interviewern. Haben Sie von ihm gelernt?

Müller konnte Kulturgrößen wie Thomas Bernhard oder Claus Peymann die unglaublichsten Geständnisse entlocken. Seine Methode war, das Interview mit einem langen Monolog über sich selbst zu beginnen. Er klagte über die Gemeinheiten des Lebens, offenbarte intimste Kränkungen und kündigte an, sich demnächst umbringen zu wollen. Die Menschen vor seinem Mikrofon reagierten darauf reflexhaft mit eigenen Geständnissen über die Abgründe ihrer Seele. Um diese Interview-Technik zu kopieren, bräuchte man Burgtheater-Qualitäten, und die fehlen mir.

Sie interviewen seit 25 Jahren Prominente. Wie hat sich diese Spezies Mensch im Laufe der Zeit verändert?

Bis Anfang der Neunziger haben Stars Einblicke in ihr privates Leben zugelassen. Heute begegnen sie Journalisten meist mit Misstrauen und mühsam verborgener Geringschätzung. Ich habe einmal Udo Jürgens in seiner Villa an der portugiesischen Algarve-Küste interviewt. Er ließ das Fototeam und mich drei Tage lang bei sich wohnen und behandelte uns mit einer Herzlichkeit, die nicht gekünstelt wirkte. Als er bemerkte, dass der Assistent des Fotografen Liebeskummer hatte, lud er ihn in ein Bordell ein. So etwas würde heute einen republikweiten Shitstorm auslösen. Am meisten mochte ich Jürgens, wenn er morgens mit dem Satz an den Frühstückstisch kam: „Kommt Jungs, lasst uns Erinnerungen schaffen!“

1998 haben Sie in Rom den österreichischen Filmschauspieler Helmut Berger interviewt. Eine angenehme Begegnung?

Bergers Lebensproblem ist seine Mischung aus Größenwahn und grenzenloser Unsicherheit. Bei unserer zweitägigen Begegnung bekämpfte er seine Selbstzweifel mit geschätzten zehn Gramm Kokain und eimerweise Weißwein. Beim Interview im Palazzo einer adligen Bekannten von ihm öffnete er die Hose, holte seinen Penis heraus und masturbierte – ohne dabei aufzuhören, meine Fragen zu beantworten. Als das Interview zu Ende war, jagte er den Fotoassistenten durchs Zimmer und schrie: „Ich will dich jetzt ficken, du kleine Sau!“ Ein paar Wochen später saß Berger in der Late-Night-Show von Harald Schmidt. Als Schmidt mein Interview in die Kamera hielt, behauptete Berger, ich hätte ihn nie getroffen, das gesamte Interview sei frei erfunden. Als eine Minute später mein Telefon klingelte, wusste ich, was mich erwartete: ein brüllender Chefredakteur, der mir rufschädigendes bis kriminelles Verhalten vorwarf. Der Mann hatte eine Informationslücke und hielt Berger für einen hochseriösen und verehrungswürdigen Visconti-Schauspieler.

Sind aus Interviews Freundschaften entstanden?

Nein. Nach ein paar Stunden bin ich vergessen. Stars sind narzisstische Selbstbespiegler. Sie suchen Trabanten, keine Freunde. Ich bin für diese Ich-Akrobaten nur das Trampolin, das sie für ihre Luftsprünge brauchen.

Sie sind mit der Bestsellerautorin Ildikó von Kürthy verheiratet. Was sagt sie zu Ihren Interviews?

Gar nichts. Bei meiner Frau ist das Projekt weiblicher Emanzipation erfolgreich ans Ende gelangt. Sie hat das letzte Interview von mir in den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts gelesen, erwartet aber wie selbstverständlich, dass ich jedes ihrer Bücher redigiere.

Würde Sven Michaelsen sich von Sven Michaelsen interviewen lassen?

Ja. Es gibt Menschen, die Fragen stellen, um selbst nichts gefragt zu werden. Zu dieser Sorte gehöre ich nicht. Ich beurteile meine Mitmenschen eher nach ihren Fragen als nach ihren Antworten. Handke sagte einmal: „Am Grab meiner Mutter habe ich nur eines bedauert: ihr nicht zu Lebzeiten ein Kunstwerk aus Fragen vorgelegt zu haben.“ Diese Mahnung habe ich mir eingeprägt. Dass man einen Menschen nicht mehr liebt, erkennt man auch daran, dass man keine Fragen mehr an ihn hat.

Herr Michaelsen, darf man Sie auch fragen...


1. . . ob Sie uns Ihren peinlichsten Interviewmoment verraten?
In meinen düstersten Albträumen erscheint mir immer noch die altersfleckige, mit klobigen Diamantringen bestückte Tatterhand einer kunstsammelnden Milliardärin, die sich am Reißverschluss meiner Hose zu schaffen macht. Die greise Dame prahlte damit, dass sie Heiratsanträge von Robert Wilson und Fritz J. Raddatz abgelehnt habe, zwei bekennenden Homosexuellen. Als ich Gegenwehr leistete, ging die Rotweinflasche zu Bruch – was schade war, da es sich um einen Romanée-Conti handelte.2. . . ob es Fragen gibt, die Sie Ihrem Gegenüber nie stellen würden?
Man müsste Diaboliker sein, um verheiratete Menschen zu fragen, an wen sie beim Onanieren denken.3. . . ob Menschen darum buhlen, von Ihnen interviewt zu werden, Sie aber ablehnen?
Das kommt vor. Stars der B- und C-Kategorie umschiffe ich, weil sie nichts Bereicherndes zu erzählen haben.

Steckbrief

Sven Michaelsenstudierte Literatur und Geschichte, war zwanzig Jahre lang Reporter und Autor beim „Stern“ und macht heute vor allem für das „Süddeutsche Magazin“ porträtierende Gespräche mit Prominenten.

Michaelsen hat trotzdem keinen eigenen Wikipedia-Eintrag. Er ist verheiratet mit Bestsellerautorin Ildikó von Kürthy, sie haben zwei Söhne und leben in Hamburg.

Bisher erschienen sind: „Starschnitte“ (2006), „Wendepunkte“ (2012) und „Ist Glück Glückssache?“ (2012) und nun „Das drucken Sie aber nicht!“ (Piper, 396 S., 22,70 Euro)

Eine Langversion des Gesprächs finden Sie unter: www.diepresse.com/kultur

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2018)

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