Jenseits des Unbehaglichen: Soho setzt auf Nachbarschaft

Ula Schneider organisiert seit nun fast 20 Jahren Soho Ottakring.
Ula Schneider organisiert seit nun fast 20 Jahren Soho Ottakring.(c) Lukas Aigelsreither
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Raus aus dem elitären Elfenbeinturm, hin zu den Menschen: Das Vorstadtfestival Soho Ottakring setzt auf Nachbarschaftsprojekte.

Ottakring ist unbehaglich. Nicht immer, nicht überall, aber vieles von dem, das das Leben in der Stadt mitunter ungemütlich macht, das konzentriert sich hier. Die Dichte, das Zusammenleben mit Unbekannten, mit Leuten, mit denen man vielleicht auch nichts zu tun haben will? Und dann die allgemeinen Befindlichkeiten unserer Zeit: Verunsicherung, Sorge um Demokratie, um den Zusammenhalt der Gesellschaft, um einen Zerfall der heilen Welt, die in den Strudel des Weltgeschehens gerät, so der Befund der Macher des Kunstfestivals Soho Ottakring.

Dort soll diesem Unbehagen entgegengewirkt werden. Eine Zeit lang, zumindest. „Der Kitt des Zusammenlebens, das ist der Kontakt zueinander, zumindest in der Zeit des Festivals soll er wieder stärker werden“, sagt Ula Schneider, die Initiatorin und Leiterin von Soho in Ottakring. Dementsprechend hat sie mit ihrem Team heuer das Motto ausgesucht: „Jenseits des Unbehagens. Vom Arbeiten an der Gemeinschaft“ lautet der Titel des 1999 gegründeten Kunstfestivals am Rand Ottakrings. Denn heute findet das Festival rund um das Gebiet Sandleiten statt, nachdem es bis 2012 um den Brunnenmarkt angesiedelt gewesen ist.

Es gehe darum, die Kunst aus dem elitären Elfenbeinturm, aus den Institutionen, hin zu den Menschen zu bringen – auch zu denjenigen am Rand der Stadt. Und darum, Kunst zugänglich zu machen. „Kunst will Möglichkeitsräume schaffen und die Welt, wie sie ist oder wie sie scheint, erfahrbar machen“, so Schneider. Es gehe darum, verschiedene Perspektiven zu zeigen, Denkmuster zu hinterfragen. Das alles geschieht heuer wie gesagt mit einem Fokus auf Unbehagliches – und Nachbarschaftliches. Es geht also um das Zusammenbringen unterschiedlichster Leute, von Künstlern, Anrainern, Besuchern. Entsprechend ist das heurige Programm vielfältig – und betont einladend, statt künstlerisch-abgehoben.

Eröffnet wird Soho Ottakring am Samstag mit einer Prozession, einem musikalischen Umzug der Gruppe Couscous: Ab 18.30 Uhr geht es da mit mit Triangeln aus Baustahl und einem Metalldetektor von der Alten Trinkhalle im Kongresspark über den Nietzscheplatz bis zum Matteottiplatz.

Im Sandleitenhof wird während des Festivals unter dem Titel „Mangels Überfluss“ ein derzeit leer stehendes Lokal mit Spenden aus der Nachbarschaft als Café Mangel bewirtschaftet. Ebenfalls in Sandleiten will das Fernsehkollektiv Irreality.tv eine „partizipative Science-Fiction-Serie“ namens Nachtwache über eine Welt, in der der Schlaf abgeschafft wird, drehen. Die Kulisse, eine Art geheimen Ort zum Rückzug und Schlafen im Alten Kino in der Liebknechtgasse, kann auch jeder Besucher nutzen – zum Schlafen.

Das österreichische Filmmuseum startet im Rahmen des Festivals mit „Am Rand: Die Stadt – Wien in privaten Filmen“ eine Sammelaktion von Amateurfilmen. Daneben gibt es diverse Workshops, Ausstellungen, Diskussionen, Kinderprogramm – und Konzerte: Zum Abschluss laden Soho Ottakring und das Konzerthaus zu einem Open-Air im Kongreßpark, bei dem Schlagzeugvirtuose Martin Grubinger unter anderem mit jungen Leuten, die zuvor mit ihm in einem Workshop trommeln, auftreten wird.

Kunst am Rand im Aufwind

In Summe sind gut 150 nationale und internationale Künstler in den zwei Wochen mit 62 Projekten zum Thema zu sehen. Diese befassen sich allesamt mit den Themenkomplexen Demokratie, Arbeit, soziale Verantwortung, Solidarität und Gemeinschaft. Das Programm, das Schneider gemeinsam mit Marie-Christine Hartig und Hansel Sato kuratiert hat, ist durchgängig bei freiem Eintritt zu sehen und spielt an neun Festivalschauplätzen rund um den Sandleitenhof.

Und das soll auch in den kommenden Jahren so bleiben – schließlich hat sich erst zuletzt Wiens neue Stadtregierung explizit dafür ausgesprochen, Kunst und Kultur an den dezentraleren Orten der Stadt, in den Randbezirken und den verschlafenen Vierteln wie dem Rand Ottakrings fördern zu wollen.

INFO

Ula Schneider hat Soho in Ottakring initiiert und leitet das Festival seit 1999 – mittlerweile gemeinsam mit Marie-Christine Hartig und dem bildenden Künstler Hansel Sato.

Das Festival findet heuer vom 2. bis 17. Juni im Gebiet Sandleiten in Ottakring statt. 152 nationale und internationale Künstler gestalten dabei 62 Projekte zum Thema „Jenseits des Unbehagens“: Darunter Konzerte, Ausstellungen, Workshops, Performances, Diskussionen oder auch Kindertheater. Details zum Programm: www.sohoinottakring.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2018)

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